Arawot, Haddasim, Lulavim und Etrog: Die »vier Arten« gehören zu Sukkot wie die Laubhütte, in der man sich sieben Tage lang zum Essen trifft. Das sogenannte Lulaw-Bündel mit den Weiden-, Myrten- und Palmenzweigen wird in der rechten Hand gehalten, der Etrog mit dem Stiel nach unten in der linken. Die Etrogim müssen koscher und makellos sein, dürfen also nicht auf gepfropften Bäumen wachsen. Erst dann darf der Segen gesprochen werden.
Woher aber bekommen in Deutschland ansässige Gemeinden die vier Arten, die nach der Bezeichnung für den Palmzweig auch Lulav genannt werden? »Wir kaufen unsere nun schon einige Jahre bei der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD)«, sagt Alla Volodarska, Sozialarbeiterin bei der Liberalen Gemeinde Hannover. »Dort werden sie nicht nur ausgesprochen günstig angeboten – wir müssen schließlich sparen –, man kann sich auch darauf verlassen, dass sie wirklich koscher sind. Wenn man nicht aufpasst, kann man nämlich durchaus auf Anbieter hereinfallen, die alles zwar sehr billig anbieten, aber deren Ware unkoscher ist.«
Messestadt Drei Feststräuße schafft die Gemeinde sich jedes Jahr an, »zwei für unsere Kita«, erklärt Volodarska. 25 Kinder besuchen die Tagesstätte, 15 werden in der angeschlossenen Krippe betreut. »Die Größeren beteiligen sich auch am Schmücken der Sukka, die im Außenhof des Gemeindezentrums errichtet wird.« Es wird gebastelt und gemalt. Über 700 Mitglieder aus aller Welt hat die Gemeinde. »Hannover ist Messe- und Industriestadt, zu uns kommen Juden aus Israel, Amerika, Brasilien, England, Russland«, berichtet die Sozialarbeiterin. »Zum Glück haben wir auf unserem Gelände viel Platz, unsere Laubhütte ist 40 Quadratmeter groß.«
Ein bisschen schade sei es nur, dass die Feiertage in diesem Jahr so früh sind, findet Volodarska. »Hier in der Stadt befindet sich ein großer Barockgarten mit vielen Palmen. Ende Oktober, wenn sie wieder zurück in die Gewächshäuser gestellt werden, schneiden die Gärtner sie, und wir bekommen dann die Palmenzweige für den Bau unserer Sukka. Sie sieht dann ganz genauso aus wie eine Laubhütte in Israel – in diesem Jahr werden wir uns allerdings mit anderem Grün behelfen müssen, weil es eben noch zu früh fürs Beschneiden der Palmen ist.«
Auch die Dresdner Gemeinde bezieht ihre vier Arten »nun schon seit einigen Jahren von der ORD«, berichtet Vorstandsmitglied Heinz-Joachim Aris. Was heute bequem mit einer Bestellung erledigt wird, war zu DDR-Zeiten ein riesiges Problem: »Es gab manches einfach nicht, wie zum Beispiel Myrtenzweige, deshalb konnten wir nur einzelne Teile des Straußes benutzen. Aber wir bekamen aus Israel Etrogim, die Zitrone machte dann immer in der Synagoge die Runde. Wir haben eben viel improvisiert.«
Zusammenhalt Die ostdeutschen Gemeinden hatten 1989 noch knapp 400 Mitglieder, erzählt Aris, »aber es bestanden auf verschiedenen Ebenen Kontakte, beispielsweise zum Jüdischen Weltkongress. Natürlich war alles schwierig, dafür war der Zusammenhalt der Juden in der DDR sehr ausgeprägt.« Aber wann er zum ersten Mal den Sukkot-Strauß in den Händen hielt, kann sich Aris nicht mehr erinnern, bedauert er. »Als Kind achtet man ja auf vieles anders als ein Erwachsener.«
»Wir hatten so viel zu tun mit der Schule, da blieb kaum Zeit für andere Eindrücke«, erinnert sich seine Schwester Renate Aris ebenso nachdenklich wie präzise. »Am 15. Oktober 1945 sahen wir zum ersten Mal ein Klassenzimmer von innen – vorher durften wir ja den Unterricht nicht besuchen«, so Aris.
In Chemnitz, erinnert sich die 78-Jährige, sei »nach dem Krieg eigentlich immer eine Laubhütte gebaut« worden, in Dresden sei dies dagegen aus Platzgründen nicht möglich gewesen. 15 Jahre lang war Renate Aris im Vorstand der Chemnitzer Gemeinde. »Auch wenn die Gemeinde klein war – am Ende waren wir zwölf Leute, ich war die Jüngste und hatte aber auch schon Rente beantragt – die jeweiligen Vorsitzenden waren immer bemüht, Heimat und jüdische Kultur zu vermitteln.« Einfach sei es nicht gewesen, alles für die Feiertage zu beschaffen.
Möglichkeiten »Es wurde eben viel improvisiert, die Hauptsache war, dass die Religion nicht vergessen wird«, findet Renate Aris. Inzwischen hat die Gemeinde 650 Mitglieder. »Heute, wo wir alle Möglichkeiten haben und von der Koscherliste bis zu den Sukkot-Sträußen alles ganz einfach bekommen, macht es natürlich viel mehr Spaß.«
In Frankfurt/Oder werden hingegen keine Lulavim bestellt. »Unser Rabbiner bringt sie mit«, berichtet Vorstandsmitglied Wladimir Khazanov. »Wir werden auch eine Sukka errichten, das macht immer viel Spaß. Außerdem wird es ein Konzert geben.« Die Gemeinde hat rund 200 Mitglieder, »die Hälfte wird sicher kommen, um in der Laubhütte zu sitzen«.
Man habe jahrelang in Deutschland Lulav-Bündel bestellt, aber weil man zuletzt mit der Qualität nicht ganz so zufrieden gewesen sei, beziehe man sie in diesem Jahr erstmals direkt aus Israel, sagt Tatjana Malafy, Leiterin der Israelitischen Kultusgemeinde Rottweil-Villingen-Schwenningen. »Unser Kantor bringt sie mit, er ist Israeli und kommt zu den Gottesdiensten und den Hohen Feiertagen zu uns.« Drei, vier Lulavim werde er im Gepäck haben, »wir sind ja mit 275 Mitgliedern eine kleine Gemeinde, mehr brauchen wir nicht«.
Baden Die kleine, im Dezember 2003 von Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion gegründete Gemeinde hat allerdings große Pläne: Mithilfe des Oberrats der Israeliten in Baden soll eine eigene Synagoge entstehen. Im Moment verfügt man lediglich über zwei angemietete Etagen in einem Gebäude in Rottweil. »Wir haben dort einen Gebetssaal, ein Büro, Räume für die Religionsklasse, die Bibliothek und unsere Senioren – aber eine Sukka können wir dort nicht errichten«, bedauert Malafy. Bislang behalf man sich. »Die Laubhütte für die Gemeinde wird bei Mitgliedern, die über Gärten oder ein Grundstück verfügen, gebaut. Im letzten Jahr stand sie bei uns, also bei meiner Familie, zu Hause. Das wird auch in diesem Jahr wieder so sein«, erzählt die 53-Jährige.
Malafy ist im ukrainischen Dnjepropetrowsk aufgewachsen. »Dort wohnten immer schon viele Juden. In der großen Synagoge war allerdings vor und nach dem Krieg eine Textilfabrik ansässig. Erst vor sieben Jahren entstand am gleichen Platz ein neues Gemeindezentrum.« Gleichwohl habe sie schon als Kind »von den jüdischen Feiertagen gewusst, Oma und Opa sprachen zu Hause Jiddisch, es gab bei ihnen milchiges und fleischiges Geschirr, bei ihnen bekam man auch Apfel und Honig. Die genaue Bedeutung haben sie aber nicht gelehrt, sie hatten zu viel Angst, Jüdischkeit zu vermitteln«. So lernte Malafy »auch erst später durch meine Kinder, die auf die jüdische Schule in Dnjepropetrowsk gingen, alles über das Judentum«.
Zum nächsten Sukkot werde man zwar wohl noch nicht in einer Sukka auf dem Innenhof der eigenen Synagoge sitzen können, sagt Malafy, »aber im Januar oder Februar sind die Planungen wohl fertig, und vielleicht kann zum nächsten Rosch Haschana schon mit dem Bau begonnen werden«.