Das Luisengymnasium ist das älteste städtische Gymnasium in München. Nun ist es 200 Jahre alt geworden. Gegründet wurde es 1822 als »Höhere Töchterschule« für Mädchen aus gehobenem Hause. Zum 200. Jahrestag wurden Ende November am Eingang 20 Erinnerungszeichen gesetzt. Die goldenen Wandtafeln sollen an die ehemaligen jüdischen Schülerinnen erinnern, die am Luisengymnasium in der Maxvorstadt unterrichtet und von den Nazis ermordet wurden.
»Sie erinnern an 20 Mädchen und junge Frauen, an 20 zerstörte Lebensträume«, sagte Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Veranstaltung am 23. November in der Aula der Schule. Anwesend waren auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Stadtschulrat Florian Kraus.
familiengeschichte Eigens aus den USA angereist war Michael Felsen, der Neffe der ehemaligen Schülerin des Gymnasiums, Johanna Felsen (1913–1942), der von seiner Familiengeschichte erzählte.
Eigens aus den USA war der Neffe der ehemaligen Schülerin Johanna Felsen angereist.
Katrin Habenschaden nannte jede der Frauen einzeln bei ihrem Namen. »Unter ihnen sind die Pianistin Henriette Krochmal, die Widerstandskämpferin Olga Benario, die Künstlerin Marie Luise Kohn und ihre Schwester, die Rechtsanwältin Elisabeth Kohn, die Pharmazeutin Anneliese van Wien, die Schauspielerin Elisabeth Jochsberger und die Altphilologin Margit Gutmann.«
Und sie fuhr fort: »Margot Pindrik, Johanna Felsen, Josephine Löwy und Ilse Löffler hatten kaufmännische Berufe ergriffen. Edith Semler, Auguste Friedmann, Grete Tockus und Gertrud Lewin waren verheiratet und hatten kleine Kinder. Hilde Nast und Inge Gutmann lernten im Jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße, Ruth und Margit Pories konnten keine Berufsausbildung mehr beginnen. Ruth Levinger musste aufgrund einer Krankheit ihr Studium abbrechen.«
schoa An jede von ihnen solle eine goldene Wandtafel erinnern. »Sie alle lebten in unserer Stadt, sie gingen in dieser Schule aus und ein, lernten und lachten, hatten Freundinnen.« Die Jüngste war 17, die Älteste 43 Jahre alt. Keine von ihnen überlebte die Schoa.
Die Schülerinnen und Schüler des Luisengymnasiums haben sich mit den Biografien dieser Frauen beschäftigt. Entstanden ist eine Ausstellung mit 20 Bannern, die bei der Gedenkveranstaltung zum 9. November im Foyer des Alten Rathauses gezeigt und zum Jahrestag auf der Bühne in der Aula der Schule aufgestellt wurde. Bei einer szenischen Lesung präsentierten die Jugendlichen ihre Recherchen.
Stadtschulrat Florian Kraus hob die Arbeit des Luisengymnasiums hervor, sich mit dem Schicksal früherer Schülerinnen und Schüler auseinanderzusetzen. Auch Charlotte Knobloch lobte die Schülerinnen und Schüler: »Was ihr tut, das wird Augen öffnen.« Denn es habe eine Zeit des kollektiven Wegschauens gegeben. Im Jahr 1933 wurde der Hitlergruß im Luisengymnasium eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt besuchten 55 jüdische Mädchen die Schule. Einige von ihnen zählten zu den Besten ihres Jahrgangs, doch bei Klassenfahrten durften jüdische Schülerinnen nicht mitfahren und an keinen Abschlussfeiern teilnehmen.
austrittsgrund Immer mehr Eltern meldeten ihre Kinder ab. In den Akten wurden die Gründe notiert. Da heißt es »auf Wunsch der Mutter« oder »wegen Umzug«. Nur ein einziges Mal war als Austrittsgrund »jüdisch-feindlicher Unterricht« angegeben worden, doch die Angriffe von überzeugten Nationalsozialistinnen auf jüdische Klassenkameradinnen waren wohl zahlreich.
In Das Luisen: 1822–2022. Die Geschichte einer Münchner Schule rekonstruiert der Autor Horst Rückert einen Fall. Die jüdische Schülerin Gertraud Feibelmann besuchte 1935 dieselbe Klasse wie Regina Fiehler, eine der beiden Töchter des damaligen Münchner Oberbürgermeisters und fanatische Nationalsozialistin.
In einer Deutscharbeit erzielte Gertraud Feibelmann die zweitbeste Note. Der Klassenleiter und Deutschlehrer war August Meyer, eine der Lehrkräfte, die es wagte die NS-Prinzipien offen infrage zu stellen.
respektlosigkeit Im September beschwerte sich Regina Fiehler bei ihrem Vater, dass Meyer die besten Zensuren bei der Deutscharbeit an zwei jüdische Schülerinnen gegeben hätte, woraufhin sich der Oberbürgermeister an den Schulleiter wandte. Dieser beteuerte die objektive Notengebung seines Lehrers und bekam dafür einen Eintrag wegen Respektlosigkeit in seine Personalakte. Daraufhin sahen die Eltern von Gertraud Feibelmann keine Zukunft mehr für ihre Tochter auf der Schule. Einen Monat nach diesem Vorfall nahmen sie Gertraud von der Schule.
Die letzten fünf Schülerinnen wurden nach der Pogromnacht 1938 abgemeldet, noch bevor ein Erlass den Besuch von höheren Schulen für alle jüdischen Schülerinnen und Schüler verboten hatte.
Die Zahl der jüdischen Schülerinnen sank bis 1938 auf 22. Zu Beginn des Schuljahres 1938/39 waren es noch acht jüdische Mädchen. Die letzten fünf Schülerinnen wurden nach der Pogromnacht 1938 abgemeldet, noch bevor ein Erlass den Besuch von höheren Schulen für alle jüdischen Schülerinnen und Schüler verboten hatte.
Es waren Ilse Blum, Hilde Brück, Eva Nathan, Lisa Mandelbaum und Hanna Schäler. Sie konnten sich in die Emigration retten – anders als viele andere jüdische Schülerinnen des Mädchengymnasiums. Sie wurden deportiert und ermordet.
Am Eingang des Luisengymnasiums finden sich nun die goldenen Gedenktafeln. Sie erinnern an 20 Mädchen und junge Frauen, die stellvertretend für alle jüdischen Schülerinnen des Luisengymnasiums stehen, und sollen ihr Andenken bewahren. »Weil geschehen ist, was geschehen ist, kann es sich wiederholen«, mahnte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. »Wir sind gewappnet, weil wir die Vergangenheit kennen.«