Antisemitismus, Israelfeindlichkeit oder Knatsch und Spaltungstendenzen in den jüdischen Gemeinden: Die Konfrontationen und Probleme, mit denen sich der Zentralrat der Juden in Deutschland heute beschäftigen muss, scheinen sich von denen vor 65 Jahren kaum zu unterscheiden. Art und Qualität des Judenhasses haben sich geändert, doch eine Bedrohung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland von außen und mancherorts von innen besteht nach wie vor.
Vor 65 Jahren gründete sich der Zentralrat nicht zuletzt, weil Juden nach der Zeit der Schoa und den Erfahrungen der frühen Nachkriegszeit eine politische Stimme brauchten. Und zwar eine einzige, wie der damalige Vorsitzende der größten jüdischen Nachkriegsgemeinde (Berlin), Heinz Galinski, forderte.
Mit einer Stimme sprechen und dieser Kraft verleihen, das beschwor Heinz Galinski zur Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland vor 65 Jahren. In einem Artikel in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland forderte Galinski, der zu jener ersten Stimme des am 19. Juli 1950 in Frankfurt gegründeten Dachverbandes der jüdischen Nachkriegsgemeinden und Landesverbände wurde, am 4. August 1950 Einheit und Maß.
Wichtig war es dem ersten Zentralratsvorsitzenden, »in allen grundsätzlichen Fragen« eine einzige Ansicht zu vertreten. Die Autonomie der Gemeinden und Landesverbände, so Galinski in jenem beschwörenden Artikel, müsse gewahrt bleiben, und doch dürfe »keine Einzelpersönlichkeit von sich aus grundsätzliche Erklärungen zur Situation der Juden in Deutschland abgeben«.
Stillschweigen Die politischen Geschehnisse jener Zeit hatten einen Zusammenschluss herausgefordert. So prangerte Norbert Wollheim, Mitbegründer des Zentralrats, als Resümee des ersten Verbandstages der Jüdischen Gemeinden in Nordwestdeutschland in der Allgemeinen »das Stillschweigen, das von 1945 bis 1950 um die begangenen Verbrechen betrieben wurde und das zum Teil politisch bewusst geschieht«, an. Dies werde »nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Wir werden so lange auf diese Unzeit der Geschichte hinweisen, bis wir die Gewissheit haben, dass dieses Vergessen nicht mehr als Mittel der Politik missbraucht wird«, so seine Kampfansage.
Worte, die am 26. Januar 1951 die gerade ein halbes Jahr alte verfasste jüdische Gemeinschaft aufrütteln sollten. Wie notwendig die Schaffung des Dachverbandes war, erklärt der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer. »Die Gründung des Zentralrats war enorm wichtig«, sagt der 95-jährige Zeitzeuge der Jüdischen Allgemeinen. »Die Gemeinden waren gar nicht dazu fähig, ihre politischen Forderungen durchzusetzen.« Mannheimer erinnert an die vielen Alt-Nazis, die fünf Jahre nach dem Krieg wieder in Amt und Würden waren. Besonders das Beispielaus Bayern treibt ihn um.
National-Zeitung So wurde Theodor Maunz zwölf Jahre nach dem Krieg Kultusminister in Bayern. Erst 1964, nachdem seine Rolle im Nationalsozialismus aufgedeckt worden war, trat er zurück. »Unter einem Pseudonym schrieb Maunz bis zu seinem Tod 1993 immer noch für die National-Zeitung«, empört sich Mannheimer noch heute.
»Nach 1945 wurde viel geschwiegen.« So hatte ein weiterer späterer Mitarbeiter im bayerischen Landesministerium noch 1943 auf seine Dissertation über einen jüdischen französischen Philosophen vermerkt: »Ich hoffe, mit meiner Arbeit einen Beitrag zur Lösung der Judenfrage geleistet zu haben.« Das sei das politische Klima gewesen, in dem sich vor 65 Jahren der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet habe.