Wie schnell doch alles gegangen ist: Ende Dezember vorigen Jahres wurden in den jüdischen Gemeinden viele Pläne für 2020 gemacht – und nur wenige Wochen später mussten die meisten der mit viel Vorfreude erwarteten Veranstaltungen und Feiern wegen Corona abgesagt werden. Wie aber plant man ein Jahr, wenn man noch gar nicht weiß, wann der Shutdown endet und Gottesdienste oder Events wieder ohne Einschränkungen stattfinden können?
In Saarbücken stehen 2021 gleich zwei Jubiläen an: Die Neugründung der Jüdischen Gemeinde wird sich zum 75. Mal jähren, und vor 70 Jahren wurde die Synagoge neu eröffnet. Geplant ist eine Festveranstaltung mit geladenen Gästen, verrät Ricarda Kunger, Vorsitzende der Synagogengemeinde Saar. »Im Moment laufen Vorgespräche, am 13. Januar werden wir dann erste Ergebnisse haben.«
Jubiläum Auch an »Sukkot XXL« werde man sich beteiligen, ebenso wie an den anderen Feierlichkeiten zu »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. Durch die Pandemie sei »alles eine große Kraftanstrengung, wir verlieren jedoch den Optimismus nicht«, sagt Ricarda Kunger.
Wie vielerorts wurden auch in Saarbrücken die Gottesdienste ausgesetzt, »Kantor, Vorstand und Gemeinderat haben das gemeinsam beschlossen«, erklärt die Nachfolgerin des langjährigen Gemeindevorsitzenden Richard Bermann. »Wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitgliedern, vor allem die älteren Menschen haben überdies begreiflicherweise oft Angst, Busse und Bahnen zu benutzen, denn gerade bei denjenigen, die Vorerkrankungen haben, ist das Risiko einfach zu hoch.«
Ihr besonderer Wunsch für 2021 ist es, »die Jugendarbeit zu forcieren«, sagt die Vorsitzende, »Kinder und Jugendliche in die digitale Welt zu begleiten. Wir sind sehr glücklich über die Unterstützung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST), was die Ausstattung mit Tablets angeht – das Gemeindeleben bei der Jugend zu aktivieren, ist uns sehr wichtig«.
Auch eine Vertiefung des interreligiösen Dialogs gehört zu Kungers Wünschen, »aber im Moment – mitten in der Pandemie – sind das Träume und Gedanken, die vielleicht eher mittelfristig in Erfüllung gehen«.
Zukunftsfragen Das große derzeitige Problem sei, »dass wir alle gar nicht wissen, was noch auf uns zukommt«, sagt Leonid Goldberg, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal. »Ich hoffe natürlich sehr, dass wir ab dem 10. Januar wieder schrittweise mit dem normalen Gemeindeleben beginnen können, aber ob das wirklich möglich sein wird, weiß niemand.«
Die Gottesdienste wurden abgesagt. »Wir wollten die Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitglieder nicht auf uns nehmen«, sagt Goldberg. Wuppertal sei schließlich »eine sehr lang gezogene Stadt«, die Menschen müssten öffentliche Verkehrsmittel nutzen und in überfüllten Bussen und Bahnen sitzen oder stehen.
»Das Gemeindeleben bei der Jugend zu aktivieren, ist uns sehr wichtig.«
Ricarda Kunger, Vorsitzende der Synagogengemeinde Saar
Ein großes Vorhaben wird momentan aber geplant, auf dessen Realisierung sich Goldberg schon sehr freut: »Wir wollen unser altes Haus, das 1914 als jüdisches Altenheim eingeweiht wurde, sanieren und umbauen.« Dort sollen altersgerechte Wohnungen für Gemeindemitglieder entstehen. »In den ehemaligen Büroräumen im Erdgeschoss wäre Platz für einen Pflegedienst oder eine Arztpraxis.« Fertig wird der Bau allerdings vermutlich erst im übernächsten Jahr. »Viele Senioren wohnen derzeit auf verschiedene Stadtteile verstreut. Sie sind sehr selten in Altersheimen untergebracht, ein solches Wohnhaus würde ihnen viele Möglichkeiten bieten«, sagt Goldberg.
Die Wuppertaler Gemeinde plant den Ausbau des ehemaligen jüdischen Altenheims.
Einen großen Wunsch habe die Gemeinde noch, sagt Goldberg, ohne zu zögern: »Als unsere Synagoge vor 19 Jahren eingeweiht wurde, habe ich damals den Wunsch geäußert, dass die Polizei nicht mehr bei uns vor der Tür stehen muss, weil es keinen Anlass mehr dazu gibt.«
Alle Gemeinden wünschten sich das, »aber wir müssen realistisch bleiben, es geht einfach nicht ohne Schutz. Hier in Nordrhein-Westfalen ist die Polizei zum Glück immer anwesend und für uns da, und wir haben einen ganz kurzen Draht zu ihr.«
Leibniz »Wir wollen vieles machen, aber vieles können wir nicht machen«, umreißt Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, die Situation, in der sich die Gemeinden wegen der Pandemie befinden. 2021 wird »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« gefeiert, »wir werden uns daran natürlich vielfältig beteiligen, aber die genauen Details können wir noch nicht bekannt geben, dazu ist es noch ein bisschen zu früh«.
Manches sei überdies coronabedingt derzeit nicht planbar. »Wir würden zum Beispiel gern noch einmal eine Lesung des Religionsgesprächs zwischen Leibniz und Rabbinern von 1704 wiederholen, wie sie vor drei Jahren im Rahmen der Leibniz-Festtage in Hannover stattfand, aber wann solche öffentlichen Veranstaltungen wieder möglich sind, weiß momentan niemand.«
In Hannover steht darüber hinaus ebenfalls ein Bauvorhaben an. »Die 1962 ausreichenden Räume der Gemeinde wollen wir umbauen und erweitern«, berichtet Fürst. »Damals hatte die Gemeinde 350 Mitglieder, nun sind es rund 4500. Die Kapazitäten reichen einfach nicht mehr, es kommen viel mehr Menschen zu den Veranstaltungen, und dem müssen wir Rechnung tragen.« Kleinere Vorbereitungstreffen gab es bereits. »Wir sind aber noch in der Planungsphase.«
Einen großen Traum für die niedersächsischen Gemeinden hat Michael Fürst aber auch: »Dass sich viel mehr junge Menschen engagieren, das wünsche ich mir sehr. Die Jugendarbeit zu intensivieren und Jugendzentren aufzubauen, das wäre wirklich wichtig, und natürlich auch Rabbiner, die die jungen Menschen dafür begeistern, mitzuarbeiten.«
Familiengeschichten In Flensburg hat man vor allem im Hinblick auf die 1700-Jahr-Feier bereits eine Menge Pläne für das kommende Jahr, wie Gemeindevorsitzende Elena Sokolovky erzählt. »Wir planen, während des ganzen Jahres verschiedene Aktivitäten und Veranstaltungen mit Berücksichtigung der jüdischen Feiertage und Schabbatgottesdienste durchzuführen.« Dazu gehört auch das ab Januar 2021 startende Projekt »Die Geschichten unserer Familien müssen nach uns weiterleben«. Dazu werden Gemeindemitglieder interviewt und Familienfotos gesammelt werden. »Die Informationen und Materialien werden anschließend bearbeitet und am Ende als Buch erscheinen.«
KULTURTAGE Vom 7. bis 30. Juni werden in Flensburg unter der Schirmherrschaft der Stadt überdies die Jüdischen Kulturtage stattfinden. Geplant sind unter anderem Konzerte, Vorträge und ein koscherer Kochkurs. Ausfallen muss wegen Corona dagegen die öffentliche Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.
Auch in der Jüdischen Gemeinde Bochum, Herne, Hattingen werden die Feiern zu 1700 Jahren jüdisches Leben ein Thema sein. »Wir sind noch in der Vorbereitungsphase«, sagt Geschäftsführer Alexander Chraga, »deswegen kann ich heute noch nicht verbindlich sagen, was wir 2021 planen. Ein Traum wäre es, wenn wir ein Heim für die älteren Gemeindemitglieder anbieten könnten, also konkret: Betreutes Wohnen«, verrät er jedoch. Im Moment sei daran aber nicht zu denken: »Wie so einiges ist das nur im Kopf möglich, Corona macht eben durch vieles einen Strich.«
Realität wird aber hoffentlich ein anderer Wunsch werden: Die Gemeinde will einen eigenen Rabbiner und ist bereits im Gespräch mit einem Rabbinerstudenten.