Chanukka

Verbunden auf Distanz

Zu zweit geht alles besser, auch beim Packen der Chanukka-Pakete. Wolfgang Otschik nimmt die Kleberolle, während Farid Charrabe den Karton in der Hand hält, und im Nullkommanichts ist er verschlossen. In den Tagen vor dem Lichterfest stand der Kidduschraum der Synagoge Pestalozzistraße ganz im Zeichen der Paketaktion, bei der mehr als 220 Päckchen an alleinstehende Menschen und Familien verschickt wurden.

Von Sonntag bis Donnerstag trafen die Kerzen, Dreidel und das Öl ein, wurden sortiert und in die Pakete gelegt. Nur das Chanukka-Geld ließ auf sich warten – die Online-Bestellung musste noch durch den Zoll und kam erst in letzter Sekunde an. Dann doch noch rechtzeitig.

»Den Basar hatten wir bereits im Sommer abgesagt, denn kein Mensch konnte damals vorhersehen, wie sich die Corona-Situation entwickeln würde«, sagt Dagmar Otschik, Beterin der Synagoge Pestalozzistraße, die sonst um diese Jahreszeit alle Hände voll zu tun hat, um den Chanukka-Basar zu organisieren. »Glücklicherweise hatten wir diese Entscheidung getroffen«, fügt sie hinzu. Denn so konnten sich die Initiatoren eine Alternative suchen – und entschieden sich dafür, Pakete zu packen.

ZITRONENÖL »Wir haben uns überlegt, was wir tun können, damit sich die Leute nicht so alleine fühlen«, sagt Initiatorin Naomi Birnbach. Und: Es soll für alle Interessierte sein. Auch könne es ein kleiner Ersatz dafür sein, dass viele Beter derzeit nicht die Gottesdienste in der Synagoge besuchen können.

Für viele ältere Beter sind es die ersten Chanukkageschenke seit Jahren.

Selbstgebackene Kekse, Dreidel, bunte Kerzen, koschere gebrannte Nüsse, Zitronenöl, Ölkrüge, Plätzchenformen in Form einer Chanukkia, eine Mini-Musik-Box und Schokotaler liegen auf dem Tisch. Darunter ist eine kleine längliche Streichholzschachtel mit der Aufschrift »Mitzwa Express der Synagoge Pestalozzistraße« und dem Gotteshaus-Logo platziert. Alles landet in dem jeweiligen braunen Karton, der im Inneren mit einem blauen Papiertuch ausgestattet ist.

Alles sieht sehr einladend und liebevoll zusammengestellt aus. Für Familien, die kleinere Kinder haben, kommen noch Sticker, Chanukka-Memory und eine Spieluhr dazu. »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«, sagt Dagmar Otschik. Ein Lächeln bedeutet in dieser dunklen Zeit viel.

SPENDEN Finanziert werden die Pakete über Spenden – von Privatleuten und Firmen.Vor Chanukka sind jeden Tag wenige Leute in dem Kidduschraum, denn es können wegen der Pandemie nur zwei Haushalte gleichzeitig hinein. Weshalb es einen genauen Zeitplan gibt, um die Hygienekonzepte umzusetzen.

Acht Ehrenamtliche arbeiten nun umschichtig, was »natürlich kein Vergleich zu der Anzahl von Mitarbeitern beim Basar ist«, sagt Dagmar Otschik. Aus dem Basar-Team hat sich der Ableger Mitzwa-Express gebildet. Es gab zu den Hohen Feiertagen bereits Essenspakete für Alleinstehende, Ältere und Bedürftige – alles Spendenfinanziert.

Für die Beter vor Ort wurde eine Tüte mit »Kiddush to-go« und nach Jom Kippur »Anbeißen to-go« angeboten. Doch zum Lichterfest gehören ja traditionell kulinarisch Latkes und Sufganiot – beides schmeckt nur frisch. Auch deshalb fiel die Entscheidung zugunsten der Pakete.

GESCHICHTEN In den Wochen vor Chanukka war ein Anrufbeantworter geschaltet, auf dem man seinen Wunsch anmelden und seine Adresse hinterlassen konnte. Bis zu 40 Anrufe täglich gingen teilweise ein. Da doch einige ältere Gemeindemitglieder mit dem Computer nicht vertraut sind, wurde der Anrufbeantworter den E-Mails vorgezogen.

Manche hinterließen noch mehr als nur ihre Adresse, darunter bewegende Geschichten, wie beispielsweise die eines 98-Jährigen, der berichtet, dass er seit Jahren zum Lichterfest nichts mehr geschenkt bekommen hat. »Es gibt bestimmt viele Menschen, die sich gerade in dieser Zeit nichts leisten können«, vermutet Dagmar Otschik. Daher möchten sie und die Mitzwa-Express-Mitarbeiter umso mehr »Freude nach Hause schicken«.

Die Mitzwa-Express-Mitarbeiter möchten »Freude nach Hause schicken«.

Die Pakete waren für die Beter der Synagoge gedacht, dabei wurde nicht unterschieden, ob jemand bedürftig oder nicht, auf die Geschenke angewiesen ist oder nicht. Denn »das können wir sowieso nicht kontrollieren und wollten das auch gar nicht«. Die Aktion richtete sich an alle Beter. Die Nachfrage war so immens, dass das Team doppelt so viele Pakete hätte packen können.

POST Während Dagmar Otschik erzählt, werden derweil die Stapel mit den Paketen immer höher. Es ist der letzte Nachmittag der Packaktion. Am nächsten Tag sollen alle Kartons verschickt werden. Auch da musste erst einmal eine Logistik entwickelt werden, denn die wenigsten Annahmestationen sind groß genug für einen solchen Ansturm.

»Mir ist es wichtig, dass die Leute wissen, dass wir an sie denken.«

Naomi Birnbach

»Nun haben wir einen Getränkeladen mit Paketstation gefunden, wo alle 220 abgefertigt werden«, zeigt sich Dagmar Otschik erleichtert. Anfangs hatten sie überlegt, die Pakete untereinander aufzuteilen und jeweils zu unterschiedlichen Filialen zu bringen. Doch nun war es doch möglich, sie über eine Station verschicken zu können – eine Zeitersparnis. Vorher müssen noch die Adressaufkleber ausgedruckt und auf die Pakete geklebt werden. Dann werden mehrere Autos beladen und die Pakete abgegeben – und eine Mitarbeiterin des Versandes scannt sie ein.

»Bereits am Montag vor Chanukka waren schon einige Pakete bei den Betern eingetroffen«, erzählt Naomi Birnbach einige Tage später. Die Feedbacks und Danksagungen seien »rührend« gewesen.

»Mir ist es wichtig, dass die Leute wissen, dass wir an sie denken«, sagt Naomi Birnbach. Gerade in diesen Pandemie-Zeiten müsse man sich engagieren – insbesondere für die einsameren Menschen. »Je länger die Pandemie dauert, desto schlimmer wird es für alle«, meint die 27-Jährige.

PLÄNE Auch für die nächsten Feiertage gibt es schon Pläne – auf jeden Fall haben die Mitarbeiter des Mitzwa Express sich schon Gedanken gemacht, wie sie weiterhin etwas Freude und Licht nach Hause schicken können. »Es ist schön, den Leuten etwas zu geben.« Und die Verbundenheit und das Zugehörigkeitsgefühl zur Synagogengemeinschaft auch in diesen schwierigen Zeiten aufrechtzuerhalten – auch auf Distanz. Darin sind sich die Mitarbeiter des Teams einig. Und die Resonanz gibt ihnen recht.

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