Duisburg

Was man nicht in der Schule lernt

Fünf Szenen zu Auschwitz: Aufführung in Duisburg Foto: Lars Fröhlich

Vor acht Monaten begann hier ihr Weg. Nun kommen sie zurück und zeigen, was sie gelernt und wie sich ihre Gedanken und Gefühle verändert haben: Vier muslimische Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren führten am vergangenen Sonntag in der Jüdischen Gemeinde Duisburg ein selbst verfasstes Theaterstück auf, das nach einem Besuch des Gemeindezentrums und einer Fahrt nach Auschwitz entstand.

Während sie im Alltag als Multiplikatoren auftreten und Antisemitismus in der Gesellschaft aufdecken, blicken die zwei palästinensischen und zwei türkischen jungen Männer in ihrem Theaterstück zurück in die Vergangenheit. Fünf Szenen haben sie geschrieben, in denen sie Rollen von Juden und deutschen Soldaten übernehmen.

Soziale Kompetenz Die Leistung der Schauspieler wurde bereits nach einer Vorpremiere gewürdigt. Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, Michael Rubinstein, hatte sich das Stück angeschaut und war davon so angetan, dass er eine Aufführung im Gemeindezentrum nur empfehlen konnte. »Die Jugendlichen, die hier auftreten, haben einen großen Schritt in Sachen sozialer Kompetenz gemacht«, lobt auch Patrick Marx, Vorstandsmitglied der Gemeinde. »Sie scheiden als Täter und als Opfer von Diskriminierung aus.« Dafür haben die jungen Männer lange an dem Stück, aber auch an sich selbst gearbeitet. Sie hätten sich oft zurückgezogen, nachgedacht und stundenlang über das Erlebte gesprochen, erzählen sie.

Im Jugendzentrum Zitrone im Duisburger Stadtteil Neumühl verarbeiten die Jugendlichen ihre Eindrücke, die sie bei der Gedenkstättenfahrt sammelten. »Jeder hatte seinen eigenen Ort, der ihn besonders bewegt hat«, erzählt Yusef Chahin. »Bei mir war es die Kinderbaracke in Birkenau«, sagt er und schaut auf den Boden. »Für mich waren es die Gleise. Als wir da standen, konnte ich mir vorstellen, wie die Menschen ankamen«, sagt Mustafa El-Chami. »Was wir in Auschwitz gelernt haben, das lernt man in der Schule nicht. Man muss es gesehen haben, um es zu begreifen«, fasst Muhammed Saat zusammen.

Schreiben Organisiert wurde die Fahrt vom Verein Offene Jugendarbeit Neumühl (OfJu e.V.). Das Konzept sah vor, die Teilnehmer in das Thema einzuführen, mit jungen Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde zusammenzubringen, später nach Auschwitz zu reisen und eine Nachbereitung anzubieten, erklärt Mitarbeiter Maximilian Winterseel. Er war dabei, wenn sich die Gruppe einmal in der Woche traf, um das Stück zu schreiben.

Das geschichtliche Wissen, das den jungen Menschen bei der Führung durch die Synagoge und in Auschwitz vermittelt wurde, soll nun Rüstzeug sein, um Antisemitismus zu entlarven und Unwissende aufklären zu können. Im Alltag, da widerspricht keiner der Jugendlichen, stoßen sie auf Menschen, die das Wort »Jude« provozierend oder auch als Schimpfwort nutzen. »Was machst du heute noch, du Jude?« Das höre man zum Beispiel in den Umkleidekabinen nach dem Sportunterricht, sagt Yasin Üstünay. Früher habe er nicht hingehört, »heute spreche ich die Leute an, aber sie haben dann keine Begründung dafür«.

Projekt Besonders in einer Stadt wie Duisburg, betont Patrick Marx, seien solche Projekte wichtig. »Wer den Lokalteil der Tageszeitungen liest, der weiß, dass es fünf vor zwölf ist.« Die Menschen litten unter der Arbeitslosigkeit, besonders Migranten und Jugendliche: »Wir als Jüdische Gemeinde sind interessiert daran, unseren Beitrag zu leisten, um die Postmigranten aufzuklären und auf einen besseren Weg zu führen.«

Maximilian Winterseel sagt, die vier jungen Männer hätten in der Probenphase immer wieder über das aktuelle Geschehen im Nahen Osten gesprochen. »Man war sich einig darüber, dass Gewaltakte immer zu verurteilen sind, egal von welcher Seite sie ausgehen.« Doch inzwischen betrachteten sie den Konflikt aus einem anderen Blickwinkel und brächten die Gründung des Staates Israel auch mit dem Holocaust in Verbindung. »Wir haben versucht, das Thema Menschenrechte in den Vordergrund zu rücken. Deshalb hat die Gruppe auch gelernt, zu differenzieren und Gründe für bestimmte Vorgehensweisen zu erkennen«, sagt Winterseel.

Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024