Frankfurt

Verständnis, Vertrauen, Versöhnung

Eigentlich war es ein freudiger Anlass. Zahlreiche Protagonisten des interreligiösen Dialogs haben sich am Sonntag im Kaisersaal des Frankfurter Römer versammelt. Sie kamen zusammen, um das 70. Jubiläum des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) zu feiern.

Und doch standen sämtliche Ansprachen dieses Festakts im Zeichen des an Jom Kippur in Halle verübten rechts­extremistisch und antisemitisch motivierten Terroranschlags.

Gründung Als Gastgeber begrüßte Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann die Anwesenden. Der SPD-Politiker würdigte zunächst die Rolle der alliierten Besatzungsmächte bei der Gründung der ersten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Feldmann hob zudem das Wirken des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer hervor, der Anfang der 60er-Jahre die Frankfurter Auschwitz-Prozesse initiierte. »Wir wissen, es ist nicht vorbei«, mahnte Feldmann in Bezug auf den Kampf gegen rechts. Der rechtsextremistische Terror breite sich aus, sagte er. »Wir alle stehen in der Verantwortung, dieses Versprechen zu halten: ›Nie wieder!‹«

»Der Überfall auf die Synagoge in Halle hat uns vor Augen geführt, wie dünn das Eis noch immer ist, auf dem wir uns bewegen.«Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble

Sein Grußwort begann Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, mit einer Würdigung der Errungenschaften der christlich-jüdischen Zusammenarbeit. »Es ist sehr viel passiert in diesen sieben Jahrzehnten, und zwar sehr viel Gutes.« Er dankte allen, die sich in den jeweiligen Gesellschaften und im Koordinierungsrat engagieren, für ihre Arbeit.

Zäsur Anschließend kam Schuster auf den Terroranschlag in Halle zu sprechen. »Dieser Anschlag bedeutet für die jüdische Gemeinschaft und für uns alle in diesem Land eine tiefe Zäsur«, sagte er. In weiten Teilen der Gesellschaft seien Warnungen und Sorgen bezüglich des wachsenden Antisemitismus nicht wirklich ernst genommen worden. Auch dem wachsenden Rechtsextremismus sei zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, stellte Schuster fest. »Weder für die Experten noch für die jüdische Gemeinschaft kam dieser Anschlag letztendlich überraschend«, sagte er. Schusters Forderung, dem Rechtsextremismus keinen Zentimeter Raum zu geben, wurde mit viel Applaus bedacht.

Josef Schuster blickte auf einige Entwicklungen im christlich-jüdischen Dialog zurück. Als positives Beispiel nannte er etwa die verschiedenen Schuldbekenntnisse der evangelischen Landeskirchen und der EKD in der Nachkriegszeit. Schuster lobte überdies die Auseinandersetzung der Evangelischen Kirche mit den judenfeindlichen Schriften Martin Luthers im Zuge des Reformationsjubiläums 2017.

Beschneidungsdebatte Die größte Bewährungsprobe der vergangenen Jahrzehnte sei, so Schuster, die Beschneidungsdebatte im Jahr 2012 gewesen. »Wie kein anderer stellten sich die beiden christlichen Kirchen an die Seite der jüdischen Gemeinschaft«, betonte Schuster. Zum Schluss dankte der Zentralratspräsident dem scheidenden DKR-Generalsekretär Rudolf W. Sirsch für sein langjähriges erfolgreiches Wirken.

»Es ist sehr viel passiert in diesen sieben Jahrzehnten, und zwar sehr viel Gutes.« Zentralratspräsident Josef Schuster

Anschließend sprach Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und stellvertretende Vorsitzende des Rates der EKD. Auch sie würdigte die Rolle der jeweiligen Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. »Da wird echte Gemeinschaft gelebt vor Ort«, sagte Kurschus.

Sie mahnte indes auch: »Antisemitismus und Judenhass sind lange nicht verschwunden.« Der DKR sei unverzichtbar im Kampf gegen Judenhass und im Einsatz für Verständigung und Versöhnung, betonte Kurschus.

Zusammenarbeit Ulrich Neymeyr, Bischof von Erfurt, stellte ebenfalls die Bedeutung der alltäglichen Zusammenarbeit vor Ort heraus. Sie fördere gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. »Mit Entsetzen müssen wir feststellen, dass die Erinnerung an die NS-Diktatur pervertiert wird«, fuhr Neymeyr fort. Der Weg von der Verharmlosung über Gutheißung zur Nachahmung sei erschreckend kurz, sagte er.

Auch der Festredner, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, zeigte sich der besonderen Umstände der Veranstaltung bewusst. Eigentlich seien 70 Jahre Deutscher Koordinierungsrat ein Grund zur Dankbarkeit, sagte der CDU-Politiker. »Der Überfall auf die Synagoge in Halle hat uns vor Augen geführt, wie dünn das Eis noch immer ist, auf dem wir uns bewegen«, bemerkte er.

Alle hätten ein Recht darauf, in Sicherheit zu leben, unabhängig von Religion, Herkunft oder Geschlecht. Dafür müsse, so Schäuble, der Staat sorgen. Daher gelte es, offenkundiges Versagen schnell und gründlich aufzuarbeiten. Gänzlich ausschließen oder verhindern ließen sich Übergriffe aber nicht, betonte der ehemalige Bundesinnenminister.

Überlebende Schäuble machte darauf aufmerksam, wie wenig selbstverständlich die Entscheidung von Schoa-Überlebenden war, nach 1945 (wieder) nach Deutschland zu kommen. »Wie schwer muss es für die Überlebenden gewesen sein, sich den Schuldigen zuzuwenden«, fragte Schäuble nachdenklich. Juden, die offen für einen Dialog waren, und Christen, die sich mit der Schuldfrage und dem christlichen Antijudaismus auseinandersetzten, hätten die Grundlage für die christlich-jüdische Zusammenarbeit gelegt. Judenfeindschaft trete leider längst wieder offen und verdeckt in Deutschland zutage, sagte Schäuble.

Schäuble betonte die Bedeutung des Glaubens in einer Gesellschaft.

Die Auseinandersetzungen um das Verbot der BDS-Kampagne und um die Leitung des Jüdischen Museums Berlin hätten gezeigt, dass Kritik an der Politik der israelischen Regierung leicht in Antijudaismus, Antizionismus und Antisemitismus kippe.

Kritik Andererseits dürfe nicht jede berechtigte Kritik an der israelischen Regierungspolitik unter Antisemitismusverdacht gestellt werden, mahnte Schäuble: »Es braucht schon das richtige Maß.« Der Bundestagspräsident sprach zudem über die zunehmende Säkularisierung der deutschen Gesellschaft. Das Resultat seien Glaubensferne, Kulturverlust und Skepsis gegenüber religiösen Menschen.

Schäuble betonte die Bedeutung des Glaubens in einer Gesellschaft, »in der viele Menschen Überfluss kennen und an Überdruss leiden, in der Radikalität und Wut zunehmen«. Seine Ansprache schloss Wolfgang Schäuble mit einem Appell an die im christlich-jüdischen Dialog Engagierten: »Bleiben Sie stark!«

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