Ich bin seit Mai festes Ensemble-Mitglied am Berliner Grips-Theater. Obwohl es erst in der nächsten Spielzeit richtig losgeht, wurde ich schon jetzt für mehrere Stücke ausgewählt, darunter zum Beispiel Eins auf die Fresse oder Eine linke Geschichte – Das Original.
Schon mit sechs wusste ich, dass ich Schauspielerin werden will. Damals stand mein älterer Bruder öfter vor der Kamera. Bei einem Kinder-Casting für Die Katze auf dem heißen Blechdach im Schillertheater wurde man dann auf mich aufmerksam. Als man mich fragte, ob ich Lust hätte, Theater zu spielen, dachte ich, es ginge um Kasperletheater! Natürlich wollte ich das – und war dann erst mal irritiert. Dennoch verliebte ich mich sofort in die Bühne. Nach dem Abitur habe ich mich an einigen Schauspielschulen beworben. Schon beim zweiten Anlauf, der Bayerischen Theaterakademie, klappte es. Ich musste zwar aus Berlin wegziehen, doch München hat mich gut empfangen. Auch meine Familie hat sich sehr für mich gefreut – obwohl sie nichts gegen eine andere Berufswahl gehabt hätte.
Die vierjährige Ausbildung war eine tolle Zeit! Nach meinem Abschluss habe ich zunächst frei gearbeitet: in Zürich, Oberhausen, Essen und in Berlin. Das Dasein als freie Schauspielerin ist zwar immer wieder anstrengend, bedeutet aber auch ständig neue Herausforderungen. Die fehlende Sicherheit dabei macht mir nichts, denn niemand außer dir selbst kann dir Sicherheit geben. Seitdem ich das verstanden habe, geht es mir viel besser.
Obwohl ich diese Jahre genossen habe, konnte ich dem Angebot vom Grips-Theater nicht widerstehen: Es war zu verlockend. Ich kannte das Theater schon aus meiner Zeit als Freiberuflerin und habe mich dort immer wohlgefühlt. Außerdem wollte ich nach Berlin zurück. Meine Eltern und mein Bruder wohnen auch hier, wir haben alle täglich miteinander Kontakt.
herausforderung Als festes Ensemblemitglied wird meine Woche stark vom Spielplan bestimmt: Mal habe ich frei, dann trete ich an fünf Abenden die Woche auf. Dazu kommt, dass man in dem Beruf oft an Feiertagen arbeiten muss. Es gibt keinen Alltag, was ja auch das Reizvolle ist. Die ständig neuen Rollen sind eine Herausforderung: Schauspielerei ist ein sehr reicher Beruf, der wenig Raum für Gleichgültigkeit lässt. Ich bereite mich intensiv auf die Figuren vor, die ich spiele – ohne dass ich die Rollen mit nach Hause nehme.
In dem Stück Big Deal spiele ich zum Beispiel eine Drogenberaterin, die früher selbst süchtig war. Das hat mich stark beschäftigt, ich habe mich mit zwei Drogenberaterinnen getroffen und sehr intensive Gespräche mit ihnen geführt. Dazu mache ich mir Gedanken, wie meine Figur aussehen könnte. Sehe ich ein Bild, das ihr ähnelt, schneide ich es aus und klebe es in mein Textbuch. Dabei geht es oft um Kleinigkeiten, wie etwa: Trägt sie Nagellack? Eine Uhr? Hat sie eine Tätowierung?
Eine Traumrolle habe ich nicht. Für mich entsteht die Inspiration beim Lesen, dann verliebe ich mich meistens in die Rolle. Interessant finde ich immer Menschen, die einen Bruch in ihrer Biografie haben. Ich bin allerdings nicht auf eine Rolle oder einen bestimmten Charakter festgelegt, das finde ich toll. Hier am Grips-Theater ist es so, dass man Wünsche äußern kann bei neu geplanten Stücken. Man muss aber auch zu der Rolle passen. Ein Gremium aus Mitgliedern der Theaterleitung und des Ensembles entscheidet dann über die Besetzung.
Aufregung Für ein Stück probt man normalerweise mindestens sechs Wochen. In diesen sechs Wochen beschäftigst du dich intensiv mit dem Text, der Inszenierung, dem Aufbau. Daher macht es auch nichts, wenn man dann innerhalb einer Woche mehrere unterschiedliche Sachen spielt: Du bist einfach in deiner jeweiligen Figur drin. Aufgeregt bin ich aber fast immer, das kommt stark auf das jeweilige Stück an. Eine linke Geschichte geht zum Beispiel dreieinhalb Stunden, da muss alles sitzen. Mir hilft gegen die Nervosität vor allem Vorbereitung, sie ist das A und O. Letztens saß eine meiner Freundinnen bei einer Vorstellung in der ersten Reihe, das hat mich schon sehr nervös gemacht.
Vor Kurzem habe ich für die Stücke Linie 1 und Linie 2 geprobt und fleißig Choreografie, Text und Singen geübt. In meinem Schauspielstudium habe ich zwar auch eine Gesangausbildung absolviert, aber ich fühle mich im Singen noch nicht so sicher. Mir fehlt die Praxis.
Vor der Sommerpause bin ich an sechs Tagen die Woche morgens um zehn Uhr ins Theater gegangen und habe vier Stunden geprobt. Dann war Mittagspause. Danach ging’s weiter bis zur Vorstellung, manche Tage enden erst um zehn. Um zur Ruhe zu kommen, mache ich seit sechs Jahren Yoga. Das ist für mich eine gute Form konzentrierter Stille: am liebsten jeden Tag und im Studio. Wenn ich allerdings Proben und Vorstellungen habe, komme ich nur ein bis zwei Mal die Woche dazu und das dann allein zu Hause.
Ansonsten esse ich in meiner Freizeit gern, lasse mich bekochen, treffe Freunde, gehe ins Kino oder auch ins Theater. Dabei schaue ich vielleicht kritischer zu als andere, lasse mich aber auch gerne begeistern und inspirieren. Schließlich lernt man auch vom Zuschauen.
Während der intensiven Zeit aus Spielen und Proben bleibt für andere Engagements wie Sprecherjobs für Dokus, Synchronisationen oder die Arbeit vor der Kamera keine Zeit. Obwohl ich das Filmgeschäft auch mag, es ist eine ganz andere Herangehensweise: Beim Theater spielt man in Bögen, beim Film in Sequenzen. Da muss man immer aufpassen, nicht aus dem Bild zu fallen, man kann aber auch viel filigraner und subtiler spielen, weil man jeden Wimpernschlag sieht. Das fertige Ergebnis sehe ich mir allerdings nicht gern an, ich bin sehr kritisch.
Freizeit Vor wenigen Tagen hat die spielfreie Zeit begonnen, da bin ich sehr gern draußen, drinnen in den Probebühnen ist es ja immer so dunkel. Außerdem verreise ich gern – oft nach Tel Aviv, wo fast meine gesamte Familie lebt. Meine Mutter ist Israelin, mein Vater Deutscher. Kennengelernt haben sie sich in New York in den 60er-Jahren. Durch meine Mutter bin ich zwar Jüdin, lebe aber das Judentum eher als Kultur. Ich gehöre zu denen, die zwei Mal im Jahr in die Synagoge gehen. Dennoch würde ich mich als sehr gottgläubig bezeichnen.
Die Mischung, die ich durch meine Eltern bin, schlägt sich auch in meinem Freundeskreis nieder: Ich habe jüdische und nichtjüdische Freunde. Insgesamt ist das Judentum für mich eine Volksgemeinschaft, die Menschen, die mich umgeben, ein Stück weit Tradition, Essen und Humor. Teilweise drückt es sich auch in Kleinigkeiten aus. So arbeite ich zum Beispiel nicht gern an Jom Kippur. Ich versuche immer, mir dann freizunehmen.
Momentan ist mein Interesse nicht groß, mehr Anteil am jüdischen Gemeindeleben zu haben, aber wer weiß, was die Zukunft bringt? Mir ist es auch egal, ob mein zukünftiger Mann Jude ist, allerdings würde ich dennoch versuchen, meinen Kindern etwas vom Judentum weiterzugeben – als ein Stück Identität.
Solche Dinge kann ich in meinem Beruf nicht planen. Das ist aber in Ordnung, so bleibt man bewusst. Auch wegen das Älterwerdens mache ich mir keine Sorgen, das würde mich nur blockieren. Vielleicht interessiert mich ja langfristig etwas ganz anderes, oder ich entschließe mich, für längere Zeit nach Tel Aviv zu ziehen. Jetzt habe ich erst mal den Zwei-Jahres-Vertrag am Grips-Theater. Danach werde ich sehen, wie’s weitergeht.
Aufgezeichnet von Alice Lanzke