Porträt der Woche

Von der Kraft, Jude zu sein

Maxim Kolbasner engagiert sich für seine Gemeinde und gibt Krav-Maga-Seminare

von Sophie von Zitzewitz  11.10.2022 23:26 Uhr

»Verstecken ist für mich keine Option«: Maxim Kolbasner (30) liebt den Kampfsport. Foto: Jochen Linz

Maxim Kolbasner engagiert sich für seine Gemeinde und gibt Krav-Maga-Seminare

von Sophie von Zitzewitz  11.10.2022 23:26 Uhr

Die hebräischen Tätowierungen auf meiner Brust und meinem Oberarm zeigen unverhohlen, wer und was ich bin: Jude. Ich halte es – gerade heute – für sinnvoll, dies zu zeigen. Die Frage, ob man es nach dem jüdischen Glauben oder einem legitimen Sicherheitsverständnis gutheißen will oder nicht, ein solches Statement auf der Haut zu verewigen, stellt sich mir nicht.

Nun kann man als jüdisches Kind aus Odessa viele gute Argumente mitbekommen, die eigene Identität zu verstecken. Schließlich gehören antisemitische Vorfälle zu unserem Alltag. Viele aus meinem Umfeld haben dies persönlich erfahren. Immer wieder gibt es judenfeindliche Pöbeleien oder Hakenkreuzschmierereien. In Dortmund ist die rechte Szene sehr aktiv, die Partei »Die Rechte« hat es sogar in den Stadtrat geschafft.

Als Kind empfahlen mir meine Eltern und Großeltern immer, mein Jüdischsein geheim zu halten. Da mich jedoch immer schon ein starkes Bedürfnis nach Gerechtigkeit ausgezeichnet hat, weigere ich mich konsequent, diesen »Opferstatus« anzuerkennen. Unabhängig davon, was meine Familie mir riet, bin ich immer schon offen mit meiner Abstammung umgegangen. Ich kann mich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem ich nicht frei heraus gesagt hätte, dass ich Jude bin. Verstecken ist für mich keine Option.

Selbstbewusstsein Dabei ist mir vor allem Krav Maga behilflich. Der Sport vermittelt eine innere Haltung, die einen nachhaltig verändert. Jede Kampfkunst tut das, weil sie über kurz oder lang zu einem größeren physischen Selbstbewusstsein verhilft. Solange man durchhält und fleißig trainiert, wird der Körper sich zum Positiven wandeln und die neu gefundene Stärke auf das Innere übertragen. Genau genommen, handelt es sich bei Krav Maga um »ein modernes, eklektisches israelisches Selbstverteidigungssystem, das bevorzugt Schlag- und Tritttechniken nutzt«. So ist es auf Wikipedia zu lesen.

Ich bin übrigens auf diese Sportart gestoßen, weil mir die Sicherheit meiner Gemeinde ein besonderes Anliegen ist. In Dortmund habe ich mein ganzes Leben verbracht, und die Kultusgemeinde hat immer eine wichtige Rolle gespielt, angefangen vom Jugendzentrum, das ich mit neun Jahren zum ersten Mal besuchte und wo ich schließlich erst Chanich, dann Madrich und letztendlich Rosch war. Engagement ist mir wichtig. Mittlerweile bin ich Vorsitzender der Repräsentanz der Kultusgemeinde und habe mich dort auch mit dem Thema Sicherheit befasst.

Der Sport vermittelt eine innere Haltung, die einen verändert.

Ich setze mich in der Gemeinde und meinem Umfeld für Toleranz ein. Ich finde, dass es ein Armutszeugnis ist, dass wir heute noch über Judenhass in Deutschland sprechen müssen. Deshalb engagiere ich mich auch bei der Kampagne »Wir in Dortmund – für Vielfalt und gegen Antisemitismus« der Dortmunder Polizei.

Schon immer habe ich Polizei vor den Türen unseres Kindergartens stehen sehen, größer wurde das Sicherheitsaufgebot nach den Anschlägen in Düsseldorf, als Molotowcocktails auf die Synagoge in Wuppertal geworfen wurden oder kürzlich aufgedeckt wurde, dass ein 16-Jähriger einen Anschlag auf die Synagoge in Hagen geplant haben soll. Alles nicht weit von Dortmund entfernt.

gefahr Schon in meiner christlichen Grundschule erschien es mir seltsam, dass kein Sicherheitsdienst an der Kirche wartete, ich aber in der Synagoge ständig unter Bewachung stand. Schon als Kind habe ich erlebt, dass die Gefahr wie eine Gewitterwolke ständig über einem schwebte, auch wenn ich mit meinen Eltern nicht eines dieser Gespräche führte, wie es wahrscheinlich viele afroamerikanische Kinder tun. Und auch in der Oberstufe habe ich immer wieder erlebt, wie Judenwitze gemacht wurden. Auch Witze über Auschwitz.

Mit Krav Maga tat ich dann einen Schritt in Richtung Gegenwehr und blieb auf diese Weise nicht als tatenloser Zuschauer zurück. Ich begann, mit einem Lehrer zu trainieren, schließlich schickte er mich für Aufbauseminare zum Wingate Institute nach Israel. Hierbei handelte es sich tatsächlich um eine Art Bootcamp, in dem man uns in täglichen Trainingseinheiten drillte und dabei alltagsnahe Szenarien sowie das israelische Verständnis von Sicherheit vermittelte.

Ich bin mit zwei anderen Mitgliedern der Dortmunder Gemeinde und langjährigen Freunden hingefahren. Und als wir wiederkamen, fassten wir den Entschluss, eine Krav-Maga-Schule zu gründen. Das war vor etwa fünfeinhalb Jahren.

Training Im Rahmen der Angebote des Sportvereins Makkabi gaben wir in Bochum und Dortmund Seminare in dieser Kunst der Selbstverteidigung. Doch zeigte mir die Gründungsphase der Schule, dass in der Theorie alles leichter ist als in der Praxis. Der Erfolg war nicht vorprogrammiert. Stattdessen warteten Hindernisse, schließlich war unseres nicht das einzige Angebot, und Konkurrenz lauerte überall. Umso schöner war es jedoch zu sehen, wie unser Konzept dann doch aufging.

Besonders die alltagsnahen Situationen, die unsere Trainings aufgriffen, analysierten und für die wir Lösungsansätze durch gewisse Techniken boten, zogen viele Teilnehmer an. Pöbeleien auf der Straße oder in der U-Bahn, auch Übergriffe mit Messern gehören zum alltäglichen Gefahrenpotenzial – und das geht in unserer Stadt jeden an. So kamen eben nicht nur jüdische Teilnehmer, sondern überwiegend Jugendliche anderer Glaubensrichtungen in den Kurs.

Inzwischen sieht mein Tagesablauf so aus: Sobald ich gegen Nachmittag aus der Physiotherapie-Praxis komme, gebe ich Training oder nehme selbst an einem teil. Ausgeschlossen wird man nur, wenn man das Gelernte nicht im Sinne anderer ausführt. Mit dem Gedanken, die Schläger von morgen heranzuziehen, können wir hier nicht Kampfkunst praktizieren.

zivilcourage Ganz nebenbei kann man bei uns auch Zivilcourage lernen. Seit einem Jahr trainiert hier unentgeltlich ein Mädchen, das eine Schwangere in der U-Bahn beschützte. Der Dialog über solche Erlebnisse schweißt Trainer und Teilnehmer stärker zusammen, weil man nicht nur hierherkommt, um seine Gewichte zu heben, sondern es geht um einen gezielten Blick in Vergangenheit und Zukunft. Wie sicher habe ich mich bisher in meinem Umfeld gefühlt, und was wird mich und meine Gemeinde morgen bedrohen? Fragen wie diese gilt es, mit den Worten eines Sportlers zu beantworten. Generell lehne ich Distanz im Sportverein ab und bestehe darauf, Hierarchien möglichst flach zu halten.

Ähnlich geht es in unserer WhatsApp-Gruppe der Gemeindevertreter zu, wo wir abends gerne über die Zukunft philosophieren und Veranstaltungen planen. Was uns emotional beschäftigt, hält uns langfristig auch zusammen.

Der Rückenwind, den man spürt, stammt aus der Sensibilisierung, die man andersgläubigen Sportlern für jüdische Themen vermitteln kann. Unsere täglichen Probleme und die Sicherheitsbedürfnisse der Gemeinde sind hier nicht nur eine Nachricht im Netz, sondern ein Wort zwischen Freunden oder Bekannten. Als in letzter Zeit die Anti-Israel-Demonstrationen wieder stattfanden, kam es häufig vor, dass Sportler aus unserem Verein sich anboten, unserer Gemeinde Schutz zu gewähren. Ohne jegliche Forderung einer Gegenleistung schien ihnen das Training dafür ein Beweggrund. Das zu wissen, rührt mich zutiefst.

Israel Meinen Bezug zu Deutschland, meiner Heimat, haben diese Dialoge maßgeblich mitgeprägt. Wenn Israel in den Nachrichten wieder einmal als Aggressor bezeichnet wird, obwohl es gerade dabei ist, sich zu verteidigen, macht mich das innerlich sehr wütend. Andererseits sehen wir Antisemitismus heute eher als Mission, uns nicht unterkriegen zu lassen. Zwar hat sich auch die Generation meiner Eltern hier schon für ihr Dasein starkgemacht, meine aber schafft es, das Judentum wieder mit Stolz nach außen zu repräsentieren.

Begeistert war meine Mutter weder von meinen hebräischen Tattoos noch vom Tragen eines Davidsterns, aber beides sind Zeichen für gelebte Gegenwärtigkeit. Ich habe auch schon erlebt, dass jemand beim Anblick meiner Tätowierung auf dem Arm im Supermarkt rief: »Ist das da vorn etwa ein Jude?« und mich mit geballtem Hass konfrontierte. Mein Jüdischsein offen zu zeigen, empfinde ich auch wegen solcher Menschen als Genugtuung und Trotz. Aber es gab auch positive Begegnungen.

So zog in der Orientierungswoche meines Physiotherapie-Studiums ein Kommilitone an meinem T-Shirt und fragte, was das auf meiner Brust sein solle. Ich entgegnete, dass das ein hebräisches Tattoo sei. Der mir bis dahin Unbekannte zog seinen Davidstern hervor. Er brach in Gelächter aus, und seitdem sind wir ein Herz und eine Seele.

Aufgezeichnet von Sophie von Zitzewitz

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