Debatte

Von Wien nach Karl-Marx-Stadt

George Kohler befragte Marion Brasch, Anetta Kahane und André Herzberg (v.l.). Foto: Immanuel Marcus

Ein bislang viel zu wenig beachtetes Thema stand vergangene Woche bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel »Ostdeutsche Juden: Emanzipation von der Geschichte« im Klaus Mangold Auditorium der Berliner W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums auf dem Programm: Wie lebte es sich als Jüdin oder Jude in der Deutschen Demokratischen Republik? Drei Zeitzeugen, die Autorin Anetta Kahane, ihre Kollegin Marion Brasch sowie der Musiker und Buchautor André Herzberg sprachen über ihre persönlichen Erfahrungen.

Die Familien aller drei Teilnehmer der von George Kohler moderierten Diskussion kehrten nach dem Krieg zurück – und zwar in die Sowjetische Besatzungszone beziehungsweise in die DDR. In manchen jüdischen Familien, wie der von Anetta Kahane, wurden große Fragen diskutiert: »Wieso Ost-Berlin? Seid ihr denn bescheuert?«

Mutter Für andere Juden ging es weniger darum, dass sie nun in der kommunistischen DDR lebten, sondern eher um die Frage, warum sie ausgerechnet nach Deutschland zurückkehren mussten, ins Land der Täter. Dies war in der Familie von Marion Brasch Thema. Bei André Herzberg war es die Mutter, die bei Spaziergängen auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee die Frage stellte: »Warum hier?« Sein Vater sah dies anders. »Er war 250-prozentig«, so Herzberg.

Jüdische Kommunisten, die hinter der DDR standen, gab es durchaus. In vielen Fällen setzte sich erst spät die Erkenntnis durch, dass im Arbeiter- und Bauernstaat etwas nicht stimmte. »Bei meinen Eltern war es unentschieden«, sagte Kahane.

Marion Brasch erzählte von ihrem Vater, der das Judentum aufgrund der Heirat seiner Mutter mit seinem katholischen Stiefvater ablegte: »Er ist zum Katholizismus konvertiert – und dann nochmal, zum Kommunismus.« Anders verhielt es sich mit ihrer Mutter. Sie kam aus einer großbürgerlichen, jüdischen Familie aus dem 1. Bezirk in Wien und verhielt sich entsprechend. »Sie hat ihren 1. Bezirk dann mit nach Karl-Marx-Stadt genommen« und habe selbst als Kommunistin eine Abneigung gegen die DDR gezeigt.

Synagoge André Herzbergs Mutter war »auf der einen Seite eine sehr politische Person. Sie war Staatsanwältin, also hat sie Leute in den Knast gebracht. Auf der anderen Seite sind wir in die Synagoge gegangen, in der Rykestraße«. Herzberg selbst, der Sänger der Band Pankow war, hatte ein Privileg: Er konnte aufgrund seiner Prominenz und seiner Konzerte in den Westen fahren. Diese Reisen seien sein Ventil gewesen. »So nahm ich die DDR immer mehr als offene Psychiatrie wahr.« Erst nach der Wende habe er sich gefragt: »Warum bin ich nicht gegangen?«

»Ich habe sehr gut funktioniert«, sagt Marion Brasch. »Meine Brüder haben rebelliert, aber ich nicht. In der Familie war es mein Job, nicht zu rebellieren.«

Anetta Kahane steckte derweil ihr Leben lang »in einer etwas vernebelten Wolke«, wie sie es auf dem Podium formulierte. »Es war eine Art Unklarheit, Diffusität, in einer Welt, in der ich immer dachte, hier stimmt etwas nicht.« Dann wurde ihr klar, »dass die DDR voll war von alten Nazis. Es war eine Nachfolgegesellschaft des Nationalsozialismus«. Die Behauptung ihrer Eltern, wonach alle DDR-Bürger Antifaschisten gewesen seien, »stimmte einfach nicht«. Als Dolmetscherin begleitete Kahane »Genossen« nach Afrika. Diese seien ihr dort allerdings durch »ungebrochenen Rassismus« aufgefallen. »Damit war die DDR für mich erledigt.« Imanuel Marcus

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  03.07.2025

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert

Interview

Das hilft wirklich gegen zu viel Hitze und Sonne

Yael Adler über die Frage, wie wir uns am besten schützen können und was wir im Sommer von den Israelis lernen können

von Philipp Peyman Engel  02.07.2025 Aktualisiert

Bayern

Als Rassist und Antisemit im Polizeidienst? Möglich ist es …

Der Verwaltungsgerichtshof München hat geurteilt, dass Beamte sich im privaten Rahmen verfassungsfeindlich äußern dürfen, ohne deswegen mit Konsequenzen rechnen zu müssen

von Michael Thaidigsmann  01.07.2025

München

Gedenken in schwerer Zeit

Die Stadt erinnerte an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die Angehörigen aus Israel konnten wegen des Krieges nicht anreisen

von Luis Gruhler  01.07.2025