»Ich bin sehr froh, dass die Gemeinde das 30-jährige Jubiläum der Wiedergründung feiert«, betont Mosche Korob. Er ist seit einem halben Jahr Rabbiner in Dessau und weiß, die Gemeinde hat eine große Tradition, aber eben auch große Lücken in der Geschichte. Am vorvergangenen Wochenende nahmen Beterinnen und Beter, Politiker und Gemeindevertreter an der Feier teil.
Jetzt steht Rabbi Korob im Vorraum der Synagoge. Ein großes Büfett haben die Frauen der jüdischen Gemeinde gezaubert. Auch Tatjana. Sie stammt aus Chisinau in Moldawien und lebt seit 22 Jahren in Dessau. Als sie hier ankam, erzählt sie, ging sie gleich zur jüdischen Gemeinde. Seitdem engagiert sie sich. »Es ist meine Gemeinde, meine Synagoge – ich fühle mich hier wie zu Hause.« Die Atmosphäre sei gut, auch wenn früher in Moldawien die Gemeinde etwas größer war.
Heute gehören etwa 260 Menschen zur Gemeinde, sagt der Vorsitzende Alexander Wassermann. 1994 waren es gerade einmal 19. Damals gründete sich die jüdische Gemeinde neu, sie besteht größtenteils aus Zuwanderern.
»Sie gehörte zu den schönsten in Mitteldeutschland.«
Dabei gab es in Dessau einst eine große Geschichte und namhafte Vertreter: beispielsweise David Fränckel, der ab 1737 in Dessau als Rabbiner amtierte. Er leitete eine Talmud-Lehranstalt, veröffentliche jüdische Schriften und war eine der wichtigen Personen mit Blick auf Moses Mendelssohn und dessen jüdische Aufklärung. Auch Mendelssohn stammte aus Dessau, genau wie Kurt Weill – der Sohn des jüdischen Kantors, Chorleiters und Komponisten Albert Weill.
Die jüdische Herkunft wurde nicht nur Kurt Weill zum Verhängnis. Er emigrierte zunächst nach Frankreich und 1935 in die USA. »Nicht ein einziges Gemeindemitglied ist nach 1945 zurückgekehrt. Zumindest ist mir das nicht bekannt«, formuliert es Peter Kuras, der ehemalige Oberbürgermeister von Dessau-Roßlau. In seiner Rede erinnerte er an das Jahr 1938, als am 9. November die Synagoge brannte. »Sie gehörte zu den schönsten in Mitteldeutschland.« Heute erinnern Stolpersteine an die ermordeten Dessauer Juden.
Seit einem Jahr gibt es eine neue Synagoge in der Stadt. Das 30-jährige Jubiläum der jüdischen Gemeinde ist für den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, Anlass, nach Dessau zu kommen. Ihn habe der Bau der Synagoge und die Eröffnung im vergangenen Jahr sehr berührt, er sei Ehrenmitglied der Gemeinde, sagt er. Gerade weil Dessau früher ein Zentrum der jüdischen Aufklärung war, so Haseloff, wünsche er sich, dass heute die Religionen in einem weltoffenen Sachsen-Anhalt friedlich miteinander umgehen, dass die Gesellschaft eine Gegenkraft zu Antisemitismus entwickelt und die jüdische Gemeinde eine Einladung für andere Jüdinnen und Juden weltweit aussprechen kann.
Über die politische Stabilität in diesen Bundesländern mache er sich aufgrund der neuesten Wahlergebnisse allerdings auch große Sorgen, sagt Mark Dainow.
»Es ist mir eine Freude, Ihnen zum 30. Jahrestag der Jüdischen Gemeinde in Dessau zu gratulieren und mit Ihnen zu feiern«, so Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Gemeinden seien nach 1990 gewachsen. »Das ist auch eine Geschichte von Flucht und Migration.« Den einst hier Angekommenen müsse man Dank aussprechen, denn »ohne solche mutigen und zupackenden Menschen, die trotz allem, was ihnen widerfahren war, bereit waren, hier wieder etwas aufzubauen – ohne Sie gäbe es keine jüdischen Gemeinden. Im Osten trafen Sie auf Menschen, die selbst dabei waren, ihr Leben neu aufzubauen.«
Über die politische Stabilität in diesen Bundesländern mache er sich aufgrund der neuesten Wahlergebnisse allerdings auch große Sorgen, sagt Dainow. Er stelle sich angesichts des hohen Zuspruchs für die AfD die Frage, welchen Teil der Geschichte diese Wähler nicht verstanden hätten. »Der virulente Hass, der den jüdischen Gemeinden entgegenschlägt, ist im Alltag oftmals spürbarer als die Versprechen, sie zu schützen.«
Dennoch gebe es auch Anlass zur Freude, etwa die Synagoge. Ein runder Bau mit hellen Wänden, das erhöhte Dach lässt rundum Tageslicht hinein, elegant, modern und freundlich wirkt er. »Ein Bau«, so Dainow, »hinein in die Stadt, die Stadtgesellschaft, ins Land. Hinein in das Vertrauen eines Landes.« Sein Blick schweift in die Reihen der Gastgeber und der Gäste: »Ich wünsche mir, dass dieses Vertrauen nie wieder getäuscht wird.«
Heute gehören etwa 260 Menschen zur Gemeinde, 1994 waren es gerade einmal 19.
Zu Gast ist an diesem Tag auch Cherrie Daniels, Kulturattaché der US-Botschaft in Berlin. Es sei ihr eine besondere Ehre, so Daniels, »die US-Botschaft sowie das Generalkonsulat in Leipzig zu vertreten«. Man fühle sich der Stadt Dessau auf besondere Art und Weise verbunden, sagt sie. »Dürfen wir doch jedes Jahr an der Eröffnung des Kurt Weill Festes mitwirken und das Vermächtnis dieses außergewöhnlichen jüdischen Komponisten würdigen.«
Die Erinnerungskultur liege ihr besonders am Herzen, so Daniels weiter. Von 2019 bis 2021 war sie Special Envoy for Holocaust Issues im US-Außenministerium, zuständig für alle Themen im Umgang mit dem Holocaust. Sie sprach über die derzeitige Kampagne der Botschaft »Stand Up and Speak Out« – um Menschen jeden Alters zu motivieren, sich für Courage und gegen Antisemitismus einzusetzen. Interesse an jüdischer Lebensweise zu wecken, sei wichtig, so Daniels – besonders bei jungen Menschen.
»Die Menschen haben gesagt: ›Wir möchten ein Zuhause haben.‹« Dass die Gemeinde nun eine eigene und so stilvolle Synagoge habe, sei auch für sie eine große Freude, zumal an dem Tag auch der Architekt Alfred Jacoby anwesend war. Vor fast einem Jahr wurde sein Bauwerk eingeweiht. Architektonisch eine Mischung, die mit Elementen des Bauhauses spielt.
Doch dass diese Synagoge zustande kam, ist vor allem der Kurt-Weill-Gesellschaft zu verdanken.
Jacoby, der selbst aus einer jüdischen Familie stammt, erinnert sich: »Meine Eltern kamen einst aus Polen nach Deutschland. Jiddisch war die erste Sprache, die ich gelernt habe, obwohl mein Vater Deutsch sprach, denn seine Mutter stammte aus Chemnitz. Er selbst lehrte etliche Jahre an der Dessauer Hochschule und gründete dort vor 24 Jahren das Institut für Architektur.« Die Synagoge in Dessau sei möglicherweise noch nicht die letzte, die er baut, erzählt er. Eine nächste sei in Planung.
Doch dass diese Synagoge zustande kam, ist vor allem der Kurt-Weill-Gesellschaft zu verdanken und damit auch Thomas Markworth, dem Präsidenten der Gesellschaft. Auch er gehörte zu den Gratulanten des Gemeindejubiläums. Man sei eng verwoben miteinander, erzählt er, kurzum: »Wir sind Freunde.«
Auf das Festival im kommenden Jahr freue er sich. Mehr als 70 Veranstaltungen stehen auf dem Programm, die Synagoge und Gemeinde werden immer mit einbezogen. Der Name Kurt Weill sei Aufgabe und Verpflichtung. »Als Zeitzeuge ist er Musterbeispiel für alles, was uns heute auch wieder bewegt. Er war ein Mann, der Innovationen gegenüber extrem aufgeschlossen war, dem Neuen. Er hat Flucht, Vertreibung und auch Integration erlebt.«
Sabrina Nußbeck, die Vorsitzende der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft Dessau, blickt jetzt schon auf das Jahr 2029. »Dann feiern wir den 300. Geburtstag unseres Namensgebers. Wir haben viel vor und werden unter anderem einen Wettbewerb für Schulen starten: ›Was sagt uns Nathan der Weise heute?‹ – denn Moses Mendelssohn hat sich immer für Aufklärung, Weltoffenheit, Toleranz ausgesprochen, überall, nicht nur in der Politik, in der Kultur, der Musik.« Er habe sich vielen Bereichen auf diese Art und Weise genähert.
Für Lessing war Moses Mendelssohn nicht nur ein Freund, sondern auch Inspiration zur Figur des Nathan. Deshalb, so Sabrina Nußbeck, sei »es wichtig, gerade sein Vermächtnis wieder mehr in den Mittelpunkt von Bildung zu stellen«.