Herr Rosenblatt, Sie sind gerade auf einem Machane in Italien. Wie ist die Stimmung?
Richtig gut. Man spürt die Freude der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wieder in der »Realität« angekommen zu sein. Sie haben viel Spaß mit alten und neuen Freunden und genießen es, ihre Religion und Tradition in einem »safe space« zu praktizieren, ohne sich, wie so oft im Alltag, rechtfertigen zu müssen. Unser Tagesausflug nach Venedig war ein besonderes Highlight. Wir konnten dort viele Facetten der Stadt kennenlernen, darunter natürlich auch die Geschichte des jüdischen Venedig. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten wir die Machanot in Italien für zwei Jahre aussetzen und sind auf Standorte in Deutschland – 2020 im Schwarzwald und 2021 in der Eifel – ausgewichen. Aber wir wollten immer zurück nach Italien. Alle freuen sich umso mehr, dieses Jahr das Machane mit Sonne und am Strand genießen zu können.
Die Sommer-Machanot der ZWST sind in vollem Gange. Wie ist Ihr vorläufiges Fazit des Programms?
Die Machanot gestalten sich sehr gut. Wir freuen uns über mehr als 900 Teilnehmer und 251 ehrenamtliche Mitarbeiter aus dem In- und Ausland. Ganz besonders ist es eine Freude zu sehen, wie die aus der Ukraine Geflüchteten auf den Machanot von der Gemeinschaft aufgenommen werden. Ganz selbstverständlich unterstützen wir unsere Teilnehmer in allem, was nötig ist.
Warum wächst die Nachfrage?
Das hat sicherlich viele Aspekte. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie, unter der die Kinder und Jugendlichen besonders gelitten haben, ist das Bedürfnis, sich mit den Gleichaltrigen in einem unbeschwerten Raum zu treffen, natürlich groß. Bedingt durch unser Engagement, mit den Kindern und Jugendlichen auch während der Pandemie und der Lockdowns online in Kontakt zu bleiben und ihnen ein Ersatzprogramm zu ermöglichen, haben wir bei vielen Eltern neues Vertrauen gewinnen können. Und durch die steigende Zahl von antisemitischen Anfeindungen im Alltag wünschen sich die Teilnehmer mehr denn je die Möglichkeit, sich unbeschwert in jüdischer Atmosphäre aufhalten zu können.
Welche Machane-Angebote gibt es?
Wir bieten im Sommer drei Turnusse an Machanot in Bad Sobernheim für Acht- bis Elfjährige an, die Machanot in Italien sind für Zwölf- bis 18-Jährige. Außerdem haben wir ein Israel-Machane für 16- bis 18-Jährige im Programm. Zusätzlich organisieren wir eine 18plus-Ferienwoche für junge Erwachsene im Alter von 18 bis 35 Jahren sowie unser Familienseminar für junge Familien. Zum ersten Mal veranstalten wir in Kooperation mit unserem Sozialreferat eine Familienfreizeit für ukrainische Schutzsuchende in Bad Sobernheim. Wir bieten allen ehrenamtlichen Mitarbeitern, die uns im Sommer unterstützt haben, die Teilnahme an unserem Nachbereitungsseminar an. Hier werden Erfahrungen ausgetauscht, die Arbeit insgesamt und besondere Situationen reflektiert. Im Winter haben wir in Bad Sobernheim ein Machane für Zehn- bis 13-Jährige und ein Ski-Machane in Südtirol für 14- bis 18-Jährige. Auch in den Winterferien bieten wir eine Bar- und Batmizwa-Fahrt für Zwölf- bis 14-Jährige an. Und unser neuestes Projekt ist die »Darkech-Fahrt« nach Israel. Die »Darkech«-Seminarreihe richtet sich an Mädchen im Batmizwa-Alter, die nach der Teilnahme von sechs Seminaren gemeinsam die Abschlussfahrt nach Israel machen.
Welche Rolle spielen die Freizeiten für die jüdische Gemeinschaft?
Auf den Machanot entstehen deutschlandweit Freundschaften fürs Leben, und sogar für viele Ehen wird der Grundstein auf den Machanot gelegt. Die Madrichot und Madrichim vor Augen, nehmen sich ganz viele teilnehmende Jugendliche dies zum Vorbild und engagieren sich dann auch in ihrer Gemeinde und auf Machanot. Dies ist besonders – aber nicht nur – für kleinere Gemeinden ganz wichtig, wenn sich die Teilnehmer nach den Machanot im Ehrenamt engagieren, sei es in der Gemeinde selbst oder in anderen jüdischen Organisationen in Deutschland, um die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zu stärken. Darauf sind wir sehr stolz.
Was unterscheidet die Machanot von anderen Jugendfreizeiten?
Der jüdische Rahmen. Wir vermitteln jüdische Werte und Traditionen, die viele in ihrem Alltag nicht kennen. Und vor allem sind es die deutschlandweiten Freunde, die man jedes Jahr wiedersieht. Mithilfe des ZWST-Kompetenzzentrums stärken wir das jüdische Selbstbewusstsein der Teilnehmer und vermitteln ihnen Wissen, um sich gegen antisemitische Anfeindungen in der Schule und im Alltag zu wehren.
Wie stellen Sie sicher, dass es neue Interessierte für die Madrichim-Stellen gibt?
Wir haben auch während der vergangenen beiden Jahre unsere Ausbildungsreihe zur Madricha oder zum Madrich »MiDor LeDor«, also von Generation zu Generation, nicht ausgesetzt, auch wenn einige Seminare online stattfinden mussten. Ohne unsere ehrenamtlichen Teammitglieder wären die Machanot nicht durchführbar, und wir danken allen, dass sie ihre Freizeit im Sommer und Winter nutzen, Kindern und Jugendlichen eine unvergessliche Zeit zu bereiten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Machanot?
Dass wir uns weiterhin mit der Qualität und Quantität steigern können und immer den wechselnden Bedürfnissen der Generationen gerecht werden. Weil wir fest daran glauben, dass die Machanot ein wichtiger Meilenstein für ein starkes jüdisches Bewusstsein und eine starke jüdische Gemeinschaft in Deutschland sind.
Das Interview mit dem Leiter des Kinder-, Jugend- und Familienreferats der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) führte Joshua Schultheis.