Die Fragestellung der Podiumsdiskussion am vergangenen Sonnabend in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war schon fast eine Antwort: Über das Thema »Neonazistischer Terror: Verharmlost – verschwiegen – vertuscht!?« debattierten der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, der Leiter der ARD-Sendung Kontraste, Reinhard Borgmann, und Carl Chung von der Stiftung SPI – Mobiles Beratungsteam »Ostkreuz«.
Doch zunächst rief die stellvertretende Gemeindevorsitzende Mirjam Marcus in dem gut gefüllten Großen Saal der Neuen Synagoge zu einer Schweigeminute für die zehn von der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) Ermordeten auf.
Erfahrungen Borgmann, der schon seit den 80er-Jahren immer wieder über die deutsche Neonazi-Szene berichtet, erzählte von seinen Erfahrungen aus kleinen Ortschaften, in denen »die demokratische Kultur noch nicht so ausgereift« sei, wo Nazi-Gegner teilweise sogar in der Minderheit seien: »Nicht entmutigen lassen«, lautete Borgmanns Botschaft an die Engagierten vor Ort. Auch Wolfgang Thierse (SPD) diagnostizierte für viele ostdeutsche Kleinstädte eine »Atmosphäre der Angst«.
Beide waren sich einig, dass jetzt die Geschehnisse rund um den NSU und Versäumnisse der Verfassungsschutzbehörden genauestens aufgeklärt werden müssten. Auch ein Verbot der NPD betrachteten sie als positiv. Es löse »das Problem zwar nicht grundsätzlich«, sagte Thierse, sei aber dennoch wünschenswert, um deren Hasspropaganda nicht staatlich zu finanzieren. Sowohl Borgmann als auch Thierse sahen in der aktuellen Situation die Chance, den Kampf gegen Rechtsextremismus durch die erhöhte Aufmerksamkeit voranzubringen – »da bin ich Opportunist«, brachte es Borgmann auf den Punkt.
Chung kritisierte hingegen diese Einstellung als ritualhaft. Der Bildungspraktiker machte sich lieber für einen »demokratisch-republikanischen Verfassungspatriotismus« stark. Der von einigen Medien verwendete Begriff »Türken-Morde« enthülle indirekt, dass trotz der deutschen Staatsangehörigkeit der meisten Opfer diese häufig als »Fremde« wahrgenommen würden. »Deutsche« seien eben nicht nur christliche »weiße Mehrheitsdeutsche«, sondern auch Einwanderer, Juden, Muslime.
Publikum Zum Unmut von Teilen des Publikums hielten aber alle drei Referenten Forderungen nach dem Rücktritt politisch Verantwortlicher oder gar nach radikalen Veränderungen, wie zum Beispiel der Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden, mindestens für verfrüht.
So hätte man sich nicht nur aus Gründen der Geschlechterparität zwei Frauen auf dem Podium gewünscht: Kristina Schröder (CDU), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hätte dem Publikum erläutern können, warum ihr Haus seit über einem Jahr mit der möglicherweise grundgesetzwidrigen »Extremismusklausel« Gruppen, die wichtige Arbeit gegen Rechtsextremismus leisten, unter den Generalverdacht des Linksextremismus stellt und die Finanzmittel des Bundes für dieses Engagement bis vor Kurzem sogar reduzieren wollte.
Andererseits hätte etwa die in Jena aufgewachsene thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König (Die Linke), die sich schon als Jugendliche gegen die neonazistischen Umtriebe in dem Freistaat engagierte, mit ihren praktischen Erfahrungen die Veranstaltung sicher bereichert hätte.