Eigentlich wollte David Münz jetzt in einem Arbeitsraum an der Technischen Universität München sitzen und an seiner Bachelorarbeit über die Analyse von Verbindungsnetzwerken schreiben. Doch aus diesem Plan wurde nichts. Die Corona-Pandemie hat dem 22-jährigen Studenten der Elektro- und Informationstechnik einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Seit Mitte März ist Münz’ Uni aufgrund der Ansteckungsgefahr mit dem Virus geschlossen. Notgedrungen muss der Student in seinem Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung arbeiten. »Ich versuche, so gut es geht im Homeoffice mit meiner Bachelorarbeit voranzukommen«, sagt Münz. Das sei allerdings gar nicht so einfach. »An der Uni hätte man mir einen Arbeitsplatz mit einem Computer gestellt, auf dem eine Software zur Netzwerkanalyse bereits vorhanden ist«, erzählt der gebürtige Münchner, der sich im Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) engagiert. »Auf meinem Laptop muss ich diese Software erst langwierig installieren.«
David Münz musste seinen Arbeitsplatz von der Uni-Bibliothek wieder in sein altes Kinderzimmer verlegen.
Betreuung Zudem fehlten ihm einige Unterlagen aus der Bibliothek. Seinen Betreuer könne er nur bei dringenden Fragen per Telefon oder per Videochat kontaktieren, erzählt der Student. »Vor Ort hätte mir mein Professor viel öfter mal über die Schulter geschaut.«
Heimischer Schreibtisch statt Hörsaal und Bibliothek: Das ist für Studenten in ganz Deutschland Realität. Um ihren Beitrag zur Eindämmung der Virus-Pandemie zu leisten, sind die Hochschulen seit gut einem Monat geschlossen. Vielerorts mussten Prüfungen abgesagt und Abgabetermine für Hausarbeiten umterminiert werden. Die Verwaltungen arbeiten auf Sparflamme.
Sommersemester Der Start des Sommersemesters wurde an den Universitäten und allermeisten Fachhochschulen um zwei Wochen auf den 20. April verschoben. Dadurch wollte man Zeit gewinnen, um zu überlegen, wie es mit dem Hochschulbetrieb in der Krisensituation weitergehen kann. Inzwischen steht fest: Das Sommersemester soll in allen Bundesländern trotz der widrigen Umstände stattfinden, allerdings weitgehend kontaktfrei und digital.
Das sei grundsätzlich eine gute Nachricht, findet Avital Greenberg. »Ein kompletter Ausfall des Semesters hätte für die Studierenden eine Verlängerung ihrer Studienzeit nach sich gezogen«, sagt sie. Die 24-Jährige ist im fünften Semester an der Berliner Humboldt-Universität im Bachelorstudiengang Kunstgeschichte eingeschrieben. Neben dem Studium ist Greenberg in der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) aktiv.
»Für meine Uni wird es eine enorme Herausforderung sein, passable digitale Lehrangebote bereitzustellen«, sagt die Studentin. Die HU hinke hinsichtlich der Digitalisierung der Hochschullehre wie viele große Universitäten in Deutschland den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher.
Bücher »Durch Corona müssen die Unis sich jetzt einer digitalen Zwangsrevolution unterziehen«, sagt Greenberg. Das sei dann auch ein positiver Effekt der Corona-Krise. »Es kann ja nicht sein, dass im Jahr 2020 noch so wenige Bücher aus der Unibibliothek digitalisiert und online abrufbar sind.«
Das Corona-Virus wird auch das Studium danach verändern, glaubt Avital Greenberg.
Die Studentin ist überzeugt: »Das kommende Sommersemester wird ganz anders sein, als wir es bisher kannten.« Viele Seminare in Kunstgeschichte seien traditionell auf Präsenz aufgebaut. »Wir gehen zum Beispiel als Kurs gemeinsam ins Museum, um vor den Originalen zu zeichnen«, erzählt Greenberg. Dies sei unter den aktuellen Gegebenheiten unmöglich und auch nicht mit dem Laptop von zu Hause aus zu ersetzen.
Nebenjob »Diese Praxiskurse werden nicht stattfinden können«, ist sich die Studentin sicher. Andere Seminare, in denen die Teilnehmer Referate als Prüfungsleistungen halten, werden im Sommersemester höchstwahrscheinlich per Videokonferenzen stattfinden. »Mal sehen, wie das so laufen wird, auch hinsichtlich der Benotung und Anerkennung der Kurse«, zeigt sich Greenberg skeptisch.
Die Corona-Krise stellt die junge Frau aber nicht nur hinsichtlich ihrer Studienplanung vor neue Herausforderungen. Um sich das Studium finanzieren zu können, ist Greenberg auf einen Nebenjob angewiesen. »In der prekären Künstler- und Kulturszene in Berlin ist da momentan gar nichts zu machen«, sagt die Studentin.
In den nächsten Wochen und Monaten werde es für sie darum gehen, den Kopf über Wasser zu halten. »Ich werde es mit Nachhilfe für Schüler probieren, das habe ich früher schon manchmal gemacht.«
FINANZIERUNG Michael Gecht hat das Glück, sich um seine Finanzierung während der Virus-Pandemie keine Sorgen machen zu müssen. Der 29-Jährige ist Doktorand am Fachbereich Theoretische Physik der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und hat einen Tarifvertrag, der ihm die Lohnfortzahlung auch im Homeoffice garantiert.
»Mein Büro auf dem Campus bleibt wohl auch in den nächsten Wochen geschlossen«, sagt Gecht, der als Kind mit seiner Familie als jüdischer Kontingentflüchtling aus Weißrussland nach Deutschland kam. »Als Theoretischer Physiker habe ich den großen Vorteil, dass ich auch von zu Hause unproblematisch forschen und arbeiten kann«, erzählt Gecht.
Der Kaffeeeplausch mit Kollegen ist auch mit allen digitalen Kommunikationsformen nicht zu ersetzen, sagt Michael Gecht.
Die Besprechungen mit den anderen Doktoranden aus seinem Fachbereich liefen derzeit alle über Videochats. »Einmal in der Woche halten wir eine digitale Konferenz ab.« Auf diesem Wege könne man zwar wichtige Fragen besprechen und sich koordinieren.
Austausch Was aber fehle, sei der zwischenmenschliche Austausch. »Im Homeoffice fehlt mir der soziale Kontakt mit meinen Kollegen«, sagt der Doktorand. Das gemeinsame Mittagessen in der Mensa oder der Kaffeeplausch am Nachmittag sei auch mit allen digitalen Kommunikationsformen der Welt nicht zu ersetzen.
»Ich denke, die radikale Umstellung auf digitale Lehrangebote, die auch meine Uni jetzt leisten muss, wird im kommenden Semester einschneidende Folgen für das Studentenleben haben«, meint Gecht. Kontaktfreiheit bedeute ja nicht nur keine Präsenzseminare und Vorlesungen im Hörsaal, sondern auch kein Campusleben und keine Studentenpartys, sagt Gecht. »Corona stellt schon jetzt den Studentenalltag auf den Kopf.«