Porträt der Woche

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Anna Antonova ist Studentin und entwirft einen Notfallkoffer gegen Antisemitismus

von Alicia Rust  25.02.2024 11:33 Uhr

»Für mich begann in Deutschland eine schöne Zeit«: Anna Antonova (31) aus Potsdam Foto: Alicia Rust

Anna Antonova ist Studentin und entwirft einen Notfallkoffer gegen Antisemitismus

von Alicia Rust  25.02.2024 11:33 Uhr

Wenn ich sehe, wie intuitiv und unvoreingenommen mein vierjähriger Sohn im Kindergarten Freundschaften schließt, stimmt mich das hoffnungsvoll. Einer seiner liebsten Freunde ist ein Junge aus einer iranischen Familie, ein anderer seiner Lieblingsfreunde kommt aus der Schweiz. Diese Offenheit und Unvoreingenommenheit von Kindern haut mich jedes Mal um. Sie kennen noch keine Fremdenfeindlichkeit, sie haben keine Schranken im Kopf. Hass und Ablehnung gegenüber anderen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion sind ihnen fremd.

Ich würde mir wünschen, dass wir uns viel mehr von dieser Eigenschaft, die besonders kleine Kinder haben, abschauen. Davon können wir einiges lernen. Natürlich werden wir durch unsere Familien und durch die Weltanschauung des jeweiligen Umfelds geprägt, von der Gesellschaft, in der wir aufwachsen.

Lehramtsstudentin in den Fächern Geschichte und Deutsch

Deshalb beschäftige ich mich momentan auch sehr intensiv damit, wie es uns gelingen kann, eine von Hass und Abgrenzung geprägte Weltanschauung, die auch als Nährboden für Antisemitismus und Rassismus dient, wieder in andere Bahnen zu lenken. Als Lehramtsstudentin in den Fächern Geschichte und Deutsch bereite ich zurzeit meine Masterarbeit vor. Zu diesem Zweck möchte ich etwas erarbeiten, was sich im Rahmen einer Lehrtätigkeit einsetzen lässt, was aber auch einen Mehrwert für unsere Gesellschaft hat.

Also habe ich zunächst eine Idee entwickelt, und obwohl die Planung immer noch nicht ganz abgeschlossen ist, bin ich von meinem Konzept überzeugt. Denn es richtet sich an Erwachsene, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten wollen. Und dabei nicht nur an Lehrer, sondern auch an Sozialarbeiter, Polizisten, Feuerwehrleute, also an all jene, die immer wieder in ihrem beruflichen Umfeld mit dem Thema Antisemitismus konfrontiert werden.

Ursprünglich wollte ich meine Idee noch nicht verraten, aber: Geplant ist eine Art »Notfallkoffer«, der im Umgang mit rechter Hetze helfen soll. Das reicht von ganz praktischen »Tools« wie beispielsweise Booklets mit einer Zeitleiste bis zu Arbeitsblättern mit Denkanstößen und Impulsen zum Austausch und so weiter. Dieser Notfallkoffer wird auch Adressen und Kontaktdaten von Einrichtungen und Ansprechpartnern enthalten, an die sich Betroffene oder Interessierte bei antisemitischen Übergriffen, Aktionen oder sonstigen damit verbundenen Problemen wenden können.

Als Lehrerin kann ich dort ansetzen, wo noch Hoffnung besteht: bei jungen Menschen.

Ursprünglich habe ich nach meinem Abitur in Potsdam zunächst in Frankfurt am Main mit dem Studium der Geschichte begonnen. Doch ich sah mich weder in einer großen Metropole noch als Historikerin. Ich denke, ich bin in Potsdam genau am richtigen Ort. Hier habe ich alles in Reichweite, und als Lehrerin kann ich dort ansetzen, wo noch Hoffnung besteht: bei jungen Menschen.

Beim Thema Antisemitismus reicht es meiner Meinung nach nicht aus, das Judentum auf zwölf Jahre Nationalsozialismus zu reduzieren. Mir wäre sehr daran gelegen, die lange und umfangreiche Geschichte jüdischen Lebens weltweit aufzuarbeiten und sie kind- und jugendgerecht, das heißt in einer einfachen und verständlichen Sprache zu erzählen. Es ist viel besser, wenn sie ihre Themen selbst erarbeiten und nicht frontal unterrichtet werden. Bislang war der Unterricht viel zu sehr auf deklaratives Lernen ausgerichtet. Aber das reine Auswendiglernen berührt nicht das Herz und selten genug den Verstand.

Eine von rund 250.000 Kontingentflüchtlingen

Ich selbst entstamme einer jüdischen Familie. Im Alter von drei Jahren kam ich mit meinen Eltern und meiner Großmutter aus Russland. Somit bin ich eine von rund 250.000 Kontingentflüchtlingen, die das Glück hatten, hierherkommen zu dürfen. Und damit erfülle ich schon einmal drei Kriterien: Ich bin Jüdin und Ausländerin und lebe in der brandenburgischen Hauptstadt.

An unsere Zeit in Moskau kann ich mich nicht mehr erinnern. Meine frühesten Erinnerungen beginnen mit dem Auffanglager in Ahrensfelde, wo ich mit meiner Familie anderthalb Jahre lang gelebt habe. Vor allem ist mir der große Zusammenhalt unter den Menschen im Gedächtnis geblieben, obwohl die Zustände dort beengt waren. Damals sind viele Freundschaften entstanden, etliche davon halten bis heute.

Nicht lange nach unserer Ankunft in Potsdam, also 2001, wurden meine Mutter, meine Großmutter und ich Teil der jüdischen Community. In Moskau waren wir uns zwar unserer Herkunft bewusst, doch man lebte das Jüdischsein nicht aus. Meine Großmutter hatte noch viel mehr Kenntnisse von der Religion und Kultur. Sie ist in einer sehr jüdischen Familie in Weißrussland aufgewachsen, als Kind sprach sie auch ein bisschen Jiddisch.

Kindergarten und Schule in Deutschland

Für mich begann in Deutschland eine schöne Zeit. Ich habe einen ganz normalen staatlichen Kindergarten und danach die Schule besucht, fand viele Freunde. In meiner Freizeit habe ich mich sehr in der jüdischen Gemeinde engagiert, insbesondere in der Jugendarbeit. Im Sommer ging es in die Ferienfreizeit, das war gewissermaßen mein Einstieg in die Materie. Wir waren in ganz Europa unterwegs.

Die jüdische Community war für mich in erster Linie interessant, weil ich mich sehr im Jugendzentrum »Lifroach«, das ich von ganzem Herzen liebe, für die Belange von jüdischen Jugendlichen engagieren konnte. Lifroach heißt »Aufblühen« auf Hebräisch. Soviel ich weiß, ist es das einzige Jugendzentrum dieser Art in ganz Brandenburg. Auch heute noch engagiere ich mich für die bis zu 40 jüdischen Kinder und Jugendlichen, die an den großen Feiertagen ins Jugendzentrum in der Werner-Seelenbinder-Straße kommen. Wir bieten ein buntes Programm, bestehend aus Kunst und Spielen, gemeinsamen Ausflügen und Feiern.

2012 reiste ich zum ersten Mal nach Israel, und zwar im Rahmen einer gesponserten Bildungsreise von »Taglit«, einem Projekt für junge jüdische Menschen zwischen 18 und 26 Jahren. Dieses beruht auf der Idee, dass jeder junge jüdische Erwachsene das Geburtsrecht hat, wenigstens einmal in seinem Leben Israel zu besuchen. Jugendliche aus allen erdenklichen Ländern, die nachweisen können, dass sie jüdische Vorfahren haben, können auf diese Weise das Land erkunden.

2012 reiste ich zum ersten Mal nach Israel, und zwar im Rahmen einer gesponserten Bildungsreise von »Taglit«.

In den zehn Tagen, die wir dort als Gruppe verbracht haben, gab es ein volles Programm. Später bin ich noch einmal nach Israel gereist, diesmal als Reisebegleiterin. Das war toll, denn ich habe dort auch Verwandte. In Israel habe ich mich auf Anhieb sehr wohlgefühlt. Gleichzeitig merke ich dort, dass ich inzwischen auch sehr von der deutschen Lebensart geprägt bin – Stichwort Pünktlichkeit.

Was in Israel seit dem 7. Oktober passiert, berührt mich sehr und treibt mich um. Genauso, was vor Kurzem in Potsdam passiert ist, als sich Menschen mit einer rechtsextremen Gesinnung in der ehemaligen Privatvilla von Louis Adlon getroffen haben. Auch die Art, wie bestimmte Artikel in den Medien aufgemacht werden, lässt mich nicht kalt. Oftmals ist die Berichterstattung sehr einseitig und wertend, von dem Hass auf Juden in den sozialen Medien ganz zu schweigen.

Übergriffe gegenüber Juden an den Universitäten

Die jüngsten Übergriffe gegenüber Juden an den Universitäten weltweit haben mich ebenfalls zutiefst schockiert. Wie kann es sein, dass gebildete Menschen zu derart unreflektierter und primitiver Gewalt fähig sind? Schon vor zehn Jahren habe ich regelmäßig an Workshops der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) zum Thema Antisemitismus teilgenommen. Daher bin ich sehr sensibilisiert, was die einseitige Instrumentalisierung mancher Themen in den Medien betrifft. Wenn ich eines über mich pauschal behaupten kann, dann, dass ich total gegen Pauschalisierungen bin.

Mein Sohn wächst nicht nur mit zwei Sprachen auf, mit Deutsch und Russisch, wir feiern auch alle Feste hintereinander: erst Chanukka und Weihnachten, dann das russische Neujahrsfest. In unserer Gemeinde trifft er auf andere jüdische Kinder und nimmt an vielen Angeboten teil, daneben gibt es die Kontakte zu den anderen Kindern aus Kita und Nachbarschaft. Wir gehen genauso offen auf andere Menschen zu, wie wir es umgekehrt erwarten.

Die Eröffnung der neuen Synagoge in Potsdam voraussichtlich im Sommer dieses Jahres und somit auch den Umzug unseres Jugendzentrums kann ich kaum erwarten. Besonders in Zeiten wie diesen kann es kein stärkeres Symbol für jüdisches Leben in einer Stadt geben.

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