Berlin

Wagnis Erinnerungskultur

Es war kein einfaches Thema, das am Dienstag in Berlin zur Diskussion stand. Denn der Tagungstitel lautete: »Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen«. Der Titel ist zugleich synonym mit der These Nummer 13 der Initiative Kulturelle Integration, einem Zusammenschluss von 23 großen Organisationen der Zivilgesellschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften, darunter auch der Zentralrat der Juden in Deutschland.

Sie alle beschäftigen sich mit Konzepten, auf welche Weise Kultur einen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt aller in Deutschland lebenden Menschen leisten kann. Anlässlich des weltweiten Erinnerns an den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz drehte sich in den Räumen des Deutschlandfunks alles um die Frage: Wie kann das Erinnern aussehen, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt?

komplexität Die Komplexität dieser Problematik sprach Hans Dieter Heimendahl bereits in seiner Begrüßungsansprache an. »Es gibt einfach keine geradlinige Auseinandersetzung mit der Geschichte, bei der man dann am Ende seine Lektion gelernt hat«, sagte der Programmchef Deutschlandfunk Kultur.

Als Stimme der Politik meldete sich auch Staatsministerin Annette Widmann-Mauz zu Wort.

Als Stimme der Politik meldete sich auch Staatsministerin Annette Widmann-Mauz zu Wort. »Verpflichtung der Politik ist es, sich gegen die Schlussstrichforderungen der Rechtspopulisten zur Wehr zu setzen und eine Wende der Erinnerungspolitik um 180 Grad, die sie fordern, zu verhindern«, betonte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

»Es geht immer auch um Anstand und gegenseitige Achtung.« Dabei sollten Toleranz und Akzeptanz nicht nur als Einbahnstraße begriffen werden, weshalb Menschen mit Migrationshintergrund ebenfalls angesprochen werden müssen. »Genau darum unterstützen wir auch Projekte wie Schalom Aleikum, die den jüdisch-muslimischen Dialog voranbringen«, betonte die Staatsministerin.

perspektive Aus jüdischer Perspektive brachte Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, einige sehr persönliche Gedanken in die Debatte ein. »Für uns ist das Geschehen noch immer sehr nah«, sagte Dainow. »In jeder Familie ist die Schoa präsent.« Doch die Erinnerung kann auch hier unterschiedlich ausgeprägt sein. »Es gibt Familien, bei denen etwa die Großeltern in Auschwitz ermordet wurden. Und es gibt Familien, deren Großvater mit der Roten Armee Auschwitz befreite.«

Doch auch diejenigen, die eine Art »Siegernarrativ« kennen, haben in der Regel viele Opfer zu beklagen. Darüber hinaus verwies Dainow auf die große Bedeutung von Gedenkstätten. »Wenn junge Menschen auch emotional erreicht werden, wenn sie berührt sind von den Erinnerungen eines Zeitzeugen, von einem authentischen Ort – dann entsteht auch ein Verantwortungsgefühl.«

Dass die Ereignisse der Schoa gerade im Begriff sind, sich von einer erlebten Erinnerung in eine historische zu verwandeln, darüber herrschte auf der Tagung weitestgehend Konsens.

Dass die Ereignisse der Schoa gerade im Begriff sind, sich von einer erlebten Erinnerung in eine historische zu verwandeln, darüber herrschte auf der Tagung weitestgehend Konsens. »Was bedeutet das aber für die alte Forderung der Überlebenden und der politisch Verantwortlichen nach dem ›Nie wieder!‹?«, fragte Aleida Assmann, Literaturwissenschaftlerin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2018. Sie verwies dabei auf den Ansatz, Erinnerungen zu digitalisieren, beispielsweise Zeitzeugen als Hologramme auftreten zu lassen. Aber so einfach funktioniert das nicht.

Für sie ist deshalb der Aspekt der Empathiefähigkeit des Zielpublikums von ganz zentraler Bedeutung. »Denn unabhängig davon, ob es sich um eine zeitliche Verlängerung der Erinnerung in Gestalt von Büchern, Filmen oder eben auch Hologrammen handelt, letztendlich sind und bleiben wir alle ihr Resonanzboden.«

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