Ruhig ist es zwischen den Bücherregalen. Würde nicht der Finger eines Besuchers sanft über die grünen, beigen oder blauen Buchrücken streichen und ein Computer surren, wäre die Bibliothek der Akademie im Jüdischen Museum vermutlich der geräuschärmste Ort an der Kreuzberger Lindenstraße. Noch ist es still. Doch schon bald – spätestens nach dem Ende der gerade begonnenen Sommerferien – werden wohl viele Blicke durch die vollen Regale wandern, auf der Suche nach Fachliteratur, seltenen Dokumenten oder Regionalbüchern.
Dann sollen sich auch die anderen Bereiche der ehemaligen Blumengroßmarkthalle mit Leben füllen. Das Gebäude am Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz, das im November 2012 feierlich eröffnet wurde, ist seit Anfang der Woche auch für die Öffentlichkeit zugänglich.
Kartoffel Besucher werden zukünftig nicht nur ihren Wissensdurst in der Bibliothek stillen, sondern auch im »Garten der Diaspora« ausspannen und ganz nebenbei auch noch traditionsreiche, teils auch biblische Pflanzen kennenlernen. Von der ganz profanen, aber kulturell bedeutenden Kartoffel, die besonders für das Pessachfest verwendet wurde, bis hin zu exotischeren Pflanzen. Weil kein Getreide- oder Hefeteig verzehrt werden durfte, wurden häufig Kartoffelgerichte und Kartoffelbrot zubereitet.
Kleine Schilder, die neben den Pflanzen stehen, geben nicht nur den exakten lateinischen Namen an, sondern erklären – auch schon mal mithilfe eines Gedichts –, was hinter der Pflanze steckt. Wie zum Beispiel die Tradescantia fluminensis, der sogenannte Wandernde Jude. Dieses Gewächs sei wegen seines antisemitischen Namens im Garten der Diaspora, heißt es.
Dies sind nur zwei von 60 Pflanzen, die die Geschichte der jüdischen Diaspora mithilfe der Ethnobotanik illustrieren. Noch sind es einige wenige Setzlinge, die auf einem der 16 Pflanzentische unter grellem Licht stehen, aber Jutta Kern und Barbara Frodermann stören sich daran überhaupt nicht: »Es ist schön, die Halle noch im Werden zu erleben. Später, wenn dann alles fertig ist und vielleicht voller Besucher, die sich drängen, dann wissen wir, wie es zu Beginn war.« Holzpaletten, Säcke mit Blumenerde und verpackte Materialien stehen noch herum. Eine ziemliche Baustelle, verglichen mit der schon fast gemütlichen Bibliothek.
biografien In der sitzt Bernhard Jensen und wacht gemeinsam mit seinen Kollegen über 40.000 der insgesamt 70.000 Exemplare in der Präsenzbibliothek. Standen sie vormals im dritten Stock des Hauptgebäudes, können sie nun für jeden zugänglich in der Akademie durchstöbert werden. Neben Primär- und Forschungsliteratur rund um die jüdische Geschichte, Religion, Kunst und Kultur bilden Biografien »einen besonderen Schwerpunkt«, betont Jensen. Man kann auf dem klassischen Weg in die Bibliothek gehen und dort suchen oder online recherchieren.
Besucher sind meistens Schüler, die entweder an einem Workshop im Museum selbst teilnehmen, oder auch Jugendliche aus dem Kiez, die Hilfe bei einem Projekt brauchen. Beide gehörten zu den wichtigsten Zielgruppen, sagt Jensen.
Israel Auch das Berliner Ehepaar Szukalla schlendert zwischen den Bücherregalen umher. »Wir wollten uns einfach mal umschauen«, sagen sie. Die beiden interessieren sich für jüdische Kultur, waren »auch schon mal in Israel und Jordanien«. Besonders Frau Szukalla ist ein großer Klezmerfan. Auch der jüdische Humor hat es ihr angetan. Ihr Mann interessiert sich eher für den Bau an sich. »Ich war sehr gespannt, zu erfahren, wie sich die Architektur des Jüdischen Museums hier fortsetzt«, sagt Szukalla. Viel habe er zwar noch nicht gesehen, aber das, was ihn erwarte, klinge aufregend.
Der Architekt Daniel Libeskind hat ein Thema aus dem Exilgarten des Jüdischen Museums für den Eingang zur Blumengroßmarkthalle übernommen. Was von außen wie ein schräg angeschnittener Würfel aussieht, entpuppt sich im Inneren als ein Spiel aus Licht, Holz und Glas. Das Holz, das zum einen an die Arche Noah, zum anderen an Transportkisten erinnern soll, stehe symbolisch für die »Überlieferung der Vermächtnisse«, die das Museum aus der ganzen Welt erhält.
Zeitzeugen Und mit diesen Vermächtnissen arbeitet Franziska Bogdanov fast jeden Tag. Denn die Archivarin kümmert sich um die 1500 Konvolute, die sich vorwiegend aus Familiennachlässen zusammensetzen. »Das können Bilder sein, Zeugnisse, Militärdokumente oder andere Gegenstände.« Besonders interessant sei es, wenn sich Schüler mit Biografien von Zeitzeugen beschäftigten. »Wenn die jungen Leute zum Beispiel ein Bild aus Kindertagen sehen und dann zum Ende des Projektes auf die echten Menschen treffen, dann gibt es immer eine große Überraschung«, erzählt Bogdanov.
Das kann auch die Leiterin der Bildungsabteilung, Diana Dressel, bestätigen. Durch Kooperationen mit Schulen aus dem Bezirk soll Migration thematisiert werden. »Wenn Schüler durch unsere Projekte erfahren, dass jüdische Teenager ähnliche Probleme haben wie muslimische oder christliche, dann ist das eine tolle Erfahrung«, betont Dressel. Und diese Erfahrung geht in der Akademie zudem durch den Magen. Denn in der neuen Küche sollen auch Kochprojekte angeboten werden. Denn Essen, da sind sich alle Kulturen einig, verbindet.
Die Akademie des Jüdischen Museums befindet sich am Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz. Die Bibliothek ist Montag bis Mittwoch von 12 bis 19 Uhr, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
Weitere Informationen unter www.jmberlin.de