»Mit Ahmad und Hamed ehren Sie zwei unabhängige Geister, die sich aus eigener Kraft von den Fesseln ihrer Erziehung befreit haben, ganz im Sinne von Immanuel Kant: ›Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‹ (…)
Ich erinnere mich, worüber wir uns (bei unserem ersten Treffen, Anm. der Redaktion) unterhalten haben – unsere Jugendsünden. Ich bin als junger Mann bei Anti-USA-Demos mitgelaufen und habe »USA- SA-SS« gerufen, du hast – viel später, aber im selben Alter – an Umzügen der Muslimbrüder teilgenommen und sowohl den USA wie Israel den baldigen Tod gewünscht. (…)
In dem Moment, als du mir von deiner fundamentalistischen Phase erzählt hast, wurde mir klar, was den Unterschied zwischen einer staatlich anerkannten moralischen Instanz und einem vom Schicksal gebeutelten jungen Moslem ausmacht: die Haltung zu der eigenen Geschichte, das Wissen um die Fehlbarkeit und Verführbarkeit, aber auch das Gefühl für die unfreiwillige Komik des eigenen Tuns. (…)
Gesellschaft Mit der Erfahrung deiner Kindheit und Jugend, lieber Hamed, hättest du auch ein Terrorist werden können. Und jeder Sozialarbeiter hätte dir bestätigt, dass du gar nicht anders konntest, weil die Gesellschaft dir keine Chance gegeben hatte. (...)
Dass du dich für einen anderen Weg entschieden hast, war – anders als unser Zusammentreffen – kein Gottesbeweis, sondern ein Beleg dafür, dass man dem Schicksal widersprechen kann. Es ist nicht leicht, es kostet Kraft, es macht oft keinen Spaß, aber: Es ist möglich. (...)
Und zwar ohne den bescheuerten Begriff Querdenker zu benutzen. Große Denker denken nicht quer, sie denken geradeaus. Du tust es auch. Und dabei gelingen dir Sätze, die mich erstarren lassen. Vor Bewunderung und auch ein wenig vor Neid, weil sie mir nicht eingefallen sind. Zum Beispiel: ›Ich bin vom Glauben zum Wissen konvertiert‹ und ›Ich habe meinen Migrationshintergrund in den Vordergrund gerückt‹. Das sind nicht Sätze, das sind Sprengsätze der Erkenntnis, die vom Publikum verstanden werden.
Es gibt nur eines, das meine Freude an deinem Erfolg ein wenig trübt. Es ist der Gedanke, wie viele Talente deiner Art ungenutzt verkümmern. Wie viele junge Ägypter, Syrer, Iraker, Araber und Muslime es nicht schaffen, vom Glauben zum Wissen zu konvertieren und in die Welt hinaus zu gehen. Wörtlich und sprichwörtlich. Wie würde die arabische Welt, der ganze Nahe und Mittlere Osten aussehen, wenn es mehr, viel mehr Hamed Abdel-Samads gäbe?
Hamed, in einem Gedicht von Wolf Biermann habe ich eine Strophe gefunden, die für dich maßgeschneidert wurde:
›Du, lass dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.‹«