Meistens wechselt Lisa Reineke die Straßenseite – damit sie an den Stolpersteinen vorbeikommt, die auf ihre Initiative hin verlegt worden sind. Speziell die Lebensläufe, die sich hinter den Steinen vor Stierstraße 3 verbergen, haben es ihr angetan. »Ihr Schicksal lässt micht nicht los, meine innere Verbindung zu ihnen bleibt.« Vor fünf Jahren stieß sie in der Ausstellung »Wir waren Nachbarn« im Schöneberger Rathaus auf die Namen Margarete und Clara Wanda Rothe sowie Julius Schulvater. Sie wollte mehr über diese drei Menschen wissen, die ihren letzten Wohnsitz in der Stierstraße in Schöneberg-Friedenau hatten und von dort in ein Lager deportiert und ermordet wurden. Reineke fuhr in das Archiv nach Potsdam und recherchierte in den Vermögensnachlässen. Sie beschloss damals, in Eigenregie vor dem Haus ein Denkmal anbringen zu lassen. Per Flugblatt lud sie zur Übergabe an die Öffentlichkeit ein – es kamen mehr als 60 Interessierte.
Stolpersteine Mit diesen drei Stolpersteinen fing es an – mittlerweile sind 39 verlegt worden. Am 19. August, 17 Uhr, werden die nächsten drei der Öffentlichkeit übergeben. Sie sollen an Nathan und Nechuma sowie ihre Kinder Charlotte und Leo Kerz erinnern, die ein Modegeschäft hatten. Inzwischen ist Lisa Reineke nicht mehr allein aktiv, da sie und zwölf andere aus dem Kiez sich zur »Initiativgruppe Stolpersteine Stierstraße« zusammengetan haben. Denn auch einige Mitglieder der Kirchengemeinde hatten vor fünf Jahren die Ausstellung besucht und festgestellt, dass viele der Deportierten auf dem Gelände gelebt hatten, auf dem sich heute die Kirche der Phillippusgemeinde befindet. Für die Kosten kommen die Mitglieder selbst auf.
Doch die Steinverlegung allein reicht ihnen nicht. Wichtig sei für sie, auch Dokumentationen über die Schicksale zu erstellen, so Initiativmitglied Petra Fritsche. Deshalb suche sie Archive auf, um nach Unterlagen über die Menschen zu forschen. Auch bemühe sie sich, Angehörige ausfindig zu machen und sie zur Übergabe einzuladen. »Von den früheren jüdischen Nachbarn in der Stierstraße kennen wir bisher keine persönlichen Unterlagen – keine Notizen, keine Briefe, keine Fotos. Wir fanden stattdessen Zeugnisse zum Überleben und Sterben des Hausbewohner überwiegend in den Akten der Nazi-Behörden – bürokratische Vermerke über die Wege in den Tod«, sagt Lisa Reineke. In fast allen Häusern hätten damals Juden gelebt. In der Stierstraße 21 war im ersten Stock zudem eine Synagoge eingerichtet worden.
Es gibt durchaus auch Anwohner, die die Initiative ablehnen und Flugblätter »gegen das Gedenken« verteilen. Nachdem sogar ein Stein beschädigt worden ist, erstattete die Gruppe Anzeige gegen Unbekannt.