Mirjam Zadoff trägt ein Lächeln im Gesicht. Es strahlt Ruhe, Zuversicht und Bereitschaft aus. Es ist das Lächeln, das man von den Fotos kennt, die nach ihrer Ernennung im April zur Direktorin des NS-Dokumentationszentrums durch die Presse gegangen sind. Mehr als ein halbes Jahr ist sie jetzt im Amt.
Schulklassen warten im Erdgeschoss des NS-Dokumentationszentrums auf ihre Führung. Die Jugendlichen blättern in Graphic Novels, die der Buchladen, der sich an der hinteren Wand entlangzieht, neben anderen Sachbüchern anbietet. Am Ticketschalter liegen Kopfhörer für ausländische Gäste bereit. Neben der Dauerausstellung erwartet die Besucher seit Ende September die neue Sonderausstellung zur Verfolgung der Zeugen Jehovas in München. Der Lift fährt in den fünften Stock. Hier liegen das Sekretariat und die Büroräume, auch das Büro von Mirjam Zadoff. Ein schöner heller Raum mit einem Tisch in der Mitte für Gespräche.
TEAM Geboren wurde Mirjam Zadoff 1974 in Innsbruck. München kennt sie gut. An der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität hat sie in Neuerer und Neuester Geschichte promoviert, sich ebenfalls dort habilitiert, war bis 2014 am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur tätig.
Als Autorin hat die Historikerin mit zwei Buchtiteln auf sich aufmerksam gemacht. 2007 erschien Nächstes Jahr in Marienbad, ein Buch, in dem sie sich mit den jüdischen Kurgästen des mittleren bis ausgehenden 19. Jahrhunderts befasst. 2014 kam dann Der rote Hiob heraus, eine beachtete Biografie über den Kommunisten und Stalin-Kritiker Werner Scholem, Bruder Gershom Scholems. Werner Scholem ist 1940 im KZ Buchenwald ermordet worden.
Sie will das Haus weiter öffnen, Partizipation ermöglichen, Generationen miteinander ins Gespräch bringen.
Bevor sie im Frühjahr die Leitung des NS-Dokumentationszentrums übernahm, unterrichtete Zadoff als Professorin für Jüdische Studien und Geschichte vier Jahre lang an der Indiana University in Bloomington. Mirjam Zadoff geht es um gute Zusammenarbeit, weshalb sie auch die »wunderbare Arbeit« ihres Teams betont, das sie von ihrem Vorgänger übernommen hat.
Später wird sie, auf die Frage, was sie – Trump hin oder her – am »American Way of Life« vermisst, die »weniger hierarchische Sprache dort« erwähnen und den »unkomplizierteren, direkten und freundlichen Umgang« miteinander. »Hier ist es manchmal schon ein bisschen steif«, findet sie. Wobei das natürlich auch ab und an der richtige Ton sein könne, ergänzt sie nach einer kurzen Denkpause.
HERAUSFORDERUNGEN Mirjam Zadoff geht es um Vermittlung: um Kommunikation auch über Gräben hinweg. »Denn die Zeiten haben sich verändert«, sagt sie. Sie holt tief Luft. »Es passiert ja gerade sehr viel. Es tun sich viele Konflikte auf, an die man vor einigen Jahren noch nicht gedacht hat« – offener Antisemitismus von rechtsextremer wie von muslimischer Seite, rechtspopulistische Strömungen, Forderungen nach einer sogenannten Erinnerungswende.
»Das alles sind natürlich sehr große Herausforderungen, aber auch große Chancen, neue Kommunikationswege, neue Themen zu identifizieren, neue Allianzen zu schaffen, Gruppen zusammenzubringen, die bisher nicht das Gefühl hatten, dass man gemeinsame Interessen hat, und jetzt auf einmal kann man gemeinsam etwas bewirken.«
Was macht man, wenn sich die Demokratie verletzbar zeigt? Wie geht man mit antidemokratischen Stimmen um? Schließt man sie aus? Das seien Fragen, denen man sich stellen müsse, sagt Mirjam Zadoff. Sie weist auf die tiefen Gräben, die sich durch die amerikanische Gesellschaft ziehen, hin und sagt, »da gibt es oft keinen Dialog mehr«.
Erinnern à la Disney World lehnt die Historikerin ab.
Die Sorgen darum, was man sich in stetiger Kleinarbeit in einer Demokratie mit Erinnerungskultur erarbeitet hat, haben die Historikerin dazu bewogen, sich um die Stelle in München zu bewerben.
Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es neben der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Engagement für die Sache zu zeigen, persönliche Initiative fürs große Ganze zeigt. Zadoff weiß in wenigen Sätzen positive Wendungen zu schaffen, wo man sie nicht erwartet hätte. »Ist Erinnerung wirklich eine Belastung? Meine These ist, dass Deutschland ein so vielfältiges Land geworden ist, eben weil es sich so intensiv mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Und wenn man sich Länder ansieht, die das nicht so gemacht haben, sieht man das auch«, sagt sie. Die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit bringe »viel mehr als Belastung oder Schuldgefühle. Darin liegt eine unglaublich positive Kraft, aus der etwas entsteht«, meint Zadoff.
Die 44-Jährige möchte das Wort »Verantwortung« vom Schuldgedanken trennen. Und wieder lässt sie ein Wort strahlen. »Verantwortung ist ein Versprechen an die Zukunft«, sagt sie. Wer wisse, was passieren könne, weil er weiß, was schon einmal passiert ist, der sei hellhörig, erkenne Phrasen, könne sich dagegen wehren und halte die Menschlichkeit hoch, richte sich gegen Ausgrenzung und Verrohung. »Wenn wir junge Menschen davon überzeugen können, haben wir schon viel geschafft.«
KOOPERATIONEN Die Zeit seit ihrer Amtsübernahme hat Zadoff bislang auch dazu genutzt, unterschiedliche Münchner Institutionen besser kennenzulernen, Kooperationen anzusprechen, zu überlegen, »wo können wir das Haus noch stärker mit der Stadtgesellschaft, mit kulturellen Institutionen vernetzen oder verbinden«. Sie möchte neben dem bestehenden Publikum noch ganz anderen Leuten die Tür zum Dokumentationszentrum öffnen. »Dafür muss man raus, muss einladen, muss sagen: ›Kommt zu uns, da gibt es ein Thema, das euch interessieren könnte.‹« Sie will das Haus weiter öffnen, will viel Partizipation ermöglichen, Generationen miteinander ins Gespräch bringen und die Themen des Veranstaltungsprogramms internationaler ausrichten.
Kooperationen sind auch mit dem Lehrstuhl Jüdische Geschichte und Kultur geplant, ebenso die Zusammenarbeit mit den beiden jüdischen Gemeinden in München. »Und ich möchte auch einen Blick auf die jüdischen Jugendlichen dort richten. Möchte wissen, für welche unserer Themen sie sich interessieren, möchte einladen und einbinden – das ist mir wichtig.« In nicht allzu weiter Zukunft wird auch das NS-Dokumentationszentrum die Verbindung zur Vergangenheit nur noch über »vermittelte Erinnerung« herstellen können.
Durch ihre Ursprünge in den Jewish Studies ist sie sensibel für Phänomene, »die viele Gruppen betreffen«.
Die Zeitzeugen, die im Hause Vorträge halten können, werden weniger. Da gilt es, neue Wege zu finden – auch an diesem Ort eine Herausforderung. Erinnern à la Disney World lehnt die Historikerin ab. Aber sie zeigt auch große Offenheit gegenüber medialen Versuchen, die Vergangenheit lebendig und damit attraktiv für junge Menschen zu halten.
Daneben setzt sie auf die Themen, die die Gegenwart für uns bereithält und »von denen uns viele mit der Vergangenheit in Verbindung bringen, sei es das Thema Diktatur, das Thema Ausgrenzungsgesellschaft, oder die Frage, warum es sich lohnt, die Demokratie zu verteidigen«.
IDENTITÄT Dass ihre Ursprünge in den Jewish Studies liegen, habe bei ihr eine gewisse Sensibilisierung entstehen lassen für Phänomene, »die viele Gruppen betreffen«, erklärt Mirjam Zadoff und zählt auf: »Seien es Fragen der Ausgrenzung oder der Integration – wo geht es um Selbstbehauptung, wo um den Verlust der eigenen Identität, um dazuzugehören? Wie definiere ich mich überhaupt selbst?«
In der deutsch-jüdischen Geschichte sei es auch darum gegangen, dass man die eigene Identität habe bewahren wollen. »Und nicht nur deshalb, weil man um jeden Preis dazugehören wollte, sondern auch, weil man wollte, dass die eigene Kultur Teil der Kultur dieses Landes werden sollte.« Was am Ende ja Bereicherung bedeutet. Und wieder ist sie da, die unerwartete Wendung ins Positive.