In diesen Tagen ist viel von Weihnachten die Rede, wie in diesem Jahr gefeiert, wie eingeschränkt und anders es sein wird als sonst. Die Einschränkungen betreffen auch uns jüdische Familien, und zwar bei Chanukka, das in diesem Jahr am Abend des 10. Dezember beginnt. Größere Familienfeiern wird es wegen Corona nicht geben, weil der Schutz des Lebens für uns oberstes Gebot ist, hat Zentralratspräsident Josef Schuster zu Recht erklärt.
Immerhin gibt es wieder größere jüdische Familien. Das war in den 50er-Jahren in Ost wie West nicht der Fall. Von den wenigen jüdischen Familien, die es beispielsweise in Ost-Berlin gab, waren es noch weniger, die nicht Weihnachten, sondern Chanukka feierten. Dass meine dazugehörte, ist das Verdienst meiner Eltern, die der Meinung waren, man müsse sich konsequent zu seiner Tradition bekennen.
Spannung So wurden vollkommen selbstverständlich zu Chanukka an jedem der acht Tage Kerzen des Chanukkaleuchters gezündet. Das Privileg, dies zu tun, war im Wesentlichen meinem Vater vorbehalten, der sich danach ans Klavier setzte und die Chanukka-Hymne spielte, mit uns die fünf Strophen sang, ja, sogar noch eine Strophe hinzufügte, weil sie – wenn auch klein gedruckt und in Klammern – im Gebetbuch stand. Das erhöhte am ersten Tag die Spannung, bis meine Schwester und ich unsere Geschenke erhielten.
Nach dem Lichterzünden setzte sich der Vater ans Klavier und sang gemeinsam mit seiner Familie die fünf Strophen der Chanukka-Hymne.
Alljährlich gab es bei uns zu Hause eine Diskussion, die erst mit dem dritten Licht von Bedeutung war, darüber, wie denn nun die Kerzen anzuzünden sind: von links nach rechts oder von rechts nach links. Vermutlich war es meine Mutter, die aus ihrem Elternhaus eine weitere Variante in die Diskussion einbrachte, und zwar: Erst wird das neueste Licht gezündet, und dann die anderen Kerzen von rechts nach links.
Ich erinnere mich, dass im Verlaufe einer Diskussion über dieses so wichtige Thema – es muss um 1960 gewesen sein – mein Vater vorschlug, ich möge doch Rabbiner Martin Riesenburger, bei dem ich Religionsunterricht hatte, anrufen und ihn fragen, was denn nun richtig sei.
Religionsheft An seine Antwort kann ich mich zwar nicht erinnern, aber ich kann sie rekonstruieren: In mein Heft, das vom Religionsunterricht stammt und das ich vor wenigen Tagen beim Aufräumen fand, hat es mir Riesenburger hineingeschrieben. Unter der Überschrift »Die Ordnung des Anzündens der Chanukka-Lichte« schrieb er:
»Kapitel 139, Absatz 11: Bei uns ist folgendes gebräuchlich: In der ersten Nacht zündet man das Licht an, das einem rechts gegenüber steht; in der zweiten Nacht fügt man links davon eins hinzu, und so in jeder Nacht weiter fügt man links ein Licht hinzu, das Neuhinzugefügte zündet man immer zuerst an und wendet sich nach rechts weiter.« Die Kapitel und Absatzangabe beziehen sich auf den Kizzur Schulchan Aruch, jenes Werk, das die religionsgesetzlichen Bestimmungen für das jüdische Leben beinhaltet.
Die in meinem Elternhaus geführte Diskussion wird sicher auch in diesem Jahr in unserer Familie geführt.
Der Autor war von 1988 bis 2015 Direktor des Centrum Judaicum.