Es sei gar nicht so leicht gewesen, die Torarolle durch den Zoll zu bekommen, erzählt Rabbiner Netanel Teitelbaum. Zur Restaurierung musste sie einmal nach Israel reisen – und dann wieder zurück nach Bremen. Abgesehen von ihrer rituellen Bedeutung ist so eine Rolle ja von einigem Wert, über den der Zoll genaue Auskunft haben will.
Eine ganze Schar von Spezialisten habe 14 Achtstundentage daran gearbeitet, auch den letzten Buchstaben zu rekonstruieren, berichtet Teitelbaum weiter. In blaues Samttuch gehüllt, lag die heilige Schrift am vergangenen Sonntag in den Armen des Bremer Landesrabbiners und wurde mit Tanz und Gesang auf dem Weg in die Synagoge begleitet. Unter blauem Himmel, vorbei an Karaokebar, Ärztehaus und der Hüpfburg im Vorgarten des Gemeindehauses sicherten Polizisten ihren Weg.
Stadtväter Beachtung Freundlich interessiert betrachtete ein Ehepaar aus dem heimischen Wintergarten die illustre Festversammlung, zu der neben Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Bremen auch Vertreter anderer Religionen, Parteien und diverser städtischer Einrichtungen gehörten. Immerhin waren auch drei aktuelle beziehungsweise ehemalige bremische Bürgermeister gekommen, um nicht nur der alten-neuen Torarolle, sondern auch der Symbolkraft des nunmehr 50 Jahre alten Gotteshauses der Hansestadt ihre freundschaftliche Aufwartung zu machen.
Nicht zufällig sei der samtblaue Toramantel mit einem Baum verziert, sollte Rabbiner Teitelbaum eine gute Feierstunde später bemerken. Ein Symbol, dessen Wurzeln und Wachstum die Grußworte der Festredner treffend zusammenfasst. Denn nicht nur von verschiedenen Vergangenheiten war die Rede, sondern auch von der Zukunft. Der Zukunft der Bremer Gemeinde, die in dem halben Jahrhundert, das Synagoge und Gemeindehaus bestehen, wie die Gemeindevorsitzende Elvira Noa sagte, erfahren habe, dass sie zu denen, die das kleine Bundesland regieren und prägen, wieder Vertrauen fassen konnte.
Aber auch die Zukunft der Juden in Deutschland insgesamt, deren neue plurale Wirklichkeit, ihren Mentalitäts- und Perspektivwandel skizzierte Zentralratspräsident Dieter Graumann: »Wir Juden in Deutschland müssen politisch weiterhin mit einer Stimme sprechen, dürfen uns nicht spalten lassen. Doch wir dürfen uns dabei von der Vergangenheit nicht beherrschen lassen. Die Dauermeckerecke ist kein gemütlicher Ort.«
Zeitempfinden In die elegante Frage, ob denn 50 Jahre für einen Sakralbau überhaupt schon ein gutes Jubiläum abgeben würden, kleidete Graumann seine Überlegungen zum Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft. In der Tat atmet vieles der kargen Funktionalität des anschließenden Gemeindezentrums wie auch das eine oder andere bauliche Element des Synagogeninnenraums selbst den sehr diskreten Charme der 50er-Jahre. Lange, aber eben noch nicht sehr lange her. »Unser Zeitgefühl ist anders«, sagte Graumann, »nach der Schoa vergeht die Zeit dreimal, fünfmal, zehnmal so schnell.«
Diese gesellschaftlich-politische Lesart unterstrich Rabbiner Teitelbaum später mit der talmudischen Geschichte von einem jungen Mann, der einen älteren dabei beobachtet, wie dieser einen Baum pflanzt. Dabei weist der Ältere den Jungen darauf hin, dass das Wissen um die Früchte, die der Baum später einmal tragen wird, eine Menge mit seiner Gegenwart zu tun hat. »Wir haben heute etwas für die Zukunft gepflanzt«, so Teitelbaum mit Blick auf den Toramantel. Dort ist eine Widmung der zum Jubiläum eingebrachten Schriftrolle an die Kinder der Gemeinde zu lesen.
Jugend Die Kleinen vergnügten sich im Laufe des Tages an Hüpfburg und am Tischkicker, und die Jugenlichen informierten über die Arbeit des Jugendzentrums ATID. In einem Vorraum des Gemeindehauses hängt eine Tafel mit den Ergebnissen des letzten Schachturniers. Alle Namen, die darauf zu lesen sind, sind russisch. Nicht nur, aber auch ein Hinweis auf die Zuwanderung in der Bremer Gemeinde. »Wir haben unsere Neuen nicht nur gebraucht«, sagte Dieter Graumann in seinem Festvortrag, »wir haben sie auch gewollt.«
Damit sei ein »revolutionärer Umbruch in den jüdischen Gemeinden in Deutschland« verbunden. Aber auch ein Impuls, der aus dieser Bereicherung hervorgehe und der über die jüdischen Gemeinden hinausreiche. Schließlich, so Graumann, habe man aller Schwierigkeiten zum Trotz eine erfolgreiche Integration zuwege gebracht: »Im Verhältnis zehn zu neunzig; das soll uns mal einer nachmachen.«
Erfolgreiche Gemeindearbeit hat immer auch etwas mit den passenden Rahmenbedingungen zu tun. Formal gesprochen, drückt sich das im Staatsvertrag mit der Hansestadt Bremen aus – der passend zum 50. Synagogenjubiläum in diesem Jahr sein Zehnjähriges feiert. Deutlich greifbarer war das mehr als nur respektvolle Verhältnis zwischen dem kleinen Stadtstaat und seiner gewachsenen jüdischen Gemeinde in dem Zwischenapplaus für Altbürgermeister Hans Koschnick und seinen Amtsnachfolger Henning Scherf zu spüren.
Grundstein Als einer der wenigen, die die Grundsteinlegung der Synagoge noch miterlebt hatten, lobte Koschnick in seinem Grußwort Stadt und Gemeinde. Denn zum Anspruch auf die eigene Existenz sei immer das Bewusstsein hinzugekommen, für Bremen gut und wichtig zu sein. Vor allem im Bereich Bildung habe die Stadt immer wieder auf Ideen und fachkundige Beratung aus der Gemeinde zurückgreifen können und wollen.
Der gegenwärtige Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen dankte der Gemeinde für die »aktive Beteiligung am Gespräch in der Stadt« als »wichtigem Beitrag dazu, dass wir in Bremen mit Würde und mit Respekt füreinander leben können.«
Ein hanseatisches »Wir«, das deutlich mehr als nur Juden und Christen mit einschloss. Und ein »Wir«, von dem der aus Theresienstadt zurückgekehrte Carl Katz, der den Synagogenneubau seinerzeit maßgeblich vorangetrieben hatte, nur skeptisch hatte träumen können. Seine Tochter Inge Berger konnte nicht aus den Vereinigten Staaten nach Bremen kommen, ließ durch Elvira Noa aber übermitteln: »Mein Vater wäre selig gewesen, wenn er das hätte erleben können.« Nicht nur aus eigener, sondern auch aus bremischer Erfahrung. Es sei sein prominenter Amtsvorgänger Johann Smidt gewesen, gegen dessen deutlichen Widerstand das Bürgerrecht für Juden habe durchgesetzt werden müssen.
Dass das Jubiläumsfest in der Synagoge aber nicht von der Gemeinde allein gefeiert wurde, mag als deutliches Zeichen dienen, dass dieses Haus – anders als sein Vorgänger in der 200-jährigen bremisch-jüdischen Geschichte – auch den nächsten runden Geburtstag lebendig erlebt. Als die Gemeinde auf dem Vorplatz um die neue Torarolle herumtanzte, war dies nicht nur Freude über die heilige Schriftrolle, sondern auch ein Grund zum Feiern.