Ein kleiner Junge räumt eine Mülltüte aus einem Papierkorb, trägt sie stolz Richtung Papa. Der steht ein paar Meter weiter im Gang. Gerade haben sich die beiden den Kindergarten der Jüdischen Gemeinde im Land Bremen angeschaut. Eine Erzieherin kommt vorbei, lächelt den Jungen an und fragt, ob er denn schon mit dem Aufräumen anfangen würde.
Eigentlich, sagt der Vater, sei es gar nichts Besonderes, dass seine Frau und er sich über den jüdischen Kindergarten informierten. Auch wenn sie nicht jüdisch seien, im Grunde nicht einmal besonders gläubig. Aber dieser Kindergarten liege in der Nähe ihrer Wohnung. Außerdem sei es doch wünschenswert, wenn Kinder schon früh mit verschiedenen Religionen und Traditionen in Berührung kämen. Einige der 36 Kindergartenkinder wechseln im Sommer in die Schule. Die freien Plätze werden gezielt auch Familien angeboten, die nicht zur Gemeinde gehören.
offenes Konzept Paurnima Bünte stellt sich dazu. Die beiden Söhne der 37-Jährigen werden hier betreut. »Ich dachte am Anfang: Oje, wir sind ja gar nicht jüdisch. Seit die Kinder hier sind, habe ich mitbekommen, dass Familien wie wir gewünscht sind«, sagt sie. »Für unsere Kinder bedeutet das, sie bekommen – fast nebenbei – eine Menge davon mit, was Judentum bedeutet. Das ist eine große Bereicherung, mit der sie aufwachsen.«
Die Bremer Gemeinde verfolge ein sehr offenes, integratives Konzept, sagt Bünte. Der dreijährige Amit und sein Bruder Aditya, der demnächst sechs wird, passten da ganz gut rein. Schließlich hätten sie einen norddeutschen Vater und eine Mutter, die als Kind aus Indien nach Deutschland kam. Die beiden würden also auch einen anderen kulturellen Hintergrund mitbringen.
»Mein Mann und ich sind beide berufstätige Pendler«, erzählt Paurnima Bünte, »da geht es zunächst ganz pragmatisch darum, dass die Kinder gut betreut sind. Religion spielt bei uns zu Hause durchaus eine Rolle. Uns ist wichtig, dass den Kindern Werte vermittelt werden. Und das möglichst wenig verschult. Dazu gehört auch die Vorstellung davon, was ein tiefer Glaube bedeuten kann.« Er gehöre genauso zum Kindergartenalltag wie die Ablagebänke für die Schuhe, das Poster mit Hundebabys unweit der Spielzone oder der Spielplatz draußen.
Sicherheit Dass sich der Spielplatz nicht nur unter hohen Bäumen befindet, sondern auch durch das Gebäude der Synagoge vom Lärm der Hauptstraße abgeschirmt wird, macht diesen Kinderort gleichwohl zu etwas Besonderem. Genauso wie die Kolleginnen und Kollegen von der Bremer Polizei, die direkt über dem bunten Indoor-Spielplatz im Souterrain sitzen. »Das gehört hier zur Normalität«, meint Bünte beim Rundgang.
Normalität, die bekanntlich für jüdische Gemeinden in Deutschland oft eine spezielle ist. Weshalb die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde im Land Bremen, Elvira Noa, mit der Entwicklung des Kindergartens, den sie vor inzwischen 17 Jahren mit der Gemeinde gegründet hat, zufrieden ist. »Damals war der Wunsch vieler Eltern, einen jüdischen Kindergarten zu gründen, um einen Platz zu haben, an dem man Kraft sammeln kann, um die eigene Identität zu stärken.« Diese Funktion erfülle die nach der im November 1938 in Bremen ermordeten Sozialaktivistin Martha Goldberg benannte Einrichtung nach wie vor.
Demografie Inzwischen gehe es in vielerlei Hinsicht darum, Fremdheiten abzubauen, meint Noa. »Die integrative Erziehung unterstützt auch den Kampf gegen den Antisemitismus. Das hat das Ziel, hier jüdische Erziehung zu fördern, nochmal bestärkt.« Zugleich sende die Arbeit im Kindergarten auch Signale in die Gemeinde selbst.
Ein Schwerpunkt der Gemeindearbeit liege in diesem Jahr auf der »Aktivierung von Studierenden und jungen Erwachsenen«, sagt Noa. Schließlich müsse in einer immer älter werdenden Gemeinde irgendwann ja auch die Nachfolge jener Generation gesichert sein, die die Gemeinde derzeit trägt. In den vergangenen Jahren seien nur noch wenige Familien aus der früheren Sowjetunion nach Bremen gekommen. 2012 waren es um die 20.
Auch in diesem Sinne wirke das Kindergartenkonzept, das »von Anfang an auf gute vorschulische Bildung, auf individuelle Erziehung sowie auf Integration in vielerlei Hinsicht« ausgelegt war, gerade auch in Richtung der jüngeren jüdischen Familien in Bremen. Diese gehören oft selbst der ersten Generation an, die in Bremen geboren oder zumindest aufgewachsen ist.
Sozialkompetenz Nicht zuletzt mache das Konzept, den Kindergarten für nichtjüdische Familien zu öffnen und beim sozialen Lernen sich auf kulturelle Bildung zu fokussieren, die Gemeinde attraktiv. »Auch für jüdische Familien, die wollen, dass hier Werte vermittelt werden, die aber einen anderen familiären Hintergrund haben, was den Weg dahin betrifft. Der Kindergarten war im Zuge der Zuwanderung stets auch ein wichtiger psychosozialer Baustein der Gemeindearbeit.« Es gehe, meint Noa, nicht zuletzt auch um die Auslegung des »Wie« von Erziehung.
Bei Eltern wie Paurnima Bünte und ihrem Mann, die aus diesem Stadtteil kommen, gibt es diesbezüglich keinerlei Probleme. »Durch die Bindung an die Gemeinde kommen hier ganz unterschiedliche Familien zusammen«, sagt sie. »Die größte Herausforderung ist für berufstätige Eltern sicher, den jüdischen Kalender mit seinen Festen in die Familienplanung einzubeziehen. Aber das bekommt man schnell hin. So entsteht unter den Eltern auch ein kleines Netzwerk.« Ein Netzwerk, das eine Gemeinde, die sich verjüngen wird, sicher nur stärken kann.