Stavenhagen

Vor dem Verfall gerettet

Alte Synagoge in Stavenhagen Foto: Axel Seitz

Von Weitem sieht es aus wie ein einfaches Holzbrett, doch diese waagerecht in die Wand eingelassene Bohle ist der letzte Teil, der daran erinnert, worum es sich bei dem Fachwerkbau auf dem Hinterhof der Malchiner Straße 34 handelt – hier steht die ehemalige Synagoge von Stavenhagen.

»Sechs solcher Lesepulte waren hier, und auf der anderen Seite ebenfalls sechs«, erzählt Klaus Salewski. Der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins »Alte Synagoge Stavenhagen« weiß nicht, wie das jüdische Gotteshaus innen einmal ausgesehen hat: »Es gibt keine Fotos mehr vom Originalzustand. Die ältesten Bilder, die wir haben, zeigen den völlig zerstörten Zustand des Gebäudes aus den 80er-Jahren.« Zu diesem Zeitpunkt stand die Synagoge bereits rund zwei Jahrzehnte lang leer, seit 1942 beteten hier keine Juden mehr. Die Synagoge wurde als Tischlerwerkstatt genutzt.

Tradition Die Stadt des bedeutenden niederdeutschen Schriftstellers Fritz Reuter blickt auf eine fast 200 Jahre währende jüdische Tradition zurück. 1760 durften sich die ersten Juden in Stavenhagen niederlassen, die Gemeinde wuchs und errichtete bis 1820 die Synagoge. Mitte des 19. Jahrhunderts wohnten in dem Ort fast 150 Juden, damit gehörte die jüdische Gemeinde zu den fünf größten Mecklenburgs. Bis zur Jahrhundertwende verließen, wie in anderen Kleinstädten der Region, viele jüdische Familien auch Stavenhagen.

Als während der Pogromnacht 1938 die Synagoge angezündet wurde, zählte die Gemeinde noch 13 Mitglieder. Zwar konnte das Feuer an jenem Novembertag von einem Nachbarn gelöscht werden – er hatte Angst um sein eigenes Haus –, doch ein halbes Jahr später musste die Gemeinde auf staatlichen Druck hin die Synagoge verkaufen. Die letzten acht Juden Stavenhagens wurden im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert, ein weiteres 82-jähriges Gemeindemitglied zog nach Hamburg. Die Geschichte des jüdischen Stavenhagen war damit beendet.

Sanierung Nach der Wiedervereinigung 1990 konnte das zusehends verfallene Haus notdürftig gesichert werden, doch erst nach einer Einigung mit den Eigentümern durfte sich der 2011 gegründete Förderverein »Alte Synagoge Stavenhagen« daranmachen, das Gebäude zu retten. Im Dezember 2013 begannen die Sanierungsarbeiten. »Es war hochgefährlich, dieses Gebäude zu betreten und überhaupt nur einen Balken herauszunehmen. Es hätte auch wie ein Kartenhaus zusammenfallen können«, erinnert sich Wolfgang Hicke, dessen Baufirma an der Rettungsmaßnahme beteiligt war.

Rückblickend ist sich Hicke sicher, das Gebäude hatte »uns noch eine letzte Chance eingeräumt«. Zweieinhalb Jahre später sind Dach und Fachwerk erneuert, graue Fenster und Türen eingesetzt, die Decke innen in einem kräftigen Blau gestrichen, die Wände weiß. Noch fehlt die Treppe zur Frauenempore, und draußen muss noch aufgeräumt werden.

Ausstellung »Wir sind guter Hoffnung, dass wir im Oktober, November endgültig fertig sind«, sagt Klaus Salewski. Dann soll die ehemalige Synagoge eine Stätte der Begegnung mit Konzerten, Filmabenden und anderen kulturellen Veranstaltungen werden. Im Mittelpunkt steht jedoch eine Ausstellung über die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Stavenhagen, aber auch über jüdische Künstler, Wissenschaftler und Handwerker aus Mecklenburg und Vorpommern. Der Förderverein mit Mitgliedern aus ganz Deutschland und sogar dem niederländischen Enschede sammelt bereits eifrig.

Salewski erinnert sich, was Landesrabbiner William Wolff bei der Gründung des Vereins gesagt hatte. Gedenkstätten gebe es genug, aber gebraucht würden Stätten der Erinnerung. Und wenn sich heute Stavenhagen seiner ehemaligen jüdischen Einwohner erinnere, sei das der richtige Weg, sagte Wolff damals. Knapp acht Jahrzehnte nach dem letzten Gottesdienst erlebt die Synagoge einen kulturellen Neuanfang, mitten in der Stadt, mitten in der Gesellschaft.

Chanukka-Umfrage

»Wir brauchen das Licht«

Was für Lieblingssymbole haben Gemeindemitglieder? Und wie verbringen Familien das Fest, wenn ein Partner Weihnachten feiern möchte? Wir haben nachgefragt

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt  25.12.2024

Berlin

Wenn Hass real wird

Die Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen Einfluss sozialer Medien

von Alicia Rust  23.12.2024

Interview

»Wir sind neugierig aufeinander«

Amnon Seelig über die erste Konferenz des Kantorenverbandes, Lampenfieber und das Projekt Call a Kantor

von Christine Schmitt  22.12.2024

Porträt der Woche

Ein Signal senden

David Cohen ist Geschäftsführer eines Unternehmens und setzt sich gegen Judenhass ein

von Matthias Messmer  22.12.2024

Soziale Medien

In 280 Zeichen

Warum sind Rabbinerinnen und Rabbiner auf X, Instagram oder Facebook – und warum nicht? Wir haben einige gefragt

von Katrin Richter  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Ehrung

Verdiente Würdigung

Auf der Veranstaltung »Drei Tage für uns« wurde der Rechtsanwalt Christoph Rückel ausgezeichnet

von Luis Gruhler  19.12.2024