Knapp fünf Monate nach einer antisemitischen Demonstration vor der Gelsenkirchener Synagoge ist ein Mann wegen Volksverhetzung und weiterer Delikte verurteilt worden. Das Amtsgericht Gelsenkirchen sah es als erwiesen an, dass der 30-Jährige am 12. Mai unter anderem Hassparolen gegen Juden gerufen hatte, und verurteilte ihn am Mittwoch vergangener Woche zu einer Gesamthaftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Die antisemitische Demonstration hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst.
Die nicht zur Bewährung ausgesetzte Gesamtstrafe für den in Gelsenkirchen geborenen und bereits mehrfach verurteilten Mann setzt sich laut Gerichtssprecher aus der Verurteilung wegen Volksverhetzung sowie Körperverletzung, Fahren ohne Führerschein und Betrugs zusammen.
ZEICHEN Der Richter habe bei der Urteilsverkündung klare Worte gefunden und von einer »verabscheuenswürdigen Tat« gesprochen, sagte der Direktor des Amtsgerichts. Besonders vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte habe die Demonstration von rund 180 Menschen an der Synagoge mit den gegrölten Hassparolen in der Jüdischen Gemeinde »Angst und Schrecken« verbreitet.
Anfang 2015 hatte das Amtsgericht Wuppertal zwei Männer und einen Jugendlichen zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach, sagte der Jüdischen Allgemeinen, das Urteil sei »ein ganz wichtiges Zeichen«. Viele Gemeindemitglieder hätten sich nach den Vorfällen große Sorgen gemacht und seien sehr verunsichert gewesen. Vor allem im Lichte des viel kritisierten Urteils zu dem Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal im Sommer 2014 habe sie sich Sorgen gemacht, wie die Justiz diesmal reagieren werde, sagte Neuwald-Tasbach.
Anfang 2015 hatte das Amtsgericht Wuppertal zwei Männer und einen Jugendlichen zu Bewährungsstrafen verurteilt. Antisemitismus mochte das Gericht in der Tat nicht erkennen; die Revision gegen das Urteil verwarf 2017 das Oberlandesgericht Düsseldorf. Sie sei nun dem Gelsenkirchener Gericht deshalb »sehr dankbar«, dass es in diesem Fall deutlich gemacht habe, wie verabscheuungswürdig die Vorfälle gewesen seien, betonte Neuwald-Tasbach.
WIRKUNG Auch Zwi Rappoport begrüßte den Richterspruch. Der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, dem auch die Gelsenkirchener Gemeinde angehört, sagte auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen: »In der Vergangenheit wurden mehrfach unverständlich milde Urteile gegen antisemitische Straftäter verhängt.«
Mit der Verurteilung eines Antisemiten zu drei Jahren und neun Monaten Haft ohne Bewährung habe das Amtsgericht Gelsenkirchen ein wichtiges Zeichen gesetzt, »gerade angesichts des immer offener und aggressiver auftretenden Antisemitismus«. Nur durch Urteile, die zeigen, »dass der Rechtsstaat entschieden gegen Antisemitismus vorgeht«, könne eine abschreckende Wirkung erreicht werden, so Rappoport. »In jedem Fall lässt das angemessene Strafmaß die jüdische Gemeinschaft wieder größeres Vertrauen in die Justiz fassen.«
Ende August hatte die Gelsenkirchener Gemeinde ihr 150-jähriges Jubiläum aus dem vergangenen Jahr nachgefeiert.
Wie auf einem damals vom Zentralrat der Juden per Twitter veröffentlichten Video zu hören war, skandierten Demonstranten Sprechchöre mit antisemitischen Inhalten. Es wurden mehrere palästinensische und türkische Fahnen geschwenkt. Versammlungsteilnehmer riefen Parolen wie »Scheiß Juden« und »Kindermörder Israel«. Die Polizei identifizierte, auch aufgrund von Videobildern, insgesamt 16 Verdächtige und leitete Ermittlungen ein. Auch aus der Bevölkerung habe man zahlreiche Hinweise erhalten, so die Polizei.
GEWALT Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) hatte die Vorfälle verurteilt. »Wir tolerieren bei uns weder Hass, Hetze, Gewalt noch Antisemitismus.« Meinungsfreiheit sei ein wichtiges Gut, rechtfertige aber keine Volksverhetzung und erst recht keine Gewalt gegen Menschen oder Gebäude, so Welge.
Ende August hatte die 1870 gegründete Gemeinde ihr 150-jähriges Jubiläum aus dem vergangenen Jahr nachgefeiert. Aus diesem Anlass sagte Neuwald-Tasbach der Jüdischen Allgemeinen, sie wolle wegen der Aufarbeitung der antisemitischen Demonstration »am Ball bleiben«.
Trotz der Bedrohungen zeigte sie sich optimistisch: »Die Jüdische Gemeinde ist mitten in Gelsenkirchen zu Hause, sie ist ein aktiver Teil der Stadtgesellschaft geworden. Wir hoffen, dass wir trotz oder, besser gesagt, gerade wegen des immer lauter werdenden Antisemitismus und Rassismus gemeinsam eine gute Zukunft miteinander gestalten können – mit Respekt voreinander und Neugier auf den anderen.« ja/dpa