Berlin

Vier Rabbis und ein Kantor

Neu im Amt: Rabbiner Isak Aasvestad, Rabbinerin Anita Kántor, Chasan Yuval Hed, Rabbinerin Jasmin Andriani und Rabbiner David Maxa (v.l.) Foto: Tobias Barniske

Ordination unter erschwerten Bedingungen: Am Donnerstag vergangener Woche sollten in der Berliner Synagoge Rykestraße fünf Rabbinerinnen und Rabbiner ordiniert sowie ein Kantor in sein Amt eingeführt werden.

Doch schließlich waren es nur vier Rabbiner (Isak Aasvestad, Jasmin Andriani, Anita Kántor und David Maxa), die ihre Smicha erhielten, und ein Chasan, der seine Investitur feiern konnte: Yuval Hed, der von dem Berliner Kantor Isidoro Abramowicz in seine neue Funktion eingeführt wurde und die Feier mit liturgischem Gesang – natürlich unter Wahrung der Abstandsregeln – bereicherte.

Die Kandidaten waren also zu fünft statt zu sechst, weil die Corona-Pandemie einen der Rabbinerkandidaten am Erscheinen in dem großen Bethaus in Berlin-Prenzlauer Berg hinderte: Max Feldhake. Feldhake, der zurzeit für ein interreligiöses Projekt im Auswärtigen Amt arbeitet, musste – und damit auch die gesamte Abteilung – wegen eines positiv getesteten Mitarbeiters in Quarantäne bleiben.

livestream Feldhake wird seine Ordination nachholen, doch die Feier konnte er trotzdem verfolgen: Das Abraham Geiger Kolleg übertrug die Veranstaltung per Livestream. Der junge Rabbinerkandidat war nicht der Einzige, der wegen der Pandemie fehlte.

In seinen einleitenden Worten erwähnte Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, dass einige, die David Maxa an seinem großen Tag aus seiner Heimat Tschechien nach Berlin begleiten wollten, wegen der coronabedingten Grenzschließung die Reise nicht antreten konnten. »Die, die da sind, haben sich auf den letzten Zug geschmissen.« Andere seien wegen der Pandemie in Brasilien geblieben oder wegen der politischen Situation in Belarus, den Heimatländern der anderen Kandidaten.

Zwei der Ordinierten arbeiten in deutschen Gemeinden.

Sie alle konnten die knapp zweistündige Feier per Livestream mitverfolgen. Insgesamt 7114 Zuschauer aus aller Welt, davon 649 über YouTube, verfolgten nach Angaben des Abraham Geiger Kollegs die digitale Übertragung. Der Feierlichkeit der Veranstaltung taten diese Einschränkungen keinen Abbruch.

abstand Und auch das Hygienekonzept wirkte zumindest vom Bildschirm aus überzeugend: Alle Beteiligten außer den Sängern trugen Masken, die Sänger waren auf der Treppe um die Bima auf Abstand platziert, und der Mikrofonaufsatz für die Redner wurde regelmäßig ausgetauscht.

Der Historiker Hermann Simon, der sich daran erinnerte, dass er »vor 65 Jahren zum ersten Mal bewusst in dieser Synagoge« war, begrüßte die Gäste – unter ihnen Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, sowie Michaela Küchler, Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes für die Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen, Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam, mehrere Abgeordnete des Bundestags und des Potsdamer Landtags, Ayman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, Daniel Botmann, der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden – und natürlich Zentralratspräsident Josef Schuster sowie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), die beide Grußworte an die Absolventen und die Teilnehmer der Feier richteten.

Zentralrat Der Zentralratspräsident stellte fest: »Heute ist ein guter Tag für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland.« Wohl niemand habe bei Gründung des Zentralrats 1950 gedacht, dass unter dessen Dach einmal »Kantorinnen und Kantoren, Rabbinerinnen und Rabbiner für alle Strömungen des Judentums ausgebildet werden«.

»Niemand wird uns auch in Zukunft davon abhalten, unsere Religion so zu praktizieren, wie wir es für richtig befinden.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Halle an Jom Kippur 2019 unterstrich Schuster: »Niemand wird uns auch in Zukunft davon abhalten, unsere Religion so zu praktizieren, wie wir es für richtig befinden. Und erst recht wird uns niemand daran hindern, unsere Tradition an die nächste Generation weiterzugeben.«

Schuster erinnerte daran, dass das Abraham Geiger Kolleg nun bereits die zehnte Ordination feiere. »Vor 14 Jahren wurden in Dresden zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg wieder liberale Rabbiner in Deutschland ordiniert. Drei Jahre später konnten wir 2009 in München die erste Ordination orthodoxer Rabbiner nach der Schoa feiern.« Die Zeiten, als man Rabbiner aus dem Ausland habe »importieren« müssen, seien längst vorbei.

Das liberale Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam wurde 1999 als erstes akademisches Rabbinerseminar in Deutschland nach dem Holocaust gegründet. Inzwischen wurden in Potsdam 41 Absolventinnen und Absolventen ausgebildet.

Der brandenburgische Ministerpräsident Woidke sagte in seinem Grußwort, jüdisches Leben sei »ein Geschenk für Deutschland«. Von der Ordination gehe das Signal aus, dass der Zivilisationsbruch der Schoa mit Millionen ermordeter Juden nicht das Ende jüdischen Lebens in Deutschland gewesen ist. Woidke betonte: »Antisemitismus ist ein schleichendes Gift gegen eine offene Gesellschaft. Deshalb kämpfen wir gegen jede Form von Antisemitismus. Wir stehen gemeinsam für das Miteinander in der Demokratie, unabhängig von Glauben und Herkunft.«

Richterfunktion Zuvor hatten die Rabbinerkandidatinnen und -kandidaten ihre Smichot, ihre Urkunden, erhalten, nachdem sie Rabbiner Homolka »präsentiert« worden waren. Mit der hebräischen Formel »Jore, jore, jadin jadin« (»Lehre und entscheide«) erinnerte Homolka, der sich aus diesem Anlass auf die höchste Stelle der Treppe stellte, an die ursprüngliche Richterfunktion des Rabbineramtes.

»Gott lege einen Teil Seiner Majestät auf dich« – mit diesen Worten machte der Rektor des Abraham Geiger Kollegs den zukünftigen Rabbinerinnen und Rabbinern ihre große Verantwortung bewusst. Die Absolventen zeigten sich in kurzen Reden bewegt und voller Pläne für ihre Zukunft. Anita Kántor aus Ungarn, die in Budapest arbeitet, unterstrich, wie wichtig es sei, die Generation der 16- bis 30-Jährigen in die Gemeindearbeit einzubeziehen.

EUPJ-Vorsitzende Sonja Guentner wandte sich auf Englisch an die Gäste aus dem Ausland.

Anschließend sprach der Berliner Gemeinderabbiner Boris Ronis das Gebet für die Bundesrepublik Deutschland und das Gebet für den Staat Israel. Sonja Guentner, Vorsitzende der Europäischen Union für das Progressive Judentum (EUPJ), wandte sich auf Englisch an die Gäste aus dem Ausland. Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, sagte, für ihn als ehemaligen West-Berliner sei es immer noch etwas Besonderes, in der Synagoge Rykestraße zu sein. Rabbiner Edvard van Voolen vom Geiger Kolleg sprach das Kaddisch. Mit dem Priestersegen für die neuen Rabbinerinnen und Rabbiner und dem »Adon Olam« schloss die Feier, bei der auch der Berliner Kantor Jochen Fahlenkamp mitwirkte.

Alltag Jetzt beginnt der Alltag: Der Israeli Yuval Hed ist bereits als Kantor der Judiska Församlingen an der Großen Synagoge von Stockholm tätig. David Maxa geht zurück nach Tschechien. Der Norweger Isak Aasvestad ist nun als Rabbiner zuständig für die liberalen Gemeinden in Schleswig-Holstein – Kiel, Bad Segeberg, Pinneberg, Elmshorn, Lübeck und Ahrensburg. Die Gemeinden kennt er von Praktika, doch die Gottesdienste, sagte Aasvestad der Jüdischen Allgemeinen, finden derzeit überwiegend über »Zoom« statt. Auch ein Rosch-Haschana-Gottesdienst soll gestreamt werden.

Natürlich hätte er sich seinen Einstieg in seine Arbeit anders vorgestellt, meint der 42-Jährige: »Aber es kommen auch wieder bessere Zeiten.« Und dass er in Deutschland bleiben will, ist für den liberalen Rabbiner ziemlich klar: In seinem Heimatland Norwegen gibt es nur zwei jüdische Gemeinden – und beide seien orthodox orientiert.

Jasmin Andriani wird an Erew Rosch Haschana als Rabbinerin in Hannover amtieren – und zum Morgengottesdienst am ersten Feiertag des Neujahrsfestes in Göttingen. Dort wurde extra ein Saal angemietet, um wenigstens 50 Beterinnen und Betern unter Wahrung der Abstandsregeln eine Teilnahme zu ermöglichen. Sie selbst werde in vier Metern Entfernung von den Betern stehen. Natürlich sei es eine schwere Zeit für alle, sagte die Rabbinerin, die in Tel Aviv geboren wurde: »Aber wir tun, was wir können.«

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