Ein besonderes Gedenkkonzert anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz findet am 27. Januar in der Berliner Philharmonie statt. Gespielt wird mit den aus der Schoa geretteten »Violins of Hope«. Für diese Instrumentensammlung schrieb Berthold Tuercke eigens eine Komposition, die nun uraufgeführt wird. Unter Leitung von Vladimir Jurowski wird das Rundfunk-Sinfonieorchester (RSB) gleich drei Kompositionen, die in besonderer Weise die Musik im Holocaust reflektieren und interpretieren sollen.
Das Werk »Aus Geigen Stimmen« von Berthold Tuercke eröffnet das Konzert. Dessen Untertitel »mit 53 Geigen, 1 Bratsche, 1 Cello und gemischtem Chor – mit den aus der Schoa geretteten ›Violins of Hope‹ des Amnon Weinstein« bezieht sich auf genau die Instrumente, die der israelische Geigenbauer Weinstein von Holocaust-Opfern zusammengetragen hat. Auf diesen Originalinstrumenten werden die Musikerinnen und Musiker die Komposition erklingen lassen, während der RIAS Kammerchor mit gesprochenen und gesungenen Texten auf ihre Geschichte eingeht.
Es folgt das Streichtrio des so hochbegabten wie gezwungenermaßen frühreifen, tschechischen Komponisten Gideon Klein, das im Oktober 1944 im Ghetto Theresienstadt in winziger Miniaturnotenschrift heimlich zu Papier gebracht wurde. Neun Tage vor dem Abtransport des 25-Jährigen nach Auschwitz, wo er im Außenlager Fürstengrube noch am 27. Januar 1945, dem Tag der Befreiung des KZ, sterben musste.
Weinberg musste seine jüngere Schwester zurücklassen
Das Streichquartett Nr. 5 des polnisch-jüdischen Komponisten Mieczysław Weinberg aus dem Jahre 1945 spiegelt nicht die Situation eines Todgeweihten wider, wohl aber die eines von gewaltsamen Toden in seinem unmittelbaren Umfeld vielfach Gezeichneten. Auf der Flucht Richtung Osten musste der im selben Jahr wie Gideon Klein geborene Musiker 1939 seine jüngere Schwester zurücklassen. Sie starb wie Weinbergs Eltern schon bald durch die Nazi-Schergen, ohne dass der Bruder davon Kenntnis erhielt. Das Streichquartett Nr. 5 des Mitarbeiters von Dmitri Schostakowitsch verweise auf all die fürchterlichen Ahnungen und bitteren Gewissheiten, heißt es in der Pressemitteilung des RSB. Ein verzweifeltes Hoffen auf eine bessere Welt ist Weinberg bis zu seinem Tod 1996 dennoch nie abhandengekommen.
Bereits zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 2015 spielten Musiker, damals Mitglieder der Berliner Philharmoniker, auf Geigen, die einst Opfern des Holocaust gehört hatten. Ermöglicht hatte das Projekt der israelische Geigenbauer Amnon Weinstein, der diese Instrumente seit vielen Jahren sammelt und restauriert. Jedes hat seine eigene bedrückende Geschichte. Weinstein selbst ist im Frühjahr 2024 verstorben. Für ihn war es eine Pflicht, die Violinen wieder zum Klingen bringen – auch als Zeichen gegen das Vergessen.
Weinstein hatte die Instrumente restauriert und ließ sie Jahrzehnte später wieder öffentlich erklingen. Die Musik sollte Hoffnung geben. Mit dem Projekt war er unter anderem in Jerusalem, Paris, Madrid, Cleveland und Berlin zu Gast. Er sagte, die Erinnerung habe sich zwar nicht in den Korpus der Violinen eingeschrieben, aber die Musiker spielten dennoch anders auf ihnen – »irgendwie intensiver«.
Jüdische Musiker wurden von den Deutschen gezwungen, in den Konzentrationslagern zu musizieren
Angefangen hatte alles in den 80er-Jahren mit einem neugierigen Blick in den Schrank seines Vaters Moshe, der ebenfalls Geigenbauer war. Weinstein Junior fand darin eingelagerte, verstaubte Instrumente. Jüdische Musiker wurden von den Deutschen gezwungen, in den Konzentrationslagern zu musizieren. Sie spielten neben den Gaskammern, bei der Ankunft neuer Insassen oder auf den Feiern der SS-Leute. Allein in Auschwitz soll es acht Orchester gegeben haben, darunter ein Mädchenorchester.
Viele europäische Juden, die später nach Israel ausgewandert waren, kamen in Moshe Weinsteins Werkstatt und übergaben ihm ihre Violinen oder die ihrer Angehörigen. Sie konnten und wollten die Instrumente, die sie an die Grausamkeiten der Schoa erinnerten, nicht bei sich behalten. Sein eigener Schmerz über den Verlust der Familie – mehr als 300 Angehörige wurden ermordet – war aber so groß, dass er sich nicht mit ihnen beschäftigen wollte. Schließlich fing sein Sohn Amnon an, sie zu restaurieren.
Der sächsische Bogenbauer Daniel Schmidt kam Mitte der 90er-Jahre mit den Instrumenten in Berührung, als er sich in der Werkstatt Weinsteins in Tel Aviv ausbilden ließ. Er inspirierte Weinstein, sich mit der Herkunft der Geigen zu beschäftigen. Später ermunterte er seinen Ausbilder, die tragischen Geschichten zu den Instrumenten einem breiten Publikum bekannt zu machen. Auch Weinsteins Sohn Avshalom ist Geigenbauer und unterstützt das Projekt seines Vaters. Mehr als 70 Instrumente gehören inzwischen zur Sammlung »Geigen der Hoffnung«.