Ursprünglich war das Judentum für Miriam Rürup beruflich kein Thema: »Ich bin zufällig während meiner Arbeit dazu gekommen«, erzählt die 39-jährige Historikerin und neue Leiterin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) in Hamburg. Doch bei ihrer Doktorarbeit landete sie bei jüdischen Studentenverbindungen. »In Göttingen gibt es sehr viele Verbindungen und Burschenschaften und die sind wegen ihrer männerbündischen und nationalistischen Geschichte ein klares Feindbild für viele. Ich las in der Jüdischen Allgemeinen einen Artikel über jüdische Verbindungen und war naiv überrascht davon, dass auch Juden in Verbindungen waren. Nach meinem Wechsel an die Berliner Uni habe ich mich weiter mit dem Thema beschäftigt, weil es auch wenig dazu gab, außer aus der Sicht von alten Herren. Schließlich schrieb ich meine Dissertation darüber.«
selbst gestrickt So ganz von ungefähr kommt die Auseinandersetzung mit jüdischen Themen aber dennoch nicht, kommt doch ihre Mutter aus Israel. »Bei uns zu Hause war Religion kein großes Thema. Wir waren eigentlich nicht einmal sogenannte Drei-Tage-Juden, aber Chanukka und Pessach haben wir oft mit – meist nichtjüdischen und libanesischen – Freunden zusammen ein bisschen selbstgestrickt gefeiert.«
Während ihrer Kindheit und Jugend fuhr die gebürtige Karlsruherin neben Frankreich immer wieder nach Israel. Wissenschaftlich begann sie sich aber erst am Ende ihres Studiums mit jüdischer Geschichte zu beschäftigen. Und vor allem danach, als sie Werkstudentin bei der Topographie des Terrors war. Ein Kollege empfahl ihr, sich weiter zu bewerben. »Dem sollte ich wohl mal danken, denn sonst wäre es vielleicht noch lange so weiter gegangen«, sagt sie lachend.
Über ein Stipendium im Rosenzweig-Zentrum in Jerusalem zog es sie später ans Simon-Dubnow-Institut in Leipzig. Sie promovierte in Berlin und begann danach als Assistentin an der Universität Göttingen, bevor ihr Weg sie schließlich zur Forschung nach Washington DC führte.
Freiraum In Hamburg sei sie nun genau da gelandet, wo sie hinwolle: an der Schnittstelle zwischen Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Lehre. Das IGdJ ist eine der ältesten Einrichtungen seiner Art, es wurde bereits 1966 gegründet. Für ihren eigenen Forschungsschwerpunkt »Staatenlosigkeit« soll dort noch genug Zeit bleiben. Schon in Washington hatte sie damit begonnen. Dabei interessierten sie vor allem Menschenrechtsfragen, und hier vor allem, was das Jüdische daran ist, welche Rechtsvorstellungen es gibt und wie sie das universelle Bild von den Menschrechten beeinflussen. Das will sie in Hamburg fortsetzen. »Das Schöne ist, dass die Stadt dem Institut explizit den Freiraum dafür lässt und sich bewusst ist, wie notwendig und wichtig Forschung ist.« So sollen ihre Aufgaben als Direktorin nicht nur aus Organisation und Geschäftsführung bestehen.
Nach zwei Jahren in Washington hatte sie ein bisschen Angst, »dass Hamburg zu deutsch sein könnte«, gibt sie zu. Doch bisher ist sie angetan von der Hansestadt, die eine sehr internationale Geschichte habe, als ehemalige Grenzstadt, als Hafenstadt. »Gerade über Migrationsgeschichte kann man ja, ohne Hamburg zu berücksichtigen, kaum schreiben.«
Eines der Forschungsprojekte, die Miriam Rürup gerne in Hamburg anstoßen möchte, soll folglich das Thema der sich verändernden Fremd- und Selbstbilder junger jüdischer Migranten haben, die sich in Deutschland neu verorten müssen. Ebenfalls ambitioniert ist die Idee, ein Online-Archiv mit ausgewählten Schlüsseldokumenten in Bildern und Texten mehrsprachig einzurichten, um die Geschichte der deutschen Juden einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Aufarbeitung »Ich träume außerdem ein bisschen davon, dass wir häufiger Wechselausstellungen holen, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen«, sagt Rürup. Auch jetzt schon gibt es vielfach öffentliche Veranstaltungen. Ein Kollege hat gerade einen jüdischen Filmclub ins Leben gerufen, die Bibliothek wird beständig erweitert und die Aufarbeitung der Geschichte von Hamburger Orten jüdischen Lebens wie auch das Stolpersteinprojekt wird vom Institut wissenschaftlich betreut. Doch bei allen Visionen weiß sie: »Zeitgeschichte ist mein Thema, aber ich lege natürlich Wert darauf, dass die anderen Forschungsgebiete im Institut nicht zu kurz kommen.«