Forschung

War Moses ein Kosmopolit?

Zu Gast in München: René Bloch Foto: Institut für Judaistik, Universität Bern

Forschung

War Moses ein Kosmopolit?

Der Judaist René Bloch sprach über die Deutung biblischer Geschichten aus antiken Quellen

von Ellen Presser  06.12.2018 13:59 Uhr

Yosef Hayim Yerushalmi (1932–2009), Direktor des Center for Jewish and Israel Studies an der Columbia University, war eine außergewöhnliche Forscherpersönlichkeit, woran sich manches Gemeindemitglied, das ihn während seines München-Aufenthalts 1996 erleben durfte, bis heute erinnert.

Sein ehemaliger Doktorand Michael Brenner, In­ha­ber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur, veranstaltet ihm zu Ehren die alljährliche Yerushalmi Lecture, bei der jeweils ein renommierter Wissenschaftler zu seinem Forschungsgebiet spricht. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern fördert dieses Projekt seit seinem Beginn.

VORTRAGSWEISE Diesmal war der gebürtige Schweizer René Bloch zu Gast, der in Basel und Paris studierte und heute Ordinarius für Judaistik am Institut für Judaistik und am Institut für Klassische Philologie der Universität Bern ist. Seine schlafwandlerische Sicherheit in Altgriechisch, Latein, Aramäisch und Hebräisch erschließt ihm und – dank seiner lebendigen, anschaulichen Vortragsweise – seinen Zuhörern die Deutung biblischer Geschichten aus Quellen der Antike.

Eine der wichtigsten Gestalten ist Moses, weil mit ihm der Auszug aus Ägypten und der Gründungsmythos des Volkes Israel verbunden sind. Michael Brenner hatte in seiner Einführung den Yerushalmi-Vortrag als einen »Höhepunkt des Jahres« angekündigt. Und René Bloch löste dieses Versprechen mit seinen Ausführungen zu »Moses als Kosmopolit: Antike jüdische Diasporavorstellungen« glänzend ein.

Es sei alle göttliche Überzeugungskraft nötig gewesen, um Moses zum Exodus zu bewegen. Denn er sei alles andere als ein Kosmopolit, ein Weltbürger im konkreten Sinne, gewesen. Bei dem jüdischen Philosophen Philon von Alexandria liest sich das in seiner zweibändigen Moses-Biografie ganz anders. Neunmal benutzt er den Begriff Kosmopolit und betrachtet Moses als solchen, der in die Welt hinauszieht mit einem beiläufig genannten Ziel, »ohne Pass, ohne Besitz«.

DIASPORA-AUTOR Auch Moses’ nicht lokalisierbares Grab spreche für die Idee des Kosmopolitischen. Griechische und römische Autoren wunderten sich über dieses Ende. Bei ihnen musste ein Volksgründer auch Stadtgründer sein, sodass sie Moses bis nach Jerusalem gelangen ließen. Für einen Diaspora-Autor wie Philon völlig unnötig; zu seinen Lebzeiten – also nicht erst durch die Zerstörung des Zweiten Tempels ausgelöst – wohnten Juden im ganzen Mittelmeerraum.

Die Weltläufigkeit von Moses erläuterte Bloch anhand eines Bildes aus einer Synagoge aus dem 3. Jahrhundert n.d.Z. Moses hatte zwei Mütter, die Amme, die ihn gebar, und die Pharaonentochter, der er eine Erziehung am Hof inklusive »antikem Bildungskanon« verdankte. Zwei Kulturen, zwei Sprachen – das bereitete ihn auf etwas vor, das man heute mit Internationalität oder Kosmopolitentum bezeichnen könnte.

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025

Literatur

Die Zukunft Israels hat längst begonnen

Der Schriftsteller Assaf Gavron stellte im Jüdischen Gemeindezentrum seinen aktuellen Erzählband vor

von Nora Niemann  14.04.2025

Porträt der Woche

Eigene Choreografie

Galyna Kapitanova ist IT-Expertin, Madricha und leitet eine Tanzgruppe

von Alicia Rust  14.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Kaiserslautern

»Jetzt beginnt etwas Neues«

Mehr als fünf Jahre hat sich die Sanierung des Gemeindehauses der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz in Kaiserslautern hingezogen. Am Sonntag wurde das Zentrum mit der neu gestalteten Synagoge seiner Bestimmung übergeben

von Joachim Schwitalla  11.04.2025 Aktualisiert

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Erinnerungen

Als Charlotte Knobloch ihren ersten Kaugummi aß

Als jüdisches Mädchen überlebte sie die Nazizeit in einem Versteck, bis die Amerikaner ins Dorf kamen. Für Charlotte Knobloch ist das Kriegsende mit süßen und dramatischen Erinnerungen verbunden

 11.04.2025

Pessach

Lang, länger, Seder

Schnell mal eben feiern? Von wegen. Für den ersten Abend muss man sich Zeit nehmen – warum eigentlich? Und wie kommen alle gut unterhalten bis zum Afikoman? Wir haben nachgefragt

von Katrin Richter  11.04.2025

Pessach

Kraft und Zuversicht

Das jüdische Volk war von jeher stark und widerstandsfähig – wir werden auch die Herausforderungen der heutigen Zeit bestehen

von Charlotte Knobloch  11.04.2025