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Storytelling

Was ist deine Geschichte?

Ob Journalisten, Flüchtlingshelfer oder »Narrativ-Designer«: Alle Teilnehmer des Wochenendworkshops beschäftigen sich professionell mit Sprache oder Schreiben. Foto: Phelia Barouh

Geschichten zu erzählen, sie von Generation zu Generation weiterzugeben, gehört wohl zum Kern des Judentums. »Geschichten erzählen sicher auch andere Religionen, aber wie unsere Geschichten zum Beispiel an Pessach durch die Speisen erfahrbar werden, ist schon einmalig«, darin sind sich die Teilnehmer des Storytelling-Workshops einig.

Der Ort: ein Berliner Hotel. Der Zeitpunkt: mitten im Sommer in einer hitzigen Debatte. Die Schwerpunktfrage: Unterscheidet sich das Judentum im Geschichtenerzählen von anderen Religionen? »Die Christen haben ja auch Brot und Wein«, meint ein Teilnehmer. »Das ist etwas anderes«, entgegnet ein anderer, »das ist symbolisch, aber bei uns sind die Tränen wirklich zu schmecken.«

Auf Einladung von »Junction«, einer gemeinsamen Initiative des Joint Distribution Committee (JDC), der Schusterman Foundation und der Organisation YESOD haben sich junge Juden aus ganz Europa getroffen, die eins gemeinsam haben: Sie beschäftigen sich professionell mit Storytelling, dem Erzählen von Geschichten.

Schoa Für den Journalisten Miron Tenenberg kommt es auf die Inhalte an: »Ich möchte gerne darüber reden, was ich heiß finde. Ich möchte gerne darüber reden, was ich sexy finde – da draußen in der jüdischen Welt«, fasst der 34-Jährige seine Motivation zusammen. Dass er das kann, ist keine Selbstverständlichkeit, wie er findet, denn erst seine Generation der Juden in Deutschland sei es, die sich in ihren Geschichten langsam vom Holocaust als beherrschendem Thema emanzipiere.

Tenenberg argumentiert vorsichtig, wenn er von »Emanzipation vom Holocaust« spricht, schränkt ein: Nichtjüdische Deutsche, die nicht unmittelbar davon betroffen seien, täten weiter gut daran, sensibel mit dem Thema umzugehen.

Er als Jude, den der Holocaust in seiner Familiengeschichte betrifft, habe das Bedürfnis, »auch mal frech« mit dem Thema umzugehen und »über das Ziel hinauszugehen«: »Ich finde, ich darf zum Beispiel auch sagen, dass der Holocaust irgendwann reicht.« Denn: »Ich kann mich nicht auf Volksbelehrung beschränken, sondern ich möchte gerne darüber reden, was ich gut finde.«

Martin Schubert tritt dafür ein, das Positive in den Vordergrund zu stellen: »Ich habe manchmal diese Reaktion, dass ich es nicht mehr hören kann, wenn irgendwo noch ein Friedhof restauriert wird.« Schubert geht es freilich um Größeres, als nur einzelne Geschichten aus der jüdischen Welt zu erzählen: Der »Narrativ-Designer«, wie er sich selbst auf seiner Visitenkarte nennt, möchte nicht mehr und nicht weniger, als die Deutschen mit ihrer Geschichte zu versöhnen und an der Konstruktion einer neuen nationalen Identität mitzuwirken. Seine Leitfrage zielt auf die Gemeinschaft: »Was kann das Judentum zum Community-Building beitragen?«

Buddha und Nietzsche Als Sohn einer deutsch-jüdischen Familie hat Schubert nach eigenem Bekunden miterleben müssen, was es bedeutet, zwischen den Kulturen zu stehen, »unter Deutschen ein Jude und unter Juden ein Deutscher« zu sein. Die Folge: Schubert kannte sich in beiden Bereichen aus, konnte Deutschen die jüdische oder israelische Sicht auf eine Frage erklären und umgekehrt unter Juden um Verständnis für die deutsche Position werben.

Die Kehrseite: »Irgendwann bist du selber ohne Identität.« Doch »Ziel im Leben ist ja nicht, sehr schlau zu werden oder sehr schöne Geschichten zu erzählen«, findet Schubert, »sondern die eigene Geschichte zu haben«.

Die Suche nach der eigenen Geschichte versucht Schubert in einem Roman darzustellen. Sie führt den Helden der unveröffentlichten Erzählung ebenso wie Schubert im realen Leben zunächst nach Nepal und zu der Erkenntnis, dass jede Kultur einer anderen etwas zu geben hat.

Im Atelier seiner Frau veranstaltet Schubert von Zeit zu Zeit Storytelling-Abende, bei denen Geschichten aus der Tora auf Nietzsche und Buddha treffen. »Dass man einen Wein herumgehen lässt, und dass man wirklich guter Laune ist, dabei Nietzsche und die Bibel liest und ganz offen über spirituelle Sachen redet, das ist eine lebendige Tradition im Judentum, die es so hier nicht gibt. Und das ist eine wunderbare Tradition.«

handpuppen Während Tenenberg und Schubert sich in ihrer Arbeit an deutscher Geschichte und deutschen Geschichten abarbeiten, erlaubt der Blick aus der Fremde der in Israel geborenen Yifat Maor-Tanuschev, ihr Heimatland und dessen nationale Erzählung mit anderen Augen zu betrachten.

»Ich bin demütiger geworden«, berichtet Maor-Tanuschev über die gut elf Jahre, die sie bereits in Berlin lebt. In Israel sei die zionistische Erzählung für sie die ganze Wahrheit gewesen, von außen habe sie erkannt, dass es »nur eine Erzählung« sei: »Die Welt beginnt und endet nicht mit der schlauen Kultur, aus der ich stamme.«

Auch Maor-Tanuschev hat das Geschichtenerzählen inzwischen zu ihrem Beruf gemacht. Über das Netzwerk »Erzähler ohne Grenzen« engagiert sie sich in der Arbeit mit Flüchtlingen. Beim Überwinden von Sprachbarrieren helfen ihr Handpuppen.

weisheit Beim Erzählen von Geschichten greift Maor-Tanuschev auf die jüdischen Geschichten ihrer Vorfahren ebenso zurück wie auf Erzählungen anderer Völker: »Denn Geschichten enthalten Weisheit, und an dieser Weisheit bin ich interessiert. Ich möchte daraus lernen und möchte auch, dass andere mich etwas lehren, indem sie mir ihre Geschichten erzählen oder mir ein neues Verständnis von Menschlichkeit aufzeigen.«

Ihre Geschichten, so will es Maor-Tanuschev, sollen sie mit so vielen Menschen wie möglich verbinden. Wenn sie sich mit ihrer jüdischen Geschichte beschäftige, erzählt sie weiter, suche sie danach, »wo sie für heute relevant ist«.

Und formuliert damit vielleicht ein Leitmotiv, dass die jungen Menschen verbindet, die in Berlin zum Storytelling-Workshop zusammengekommen sind: die Suche nach Relevanz für das eigene Leben, für die eigene Generation.

Seder Passend zu der Frage nach Relevanz, wissen auch die Veranstalter des Seminars eine Geschichte zu erzählen – sie handelt von Pessach. Es ist die Geschichte von der Banane auf dem Sederteller. Sie handelt von einer neuen Tradition, begründet durch den kanadischen Rabbiner Dan Moskovitz.

Die Banane, so beschreibt Moskovitz es selbst in einem Artikel, lag in diesem Jahr in seiner Familie auf dem Sederteller – im Gedenken an die syrische Flüchtlingskrise und die Bilder vom toten Jungen Aylan Kurdi am Strand, die um die Welt gingen. Ein Junge, der sich nach den Erzählungen seines Vaters im vom Krieg zerstörten Syrien jeden Abend über den Luxus einer Banane freute.

An die Geschichte schließt sich eine Übung für die Teilnehmer an, die aus einer Frage besteht: Welches Detail würdet ihr gerne an einer jüdischen Feier ergänzen? Wie also kann diese überlieferte Geschichte relevanter für die Gegenwart gemacht werden?

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