An einem der letzten Sommertage feierte die Jüdische Gemeinde in Frankfurt am vergangenen Sonntag das 75. Jubiläum ihrer Wiederbegründung. »Hereinspaziert!« hieß es, ein Motto, das auch dem jüngst verstorbenen Vorstandsmitglied Harry Schnabel sel. A. gefallen hätte, dem bei dieser Gelegenheit Gemeindemitglieder, Präsidiums- und Direktoriumsmitglieder des Zentralrats und Besucher gedachten. Vorstandsmitglied Marc Grünbaum sagte: »Trauer und Freude liegen oft ganz nah beieinander – so auch heute.«
75 Jahre Jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main, das sei »ein bisschen wie ein Wunder«, so Grünbaum weiter. »Wir sind stolz auf unsere Gemeinde und auf das, was wir und diejenigen, die vor uns Verantwortung getragen haben, aufgebaut haben.«
wunder Auch Angela Dorn, Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst, schloss sich dem an. Größe und Vielfalt der Gemeinde seien in der Tat ein Wunder, das aber auch Verantwortung mit sich bringe. Sie nahm Bezug auf die antisemitischen Vorfälle rund um die documenta 15. Dabei fiel auch der Name Harry Schnabel – »ein kritischer Geist, eine aufrichtige Stimme« –, mit dem Dorn damals intensive Gespräche zu den Vorkommnissen in Kassel geführt habe.
Oberbürgermeister Mike Josef sprach davon, dass trotz des Jubiläums »sicheres jüdisches Leben auch heute noch nicht selbstverständlich« sei. Es gelte weiterhin, Brücken zu bauen – auch solche, die Harry Schnabel gebaut hat. Die Stadt verdanke der Gemeinde, die von einigen Hundert Mitgliedern nach dem Krieg auf etwa 6700 angewachsen ist, sehr viel. Ihre Sicherheit müsse angesichts des wachsenden Antisemitismus gewährleistet bleiben.
Bunte Aufkleber, auf denen »Mazel Tov 75« und »Hereinspaziert!« zu lesen war, verzierten den Hof und luden zum Mitfeiern ein. Im Foyer wurden die Gäste begrüßt von einem Kunstprojekt der Kinder- und Jugend-Aliyah, bei dem aus kleinen Steinen gemeinsam ein Mosaik angefertigt wurde. Zudem wurde die neue App der Gemeinde vorgestellt. Auch für Kinder gab es viel zu entdecken. In der Pop-up-Ausstellung Blickwinkel wurden Fotografien zum Thema »Mein Sommer«, »Mein Frankfurt« oder »Mein Lieblingsmoment« gezeigt. Riki Zaltzman erklärte unterdessen Interessierten, wie man den eigenen Namen auf Hebräisch schreibt.
gemeindezentrum Im Innenhof des Gemeindezentrums gab es zahlreiche Speisen und Getränke – von Falafel aus »Sohar’s Koscher Restaurant« über Rugelach von »Pazit’s Kosher Bakery« bis hin zu einer mobilen Kaffeebar vor der Gemeinde. Auf der Bühne performte »Sharon Brauner & The Goy Boys« und brachte schon am Nachmittag die Leute zum Tanzen und Mitsingen, ebenso wie zum Schluss die bekannte Lehrer-Band »The Lichtigfeldbro’sis« der I. E. Lichtigfeld-Schule.
Höhepunkt des Festes war die gemeinsame Inszenierung des Liedes »Chai« mit der berühmten Gruppe »Koolulam«, die Harry Schnabel gewidmet war. »Nach unserem Glauben lebt die Seele nach dem Tod weiter, und deswegen ist auch Harry hier und jetzt bei uns und feiert mit uns das Leben«, so Grünbaum.
Adi von Koolulam musste Geduld beweisen, als die verschiedenen Stimmen eingeübt wurden. Doch in knapp einer Stunde war es geschafft: In nur drei Takes trugen die Beteiligten einen beeindruckenden Kanon vor.
Die Aktivitäten, die alle auch nach der Festveranstaltung über die sozialen Kanäle der Gemeinde zu sehen sein werden, zeigen eine Gemeinschaft, singend und lachend, aber auch ernst in der gemeinsamen Trauer, die mit Stolz in die Zukunft schaut.