Für Verwirrung sorgt derzeit eine Mitteilung auf der Homepage der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: Dort wird mittlerweile das »amtliche Endergebnis der Wahl zur 18. Repräsentantenversammlung« verkündet. Und das, obwohl das amtliche Ergebnis laut Vladislava Zdesenko, der neuen Vorsitzenden des Schiedsausschusses, keineswegs endgültig feststeht.
Die Wahl, aus der das Bündnis Koach mit seinem Spitzenkandidaten Gideon Joffe als Sieger hervorging, hatte am 20. Dezember 2015 stattgefunden. Doch Mitglieder des oppositionellen Bündnisses Emet haben die Wahl kurz danach angefochten – fristgerecht –, wie Emet-Spitzenkandidat Sergey Lagodinsky betont. Denn ihrer Meinung nach sei das Wahlverfahren »nicht koscher« gewesen.
einspruch Daher haben die Emet-Kandidaten Sigalit Meidler-Waks, Liliana Liebermann, Billy Rückert und Boris Moshkovits, die nach jetzigem Stand aufgrund fehlender Stimmen nicht in die Repräsentantenversammlung (RV) einziehen konnten, den Antrag zur Anfechtung gestellt – sowohl beim Schiedsausschuss der Jüdischen Gemeinde zu Berlin als auch beim Zentralrat der Juden in Deutschland.
Wahlleiter und Rechtsanwalt Jürgen Weyer schreibt hingegen auf der Gemeinde-Homepage: »Einsprüche nach der Wahlordnung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegen die Gültigkeit der Wahl« habe »der Schiedsausschuss dem Wahlausschuss bis heute nicht bekannt gegeben.« Der Schiedsausschuss sei aber laut Wahlordnung »gezwungen gewesen, etwaige Einsprüche bis zum 4. Januar zu terminieren«. Das endgültige amtliche Endergebnis stehe damit fest.
lesebestätigung Das sei »eine Unwahrheit«, sagte Vladislava Zdesenko vom Schiedsausschuss der Jüdischen Gemeinde zu Berlin der Jüdischen Allgemeinen auf Nachfrage. Diese Behauptung entspreche »nicht den Tatsachen«, so die Rechtsanwältin. Sie habe am 4. Januar eine entsprechende Mitteilung per E-Mail an das Wahlbüro geschickt – und daraufhin auch »eine Lesebestätigung erhalten«.
Die Mitglieder des Schiedsausschusses hatten in den vergangenen Monaten viel zu tun. Misstrauensanträge, Einsprüche, Verhandlungen, Beweismaterial, Zeugenaussagen – mitunter bestärkten die zahlreichen komplizierten Streitpunkte in der Öffentlichkeit den Eindruck, die Fraktionen stünden sich unversöhnlich gegenüber.
So musste das ehrenamtliche Gemeinde-Gremium zuletzt auch etwa darüber entscheiden, ob die RV-Sitzung vom 30. November rechtsgültig gewesen ist – eine knifflige Angelegenheit.
folgenschwer Die letzte RV vor der Gemeindewahl war vom Präsidium einberufen worden, wurde aber kurzfristig abgesagt. Die RV-Vertreter der Opposition jedoch beschlossen, dennoch zu tagen. Mit der Nach-Nominierung von zwei Repräsentanten, die als Nachrücker seit Monaten auf der Liste standen, verfügten sie sogar über eine einfache Mehrheit.
Auf jener Sitzung wurden unter anderem zwei folgenschwere Beschlüsse gefällt: Der Wahlleiter, Jürgen Weyer, sollte von dieser Position abgesetzt werden, da er einige Koach-Kandidaten als Rechtsanwalt vertritt und somit aus Sicht der tagenden RV-Mitglieder als befangen gelte. Zudem hätte aufgrund von Weyers Absetzung die Wahl verschoben werden müssen.
Das amtierende Präsidium hatte daraufhin in einer Presseerklärung auf der Gemeinde-Webseite mitgeteilt, dass diese RV nicht rechtsgültig gewesen sei. Daraufhin reichten die Repräsentanten Micha Guttmann, Michael Joachim und Jewgenij Gamal einen Antrag beim Schiedsausschuss ein.
urteil Der Schiedsausschuss kam jedoch zu einem anderen Urteil als das Präsidium: Er ist der Meinung, dass die RV durchaus »rechtlich wirksam sein könnte«, wie der Jurist Gert Rosenthal auf Nachfrage der Jüdischen Allgemeinen mitteilte.
Allerdings ist Gert Rosenthal, bis kurz vor der Wahl Vorsitzender des Schiedsausschusses, mittlerweile von seiner Funktion zurückgetreten. Somit ist fraglich, ob das Gremium überhaupt handlungsfähig ist. »Die Wahlanfechtung müsste deshalb beim Zentralrat entschieden werden«, meint Rosenthal.
»Der Schiedsausschuss sollte sich zuerst mit der Gültigkeit der RV beschäftigen«, schlägt Micha Guttmann vor. »Denn wenn sie wirklich rechtmäßig gewesen sein sollte – wovon wir ausgehen –, dann wären auch ihre Beschlüsse rechtmäßig. Damit wäre klar, dass die Wahl hingegen rechtswidrig war.« Er habe bisher vom Ausschuss noch keine Nachricht erhalten, kündigt aber an, in den nächsten Tagen selbst nachzufragen.
Ob also das amtliche Ergebnis der Gemeindewahl tatsächlich endgültig ist –wie von Jürgen Weyer offiziell erklärt –, bleibt weiterhin abzuwarten.
Denn mittlerweile hat Vladislava Zdesenko den Wahlleiter aufgefordert, seine »falsche Darstellung unverzüglich binnen 24 Stunden zu korrigieren und den Ablauf richtigzustellen«. Das Schreiben hat Emet am Freitag auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. cs/ja