Pegida, Anschläge in Paris, Pro-Gaza-Demonstrationen im vergangenen Sommer. Derzeit fällt gezielte Propaganda auf so fruchtbaren Boden wie lange Zeit nicht mehr, könnte man meinen. »Aktiv gegen Antisemitismus in sozialen Netzwerken« hieß deshalb ein viertägiges Seminar, das die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) Studenten und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 35 Jahren anbot.
Im Max-Willner-Heim in Bad Sobernheim trafen sich zehn Teilnehmer, um diesen Themenkomplex näher zu beleuchten. Speziell ging es darum, antisemitische Propaganda zu erkennen und darauf zu reagieren – »am besten kreativ und schlagfertig, ohne sich selbst zu gefährden«, wie es in der Einladung hieß.
Einer der Referenten war Jonas Melchers. Er stammt aus Berlin und studiert im Interdisciplinary Center Herzliya (IDC). Melchers informierte über das Projekt »IsraelUnderFire«, mit dem sich an seiner Uni eine Kerngruppe von rund 30 Studenten befasst. Weitere rund 670 Freiwillige habe man weltweit als aktive Unterstützer gefunden.
Instagram »IsraelUnderFire« findet sich derzeit auf fünf Internet-Plattformen wieder: der eigenen Webseite, YouTube, Twitter, Instragram und Facebook. Im Sommer 2014 wurde die Seite von den Studenten nach einer Ruhephase wiederbelebt. Anlass war die »Operation Protective Edge«. Der durchschlagende Erfolg habe ihn überrascht, gesteht Melchers. Man habe »Israels Botschaft an 2,5 Millionen Menschen in 62 Ländern und in 30 Sprachen« allein durch die Webseite vermittelt. Insgesamt wurden durch die verschiedenen Plattformen 40 Millionen Menschen erreicht. 100.000 »Likes« auf fünf Webseiten und rund 11.000 Follower auf Twitter kamen bislang zusammen.
Doch was macht »IsraelUnderFire« so populär? Es sind offenbar die kurzen, knappen Botschaften. Prägnante Bilder von Hamas-Raketen am Horizont, zerstörten israelischen Gebäuden oder von prominenten Gesichtern, darauf Zitate oder eindeutige Sätze wie »Israel hat das Recht und die Pflicht, sich zu verteidigen!« und »Free Gaza from Hamas!«. Ein Bild zeigt die Londoner U-Bahn mit der Aufschrift »Peaceful Underground« – darunter ein Bild mit einem Hamas-Tunnel. »Terror Underground« heißt es hier.
Kurze Botschaften wie etwa auf Facebook seien einprägender und einfacher zu verbreiten, erklärte Melchers. Emotionale Botschaften seien wichtig. Er empfiehlt YouTube-Videos von maximal 30 Sekunden, unterlegt von dramatischer Musik à la Hitchcock.
Und letztlich meldet diese Community regelmäßig judenfeindliche Inhalte an die Site-Betreiber, damit sie bestenfalls gelöscht werden. Im Schnitt betrage die Reaktionszeit der Betreiber drei Stunden. Doch typisch Internet: Die Hamas hat nicht lange gewartet und startete sofort das Gegenprojekt »#GazaUnderAttack«. Gemeinsam mit »#IsraelUnderFire« schafften es beide auf den Titel des Time Magazine in der Wahl der wichtigsten Hashtags des Jahres 2014.
Zukunft Derweil stellte Melchers die wichtigste Frage selbst: »Wie erreicht man die Menschen, die Israel noch nicht unterstützen? Das ist unsere große Herausforderung für die Zukunft.« Dem schloss sich Aron Schuster, stellvertretender Direktor der ZWST, an.
Mittag. Zeit, über das Gehörte zu reden: Wie klug ist es, diesen hoch komplizierten Konflikt auf kürzeste Botschaften in bunten Bildern herunterzubrechen? »Wir haben es jahrelang mit Büchern, seitenlangen Referaten und ausführlichen Leitartikeln versucht – mit mäßigem Erfolg, bekennt Schuster. »Das Internet bedarf kurzer Botschaften.«
Das Seminar sei ein Versuch, jungen Erwachsenen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um Online-Antisemitismus zu erkennen oder aus Diskussionsforen als Sieger hervorzugehen. Der Zeitpunkt dafür könnte kaum passender sein. »Ich fühle eine Verantwortung nach den Anschlägen in Paris und dem Krieg in Israel«, sagt Miriam Osay aus Mannheim, »das geht nicht spurlos an einem vorbei.« Sie versprach sich von dem Seminar neue Kontakte, nicht nur im virtuellen Netzwerk. Sie kennt viele Freunde, die in sozialen Netzwerken antisemitische Kommentare ertragen mussten, selbst sei sie allerdings bislang davon verschont geblieben.
Ido Daniel, Programmdirektor der Initiative Israelische Studenten gegen Antisemitismus (ISCA), betonte, man müsse gerade die jüngere Generation ansprechen: »Ich möchte, dass Rassismus global von jedem bekämpft wird – egal ob Jude oder Nichtjude.« Hass, Halbwahrheiten und Lügen, die man am Bildschirm finde, seien enorm gefährlich. Sie wanderten zu schnell in die Köpfe der Konsumenten, verfestigten sich. »Rassismus ist ein Problem aller Kulturen«, sagte Daniel. Sein Einsatz gegen Online-Verunglimpfungen werde vermutlich niemals enden.