Knapp 350 Teilnehmer, 120 Seminare und Workshops, liberale und orthodoxe Gottesdienste, ein weitläufiges Gelände mit viel Natur und die Chance, sich in einer toleranten jüdischen Gemeinschaft auszuprobieren und auszutauschen: Das Erfolgsrezept des jüdischen Lernfestivals Limmud hat sich auch 2013 bewährt. Manche Besucher sprachen nach den vier Tagen am Werbellinsee vom 9. bis 13. Mai von einem kleinen jüdischen Dorf, in dem das Zusammenleben einer größeren Gruppe von Juden in Deutschland auf engem Raum – ganz anders als im Alltag – selbstverständlich ist, und sei es auch nur als zeitlich begrenztes Experiment.
Die Zahl der Teilnehmer – viele von ihnen Besucher und Referenten in einem – blieb zwar hinter den Vorjahren zurück. Dies lag aber nicht an mangelndem Interesse, sondern hatte nach Angaben der Veranstalter finanzielle Gründe. Der Stimmung tat das keinen Abbruch: Das Echo war fast durchgängig positiv, und viele der Teilnehmer aus dem In- und Ausland – einige reisten sogar aus Kaliningrad an – wollen im nächsten Jahr wiederkommen.
Jugendherberge Das Limmud-Festival wird in Deutschland bereits zum sechsten Mal veranstaltet, nach einem Intermezzo im vergangenen Jahr an der Jüdischen Oberschule in Berlin nun wieder am mittlerweile vertrauten Ort in der Brandenburger Schorfheide. Die Atmosphäre am langen Wochenende vor Schawuot auf dem Gelände der Europäischen Jugendbegegnungsstätte, die zu DDR-Zeiten als »Pionierrepublik Wilhelm Pieck« bekannt war, erinnerte an eine riesige Jugendherberge.
Der Altersdurchschnitt beim Limmud-Festival war diesmal niedriger denn je. Eltern mit Kinderwagen flanierten über das Gelände, Babys quäkten im Speisesaal, und die gut organisierte Kinder- und Kleinkindbetreuung war ausgebucht. Es gab sogar einen Babysitterservice für die Abende. Angebote wie Töpfern oder Challe backen wurden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angenommen. Auch etwa 50 Studenten des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES), die zusammen mit dem Rabbiner der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, Shaul Friberg, gekommen waren, trugen dazu bei, dem Lernfestival eine familiäre und gleichzeitig lebhafte Atmosphäre zu verleihen.
»So jung wie diesmal waren wir noch nie«, betonte auch Alexander Smolianitski, Vorsitzender von Limmud.de. Seine Bilanz fiel positiv aus: »Wir waren alle sehr zufrieden.« Auch die Zahl der Besucher, die zum ersten Mal gekommen waren, sei gestiegen. Zu den Limmud-Neulingen gehörte die Studentin Roza Alkhasova aus Potsdam, die als Madricha des jüdischen Jugendzentrums in der brandenburgischen Hauptstadt von Limmud erfuhr und während des Wochenendes am Werbellinsee ihren 21. Geburtstag feierte.
Familie »Das Programm hat mich sehr begeistert. Ich hätte nicht erwartet, dass es so viele verschiedene Vorträge gibt«, staunte sie. Sie lebe zwar schon seit zehn Jahren in Deutschland, habe sich aber gefreut, dass es viele Angebote auf Russisch gab. Bei den Workshops und Diskussionen standen Erziehungs- und Familienfragen im Vordergrund: In einer kleineren Runde erörterten Frauen die Vor- und Nachteile eines Mehrgenerationenhauses.
Auf einem Podium am Sonntag ging es um »Jüdische Bildung heute«. Auch die Beschneidungsdebatte und Tora-Auslegungen waren wieder Thema. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren wirkte die Limmud-Agenda – abgesehen von einer Diskussion mit Avner Gvaryahu von der Organisation »Breaking the Silence« in Israel über moralische Dilemmata israelischer Soldaten im Westjordanland – allerdings weniger kontrovers.
Bis auf Ágnes Heller, Micha Brumlik und Reuven Firestone gab es auch wenig »jüdische Prominenz«. Am Anfang habe sie das bedauert, sagte eine Teilnehmerin aus München. »Aber dann dachte ich mir, vielleicht biete ich beim nächsten Mal selbst einen Workshop an.« »Mich hat es nicht gestört, sondern es entspricht dem Prinzip, dass bei Limmud jeder Lehrender und jeder Lernender sein kann«, sagte ELES-Studentin Sandra Anusiewicz-Baer, die an ihrem Doktorat arbeitet und am Werbellinsee über »20 Jahre jüdische Oberschule in Berlin« referierte.
Gene Gut besucht war eine Veranstaltung der Biologin Bettina Schwitzke, stellvertretende Vorsitzende von Limmud.de, die nachwies, dass die Existenz eines jüdischen Gens, das SPD-Politiker Thilo Sarrazin einst in einem Interview erwähnt hatte, wissenschaftlich nicht haltbar sei. Forscher, die das Gegenteil behaupteten, seien bisher stets widerlegt worden: »Ich glaube nicht, dass man irgendetwas findet, was alle Juden gemein haben. Aber es ist spannend, dass man danach sucht«, sagte Schwitzke, die am Samstagabend wieder das Limmud-Speeddating organisierte.
Die meisten Teilnehmer lobten die familiäre, unaufgeregte Atmosphäre und dieLimmud-typische Toleranz zwischen liberalen und orthodoxen Juden, die den Schabbat gemeinsam mit einer Hawdala-Zeremonie ausklingen ließen. »Es war wie eine kleine Gemeinde, die sich gebildet hat«, sagte Smolianitski. Roza Alkhasova aus Potsdam bedauerte allerdings, dass die Schabbat-Gottesdienste am Freitagabend in kleinen Grüppchen und nicht gemeinsam abgehalten wurden. Andere kritisierten, die Party am Samstagabend sei zu klein gewesen und nicht wirklich in Schwung gekommen, weil der DJ nicht auf Wünsche der Tanzenden eingegangen sei.
Einen Tag früher, am Freitagnachmittag, hatten Limmud-Teilnehmer aus Brettern und Seilen einen Eruw eingerichtet – ein Gebiet, das die Grenzen bezeichnet, innerhalb derer praktizierende Juden am Schabbat Taschen oder andere Gegenstände mit sich tragen dürfen. »Auch wenn er nur für zehn Prozent der Besucher wichtig wäre, macht der Eruw es doch allen möglich, zu Limmud zu kommen«, sagte Toby Axelrod, stellvertretende Vorsitzende von Limmud.de.
Finanzen Eine Berliner Teilnehmerin bedauerte, dass sich in diesem Jahr verhältnismäßig wenig orthodoxe Juden am Lernfestival beteiligt hätten. Dies sage jedoch nichts über die zukünftige Ausrichtung von Limmud aus, betonte Alexander Smolianitski. Man wolle das gesamte jüdische Spektrum von säkular bis orthodox abdecken: »Limmud ist eine Plattform. Wir bieten einen Rahmen an, jeder kann ihn mit Inhalt füllen.« Und Toby Axelrod ergänzte: »Limmud ist, was die Teilnehmer daraus machen.«
In einem sind sich die Veranstalter einig: Sie würden gerne wieder die Besucherzahlen des Vorjahres – etwa 500 Teilnehmer – erreichen. Das gesamte Festival wird traditionell auf ehrenamtlicher Basis bestritten und finanziell vor allem vom Zentralrat der Juden, aber auch von anderen Organisationen und Privatspendern unterstützt. Trotz der passablen, aber einfachen Unterkünfte in der Europäischen Jugendbegegnungsstätte sind die Kosten – unter anderem wegen des koscheren Essens und der Bus-Shuttles – durch die Teilnehmergebühren nicht gedeckt.