Sie haben Blätter, Äste, Stämme, und wer schon einmal in sie hineingesehen hat, der weiß: Bäume haben auch Ringe. Für jedes Lebensjahr gibt es einen dazu. Und: Ein Baum hat sogar einen richtigen Ehrentag, nämlich Tu Bischwat. Dieser Tag fällt immer auf den 15. Tag des Monats Schwat. In Israel gibt es Feste rund um die grünen Alleskönner; Jung und Alt pflanzen Setzlinge. Und wie begehen Jüdinnen und Juden in Deutschland den Tag? Wir haben uns umgehört.
Natascha Tamarkina, Stuttgart
Ich denke, dass jeder neu gepflanzte Baum unseren Planeten klimafreundlicher macht. Jeder Baum trägt etwas bei: Früchte, Baumaterial, Schatten oder einfach etwas Schönes fürs Auge. Und jeder Baum symbolisiert ein neues Leben. Ich kann nicht sagen, welcher Baum mein Lieblingsbaum ist. Ich mag sie alle. Und ich finde, dass Tu Bischwat einer der gesündesten Feiertage in unserem Kalender ist – man sollte jeden Tag Früchte essen. Der Tag symbolisiert für mich eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft – am 15. Schwat 1949 kam in Jerusalem das erste Mal die verfassungsgebende Versammlung (später Knesset genannt) zusammen. Ich komme aus einer Familie, in der dank meiner Großmutter die jüdischen Feiertage begangen werden. Aber sie hat uns die Bedeutung nicht erklärt. Die ganze Bedeutung von Tu Bischwat habe ich erst als Erwachsene verstanden, als meine Familie und ich nach Deutschland kamen.
Giorgio Paolo Mastropaolo, Hamburg
Für mich ist Tu Bischwat eine Zwischenheit, in der ich den Umgang der Menschen mit der Umwelt reflektiere. Ich liebe den Olivenbaum, weil er langsam wächst und mich daran erinnert, mich täglich meinen Lebensaufgaben zu stellen. Unser Familienbaum ist die italienische Feige, weil es köstlich ist, morgens eine frisch gepflückte Feige im Garten zu genießen. Außerdem ist Tu Bischwat für mich die Aufgabe, täglich die Schöpfung zu achten.
Aviva Vyushkov, Hannover
Vor drei Monaten sind mein Mann, unsere zwei Kinder und ich auf Einladung der Jüdischen Gemeinde Hannover als Bnei-Akiva-Schlichim von Israel nach Hannover gezogen, um sie zu unterstützen. Zum ersten Mal feiere ich Tu Bischwat im kalten Deutschland. Für die Gemeinde organisieren wir einen ganz besonderen Workshop: Alle Frauen lieben Blumen – und wir werden gemeinsam unter Anleitung einer Floristin wunderschöne Sträuße binden. Sie bringt die passenden Blumen mit. Der Neujahrstag der Bäume symbolisiert unsere Verbindung zur Natur und zum Land Israel. In der jüdischen Tradition isst man an diesem Tag Früchte, insbesondere von den sieben Arten, mit denen Israel gesegnet ist. Es ist eine Zeit, die Fülle der Natur zu würdigen.
Lisa Strelkowa, Ulm
Tu Bischwat ist kein Fest, das in meiner Familie groß gefeiert wird. Ich kenne es eher aus der jüdischen Gemeinde. Dieses Jahr veranstalten wir dazu in der Jüdischen Studierendenunion Württemberg (JSUW) ein interreligiöses Blumentopf-Bemalen, wobei wir uns auch über die Bedeutung von Pflanzen und Bäumen in anderen Religionen austauschen.
Einen Familienbaum hat meine Familie trotzdem: den Gummibaum. Wir haben ihn vor 20 Jahren geschenkt bekommen, als wir in unsere erste Wohnung in Deutschland einzogen. Damals noch hüfthoch, räkelt er sich jetzt über unsere Wohnzimmerdecke und ist fast schon ein Familienmitglied. Als Kommunalpolitikerin ist mir der Klimaschutz sehr wichtig. Bäume reinigen die Luft, wirken auf Menschen beruhigend und spenden Schatten in Sommern, die Jahr für Jahr heißer werden. Umso schöner finde ich daher, dass wir einen designierten Feiertag haben, um Dankbarkeit für Bäume und Pflanzen ausdrücken zu können.
Elisabeth Friedler, Hamburg
Tu Bischwat ist ein Tag schöner Traditionen, an dem Datteln nicht fehlen dürfen. Mich faszinieren alte Olivenbäume und der Feigenbaum im Garten meiner Eltern, unser Familienbaum. Es ist in unserer Verantwortung, die Natur zu schützen. Deshalb baue ich Umweltschutz auch in meinen Alltag ein.
Rabbiner Daniel Naftoli Surovzev, Baden-Baden
Die Natur bedeutet mir sehr viel. Nach meiner Chuppa – ich war damals noch ein Student – reiste ich gemeinsam mit meiner Frau für einen Kurzurlaub in die Schweiz. Zum ersten Mal hatte ich mir so ein Reiseziel ausgesucht. Denn ansonsten besuchte ich lieber Städte. Ich war sofort von der Bergwelt fasziniert. Seitdem wandern wir immer wieder durch den Schwarzwald und in Tirol. Wenn alle unsere Kinder mit von der Partie sind, ist das Maximum sieben Kilometer. Aber mit meiner ältesten Tochter, sie ist elf Jahre alt, können wir auch eine Wanderung mit einer Hütten-Übernachtung planen. Dann kommen wir auch schon mal auf 20 Kilometer. Zweimal im Jahr fahren wir als Familie in den Urlaub, um zu wandern.
Den Mammutbaum mag ich am liebsten. Im 19. Jahrhundert wurden in Baden-Baden mehrere davon gepflanzt, die nun alle riesig sind. Ich mag es, unter ihnen spazieren zu gehen. Heute wird Tu Bischwat eher als Umweltschutztag angesehen. Dennoch ist es immer noch ein halachischer Feiertag. Das Fest gründet auf dem Verbot, Früchte von neu gepflanzten Bäumen, die noch keine drei Jahre alt sind, zu genießen, sowie dem weiteren Gebot, sie im vierten Jahr im Tempel darzubieten und erst im fünften Jahr zu essen. Tu Bischwat zeigt das Ende des Winters an und symbolisiert das Erblühen Israels, seine Besiedlung, die Schönheit der Natur und die guten Früchte, die seine Erde hervorbringt.
Ori Levin, Berlin
Ich bin gern in der Natur, im Grünen, und die ersten Schneeglöckchen sind wunderschön. Aber dafür brauche ich keinen Tag. Ich erinnere mich gern an die Tu-Bischwat-Feiern in meiner Kindheit in Israel. Seitdem ich in Europa bin und in Berlin, verbinde ich mit den Feiern hier nicht allzu viel. Es fühlt sich hier nicht so an wie damals. Und ich muss auch ehrlich zu mir selbst sein: Auch ich kaufe Obst- und Gemüsesorten, die keine Saison haben. Kann ich dann noch reinen Herzens ein Fest für den Umweltschutz feiern?
Gabriela Fenyes, Hamburg
Mein Lieblingsbaum ist die Trauerweide, mich faszinieren ihre elegant hängenden Zweige. Als Kinder haben wir sie als eine Art Höhle genutzt, das war sehr aufregend. Und ja, ich bemühe mich, umweltbewusst zu sein. Für mich ist Tu Bischwat auch der Vorbote des Frühlings.
Reizi Krol, 14, Frankfurt
Meine Familie ist religiös. Ich halte alle Feiertage und beschäftige mich viel mit unserer Religion, auch mit Tu Bischwat. Für mich ist die Natur wichtig. Ich mag es, mit meiner Familie oder meinen Freunden spazieren zu gehen. Zwei Bäume bedeuten mir viel: Da ist zum einen der Olivenbaum, der als Symbol für Frieden steht. Das ist eine schöne Botschaft. Bei dem anderen handelt es sich um die Magnolie. So ein Baum steht bei uns im Garten, und wenn er demnächst blüht, riechen seine Blüten so gut. Das bereitet mir gute Laune. Von unserem Balkon aus kann ich ihn sehen.
Felix Gorelik, Berlin
Endlich kommt der Frühling, der Winter ist vorbei. Allerdings scheint es in diesem Jahr nicht ganz zu stimmen, denn wir haben in Berlin noch winterliche Temperaturen. Aber die Sonne kommt schon durch. Es ist ein fröhlicher Feiertag, diesen können auch Juden feiern, die mit der Religion wenig am Hut haben oder sich nicht trauen, die Synagoge zu besuchen. Ich werde am 16. Februar helfen, auf dem Chabad-Campus Bäume zu pflanzen. Ich möchte sie gern den lebenden Opfern des 7. Oktober 2023 widmen und denen, die leider umgekommen sind. Jeder kann an Tu Bischwat eine Mizwa erfüllen, dazu muss man nicht religiös sein. Beispielsweise habe ich mehrmals Geld an den Jüdischen Nationalfonds Keren Kayemeth LeIsrael gespendet, der Bäume in Israel pflanzt.
Uri Faber, Berlin
Mit dem beginnenden Zionismus kam auch der Brauch auf, in Israel Bäume zu pflanzen. Früher habe ich als Jugendzentrumsleiter Teenager in Ferienlager nach Israel begleitet. Ein Programmpunkt in dieser Zeit war immer, lange Wanderungen zu Plantagen zu unternehmen und dort bei der Wiederaufforstung zu helfen. Damals entstanden Monokulturen mit der Aleppo-Kiefer. Heute liegt der Schwerpunkt auf Mischwäldern. Ich liebe den Wald, sowohl in Israel als auch in Deutschland. Wenn ich eine Woche lang keine Möglichkeit habe, in ihm spazieren zu gehen, fehlt mir etwas.
Zusammengestellt von Heike Linde-Lembke, Brigitte Jähnigen, Katrin Richter und Christine Schmitt