Bedarf

»Vieles machen wir selbst«

Jüdische Kindergärten müssen Spielzeug und Bücher häufig im Ausland kaufen

von Annette Kanis  28.01.2010 00:00 Uhr

Ideen gefragt: Deutsche Malvorlagen mit jüdischen Themen sind rar. Foto: Uwe Steinert

Jüdische Kindergärten müssen Spielzeug und Bücher häufig im Ausland kaufen

von Annette Kanis  28.01.2010 00:00 Uhr

In der Kölner Franz-Herschtritt-Kindertagesstätte blühen die Mandelbäume. Rosa Blütenblätter aus fein zugeschnittenem Tonpapier, aus zusammengeknüllten Papierdeckchen und aus angemalten Knöpfen zieren die Wände. Tu Bischwat, der Feiertag zum Neujahrsfest der Bäume kündigt sich in den Bastelarbeiten der Kinder an. »Tu Bischwat, Tu Bischwat, Fest der Blumen, Fest der Bäume, wie ein bunter Traum« – 15 Kinder sitzen im Kreis und singen laut das Lied auf Deutsch, Hebräisch und schließlich Russisch. Erzieherin Galina Blechmann hat sich mit der Elch-Gruppe zusammengesetzt. Sie begleitet die schwungvollen Lieder auf der Gitarre und bespricht mit den Kindern den bevorstehenden Feiertag.

An der Wand hängt ein selbst gestalteter Feiertagskalender: ein unterteilter Kreis mit kleinen ausgeschnittenen Symbolen. Der gelbe Papierpfeil zeigt auf eine Blume, Gras und einen Baum. Hier steckt viel Kreativität und Einsatz dahinter, aber auch eine gewisse Notwendigkeit. »Motive zu jüdischen Themen gestalten wir häufig selbst, da die Einkaufsmöglichkeiten für jüdisches Material von Deutschland aus sehr begrenzt sind«, erläutert Elisabeth Frey-Salz, die Leiterin der Kita. In Israel, aber auch den USA sähe das anders aus.

Dort gibt es spezielle Geschäfte für jüdischen Kindergartenbedarf, die von Bastelmaterialien für die einzelnen Feiertage über Plakate und Puzzles mit Symbolen bis zu Spielzeug, das unterschiedliche Aspekte der Religion aufgreife. »Wenn eine Kollegin nach Israel fährt, schaut sie, was es Neues auf dem Markt gibt und schickt uns, was sie gekauft hat«, erklärt Frey-Salz. So kommen die Kinder an Luftballons mit Chanukka-Leuchtern, an Puzzles mit Schabbat-Zubehör oder an Memories mit religiösen Symbolen.

kontakte Auch andere Kindergärten sind auf Einkäufe in Israel und Amerika angewiesen, um ihren Fundus an jüdischen Materialien aufzustocken. So steht die Leiterin des Stuttgarter Ha-Shalom-Kindergartens, Sabine Morein, in engem Kontakt zu einer Freundin, die in der Nähe der Golanhöhen einen Kindergarten leitet. »Wir tauschen uns aus, und sie hält mich auf dem neuesten Stand.« Etwa alle zwei Jahre fährt die gebürtige Israelin nach Hause und kauft ein: Miniflaschen zum Bemalen für selbst gemachten Pessach-Wein, Mini-Kiddusch-Becher, Zubehör für eine selbst gebastelte Decke, um die Mazzot zuzudecken, kleine Siddurim zum Ausmalen und Bastel-Schablonen. Dazu kommen CDs mit hebräischen Liedern und DVDs, auf denen die Feiertage erläutert werden.
Nicht nur die Vielfalt an Einkaufsmöglichkeiten begeistert sie, ein weiterer Vorteil sind die vergleichsweise günstigen Kosten durch den Wechselkurs. Wenn der Kiddusch-Becher umgerechnet nur zehn Cent kostet, bleibt noch etwas vom Budget für die Versandkosten übrig.

Eigeninitiative Die Einkaufsmöglichkeiten in Israel nutzt auch der Ronald-Lauder-Kindergarten in Hamburg, der Kinder ab einem Jahr betreut. »Alles, was wir hier haben, wurde mitgebracht – von Erzieherinnen oder Familien, die uns vor ihrer Abreise fragen«, erklärt Leiterin Judith Jacobius und bedauert, dass es so schwierig ist, an jüdische Materialien für Kindergärten zu kommen. Sie sieht zum Beispiel ein großes Manko bei der Bilderbuchauswahl und der Literatur auf Deutsch. »Hier würde ich mir deutlich mehr Bücher wünschen, die wir einsetzen könnten, die nicht auf Hebräisch sind.« Bilderbücher von der Arche Noah oder der Geschichte von Josef und seinen Brüdern gäbe es in deutscher Version, dann sei aber auch schon Schluss. Judith Jacobius verweist auf Bestellmöglichkeiten etwa über einen Versandhandel in der Schweiz und in Österreich (Books & Bagels), doch Lieferkosten von knapp 40 Euro sind ihr einfach zu teuer.

hohe Versandkosten Ähnlich geht es Monika Röse von dem in Dortmund ansässigen Familienzentrum HaGescher, das im vergangenen Jahr zum Familienzentrum erweitert wurde. 55 Kinder im Alter von vier Monaten bis sechs Jahren werden hier betreut. »Für unsere augenblickliche Arbeit sind wir gut ausgestattet, was jedoch nicht heißt, dass wir für die nächsten Jahre nichts mehr benötigen«, so die Leiterin. Sie kauft hauptsächlich im Versandhandel doronia ein oder wendet sich an die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Dazu kämen selbst gebaute Utensilien wie zum Beispiel eine Gebetsecke, Gebotstafeln und selbst hergestellte Spiele. »Jedes Jahr stellen wir für die Kinder ein altersentsprechendes Spiel her, das die Kinder zu Chanukka von uns bekommen.« Kultgegenstände wie Chanukkia, Sederteller und Schabbatutensilien seien natürlich vorhanden, sagt Monika Röse.

»Was wirklich wünschenswert wäre, wäre ein deutscher Vertrieb von Feiertagsmaterialien. Das würde unsere Arbeit sehr erleichtern.« Die einzelnen Kindergärten behelfen sich selbst. So hat die Stuttgarter Einrichtung ein 40-seitiges Channukka-Purim-Heft zusammengestellt, das sich an die Eltern wendet. »Wir wollen Anregungen auch für die Familien zu Hause geben«, erklärt Sabine Morein. Sie selbst hat hebräische Texte ins Deutsche übersetzt.

Elisabeth Frey-Salz hat sich inzwischen ein zeitversetztes Organisieren angeeignet: »Wir kaufen jetzt in der Kölner Karnelvalszeit die Rasseln, die wir dann für Purim brauchen.«

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert