»Oft wird mir gesagt, dass die Stimme meines Vaters fehlt. Und das stimmt.« Das sagte Ignatz Bubis’ in Tel Aviv lebende Tochter Naomi im August 2019, anlässlich des 20. Todestags ihres Vaters. Und tatsächlich mag man sich heute fragen: Welche Worte hätte Bubis gegen die immer lauter werdenden Verschwörungstheoretiker und Impfgegner, Rechtspopulisten und Antisemiten gefunden?
Der ehemalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt wäre am heutigen 12. Januar 95 Jahre alt geworden.
Als »einen großen Deutschen jüdischen Glaubens, dessen Lebensweg so sehr geprägt war von den dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte« würdigte die Bundesregierung Ignatz Bubis, als er am 13. August 1999 im Alter von 72 Jahren in Frankfurt am Main starb.
Zentralratspräsident Josef Schuster betonte anlässlich Bubis’ 20. Todestages: »Sein Engagement gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bleibt unvergessen. Als Streiter für Demokratie und Menschenrechte, für Verständigung und Toleranz, wird er uns immer ein Vorbild sein. Wir werden ihn nie vergessen.«
FAMILIE Geboren wurde Ignatz Bubis am 12. Januar 1927 als Siebtes und jüngstes Kind des Ehepaars Hannah und Jehoschua Josef Bubis in Breslau. 1935 floh die Familie ins polnische Deblin. Bubis überlebte das dort 1941 von den deutschen Besatzern eingerichtete Ghetto sowie das Arbeitslager in Tschenstochau. Der größte Teil seiner Familie wurde in der Schoa ermordet.
In Bubis‹ Amtszeit als Zentralratspräsident fiel die Einwanderung jüdischer »Kontingentflüchtlinge«.
Auf die Befreiung folgten mehrere Zwischenstationen. 1956 zog Bubis mit seiner Frau Ida nach Frankfurt am Main. Im »Häuserkampf« der frühen 70er-Jahre wurde der Immobilieninvestor als »Spekulant« beschimpft. 1985 besetzte Bubis, inzwischen Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, gemeinsam mit anderen die Bühne des Frankfurter Schauspiels, um gegen die Uraufführung des als antisemitisch kritisierten Stücks Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Fassbinder zu protestieren.
Im Jahr darauf konnte das neue Frankfurter Gemeindezentrum eingeweiht werden. Nach dem Tod von Heinz Galinski wurde Ignatz Bubis 1992 Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Im selben Jahr erschütterten die gewalttätigen, rassistisch motivierten Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen die Republik. Bubis stellte sich an die Seite der Angegriffenen und besuchte den Tatort.
Wie wichtig dieses Engagement - politisch engagierte sich Bubis seit 1969 in der FDP - gerade auch für Deutsche mit Migrationshintergrund war, zeigte in diesen Tagen auf eindrucksvolle Weise ein Interview von Welt-Autor Deniz Yücel mit dem Grünen-Minister Cem Özdemir.
»Bubis hämmerte seine Worte in Richtung Bundesregierung – und er drückte unsere Gefühle aus. Im Prinzip tat er das, was der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl hätte tun müssen.«
In der Öffentlichkeit sprachen damals nur eine Handvoll Stimmen für die Betroffenen der rechtsextremen Gewalt, darunter der Präsident des Zentralrats der Juden Bubis. Özdemir betonte, wie wichtig dieses Engagement von Bubis für ihn persönlich war: »Wenn ich daran denke, wie er damals abends im Fernsehen auftrat, rührt mich das heute noch. Er hämmerte seine Worte in Richtung Bundesregierung – und er drückte unsere Gefühle aus. Im Prinzip tat er das, was der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hätte tun müssen. Ich fühle mich nicht nur, aber auch wegen Ignatz Bubis verpflichtet, mich bei antisemitischen Vorfällen sehr klar zu äußern.«
In seine Amtszeit als Vorsitzender, seit 1997 Präsident, des Zentralrats der Juden fiel zudem die Einwanderung jüdischer »Kontingentflüchtlinge« aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Deren Integration stellte die jüdischen Gemeinden vor große Herausforderungen.
DEBATTE Als der Schriftsteller Martin Walser im Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche von der »Moralkeule Auschwitz« sprach, warf ihm Bubis »geistige Brandstiftung« vor. Es folgte eine mehrmonatige kontroverse Debatte. Nur wenige Wochen vor seinem Tod sagte Ignatz Bubis in einem »Stern«-Interview, er habe als Zentralratspräsident »fast nichts« bewirkt. Beigesetzt wurde er am 15. August 1999 in Tel Aviv.
Salomon Korn, seit 1999 Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, würdigte im Jahr 2019 Bubis’ vielfältiges Engagement: »In Frankfurt am Main verdanken wir ihm das nach ihm benannte Gemeindezentrum, welches es ohne seinen unermüdlichen Einsatz nicht gegeben hätte.«
Auch heute, so Korn 2019, könne man von Bubis lernen, »wie wichtig der Zusammenhalt unterschiedlicher Strömungen, verschiedener religiöser Ausrichtungen und abweichender politischer Ansichten unter dem einigenden Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland ist, wenn die jüdische Gemeinschaft in Deutschland sich in den sie betreffenden, politisch relevanten Fragen dauerhaft öffentliches Gehör verschaffen möchte«.