Düsseldorf

»Uns verbindet viel mehr, als uns trennt«

Herr Dereköy, Sie haben sich gemeinsam mit dem Kreis der Düsseldorfer Muslime in einer großen Zeitungsanzeige gegen jede Form von Judenhass ausgesprochen. Wie kam es zu der Aktion?
Inspiriert wurden wir durch eine Initiative in London, bei der Muslime sich gegen Judenhass gestellt haben und die jüdische Gemeinde daraufhin Islamfeindlichkeit verurteilt hat. Wir haben uns gedacht, das können wir besser, indem wir direkt eine gemeinsame Erklärung mit der Jüdischen Gemeinde abgeben. Zusammen haben wir dann einen Text erarbeitet, und alles nahm seinen Lauf.

Warum ist es Ihnen wichtig, als Muslim gegen Judenhass aufzustehen?
Gegen Ungerechtigkeit, gegen Hass und gegen Vorurteile, egal von wem und in welche Richtung, sollten alle aufstehen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, warum wechselseitige Solidarisierung essenziell ist. Menschen neigen oftmals dazu, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken und andere Menschen zu verurteilen. Das ist fatal und kann zu Hass führen. Muslime sind angehalten, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Daher ist es wichtig, dies auch klar zu kommunizieren und die Bühne nicht Radikalen zu überlassen.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde Düsseldorf beschreiben?
Ich bin befreundet mit dem Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, Michael Szentei-Heise. Mit Wilfried Johnen, dem ehemaligen Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Nordrhein, ebenfalls. Als Vorsitzender des Kreises der Düsseldorfer Muslime (KDDM) habe ich mit beiden mittlerweile auch schon bei vielen Projekten zusammengearbeitet. Zum Beispiel bei dem Theaterstück Nathan (to go) des Schauspielhauses Düsseldorf, in dem alle drei abrahamitischen Religionen ihr Fett abkriegen, oder durch meine Präsenz auf dem jüdischen Motivwagen an Karneval. Bei Themen wie der Beschneidung, die uns beide betreffen, tauschen wir uns auch regelmäßig aus.

Warum bedeutet Ihnen der muslimisch-jüdische Dialog so viel?
Muslime und Juden sind Teil dieses Landes, und gleichzeitig sind sie eine Minderheit hier. Beide Communitys sind Vorurteilen, Anfeindungen und Ausgrenzungen ausgesetzt. Der Dialog, der Austausch und die gegenseitige Solidarisierung sind daher folgerichtig. Uns alle verbindet viel mehr, als uns trennt.

Erfahren Sie umgekehrt von der Düsseldorfer Jüdischen Gemeinde Zeichen der Solidarität, wenn Ihre Gemeinden oder Mitglieder angefeindet werden?
Ja, natürlich! Als der »Pegida«-Ableger »Dügida« hier jeden Montagabend an einer marokkanischen Moscheegemeinde vorbeizog, das Gebet störte und die Menschen verängstigte, stand die Jüdische Gemeinde an unserer Seite. Auf unsere jüdischen Freunde war in der Sache Verlass.

Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die Nachricht, dass die jüdische Gemeinschaft muslimischen Antisemitismus aus der Alltagserfahrung heraus als die für sie gefährlichste Anfeindung beschreibt?
Mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite gibt es Antisemitismus in muslimischen Gemeinden, daher kann ich diese Nachrichten teilweise nachvollziehen. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die überwiegende Mehrheit der antisemitischen Straftaten in Deutschland einen rechtsextremen Hintergrund hat …

Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, hat angekündigt, die Kriminalstatistik überprüfen zu lassen. Denn zurzeit ist es so, dass ungeklärte antisemitische Straftaten automatisch dem Rechtsextremismus zugeordnet werden.
Nun, dann warten wir das Ergebnis ab, und lassen Sie uns dann noch einmal darüber sprechen. Ich hoffe, dass ich nicht eines Besseren belehrt werde. Man muss aber ebenso berücksichtigen, dass es bedauerlicherweise auch umgekehrt Vorurteile gegenüber Muslimen und sogar Islamfeindlichkeit in der jüdischen Community gibt. Beides ist meiner Meinung nach im Kern einer undifferenzierten Betrachtung des Nahostkonfliktes geschuldet. So oder so: Wir dürfen nicht zulassen, dass außenpolitische Fragen unser Zusammenleben hier in Deutschland diktieren und bestimmen.

Mit Verlaub: Es gibt nicht einen einzigen Fall, in dem ein Jude einen Muslim angegriffen hätte. Umgekehrt passiert das laut Statistik regelmäßig.
Ja, dass das nicht der Fall ist, ist richtig und gut so. Ich sehe auch, dass die muslimische Community selbstkritisch an sich arbeiten muss. Letztendlich ist aber anzumerken, dass in Deutschland im Jahr 2018 ein junger Kippa tragender Mann und ein elfjähriges Kopftuch tragendes Mädchen auf offener Straße angegriffen und Opfer von Gewalt geworden sind, während Passanten zuschauten. Es ist völlig egal, welchen Hintergrund die Täter haben, weder den einen noch den anderen Fall dürfen wir dulden. Hier muss die gesamte Gesellschaft Seite an Seite stehen, dies verurteilen und keinen Millimeter weichen.

Was kann helfen, Muslime und Juden einander näherzubringen?
Natürlich haben wir zu gewissen Themen unterschiedliche Meinungen, diese müssen wir aber auf einer Sachebene miteinander besprechen können, ohne uns gegenseitig – plakativ ausgedrückt – zu »dämonisieren«. Der respektvolle Umgang miteinander sowie Empathie füreinander ist das Fundament, mit dem die wechselseitigen Vorurteile abgebaut werden können und letztlich Antisemitismus und Islamfeindlichkeit überwunden werden kann. Daran müssen wir alle arbeiten und auch selbstkritisch sein.

Und ganz konkret?
Es beginnt mit Gesprächen und sollte wünschenswerter Weise in freundschaftlichen Beziehungen enden. Einen gemeinsamen Besuch jüdischer und muslimischer Jugendlicher in ehemaligen Konzentrationslagern und der Massengräber der Opfer des Völkermordes in Srebrenica, Bosnien, fände ich persönlich zum Beispiel sinnvoll. Hierauf könnte man in der Jugendarbeit aufbauen.

Lassen Sie uns noch über ein anderes Thema sprechen: die AfD. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wehrt sich gegen die versuchte Vereinnahmung der jüdischen Gemeinschaft durch die AfD ...
Ja, ich habe das gelesen und freue mich sehr darüber.

Wie wichtig ist es, sich nicht von der AfD und anderen gegenseitig ausspielen zu lassen?
Das ist sehr wichtig. Ich bin Herrn Schuster dankbar für seine klaren Äußerungen. Ich teile sie vollkommen. Eine Partei, deren prominenteste Vertreter die Zeit des Nationalsozialismus als »Vogelschiss« bezeichnen und damit die Schoa relativieren, ist mit größter Vorsicht zu genießen. Die undifferenzierte Haltung der AfD gegenüber Muslimen unterstreicht dies nur.

Sie sind aktiv bei der Ditib. Einige Ditib-Gemeinden hatten vergangenes Jahr im Internet massiv gegen Juden gehetzt. Können Sie ausschließen, dass sich so etwas wiederholt?
Ich bin Mitglied im lokalen Düsseldorfer Ditib-Verein, der wiederum Mitglied in der Ditib-Dachverband-Vereinigung ist. Abweichend von der allgemeinen Wahrnehmung sind die lokalen Ditib-Vereinigungen recht unabhängig und leisten – bei aller Kritik am Dachverband – auf kommunaler Ebene, wie auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet betont, wichtige Arbeit bei der Seelsorge und der Integration. Auf der anderen Seite wiederum wurde der von Ihnen erwähnte Vorfall von Mitgliedern von lokalen Ditib-Vereinen ausgelöst. Zu keinem Zeitpunkt stellte dies die Meinung der Mehrheit dar und wurde auch nicht von dieser befürwortet.

Trotzdem ist es zu den antisemitischen Entgleisungen gekommen – auch ohne Wissen der Ditib-Führung.
Der Sachverhalt wurde intern aufgearbeitet und sogar vom Ditib-Dachverband scharf verurteilt. Für Düsseldorf kann ich eine Wiederholung ausschließen, und ich gehe stark davon aus, dass sich dies allgemein nicht wiederholen wird. Dennoch ist es wichtig, auch innerhalb der lokalen Ditib-Vereine Mechanismen zu etablieren, die Wiederholungen unterbinden. Zudem sollte man sich auch inhaltlich damit auseinandersetzen und klarstellen, dass dies nicht zu tolerieren ist.

Die islamische Bewegung Milli Görüs ist Mitglied im Kreis der Düsseldorfer Muslime. Der Verfassungsschutz beobachtet Milli Görüs, da sie ein antidemokratisches Staatsverständnis zeige. Warum arbeiten Sie mit der Gemeinschaft zusammen?
Als Kreis der Düsseldorfer Muslime haben wir ganz klar unsere Ziele und Grundprinzipien definiert, die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Von daher gehe ich davon aus, dass keines unserer Mitglieder die westliche Demokratie ablehnt. Nach meinem Sachstand beobachtete in der Vergangenheit der Verfassungsschutz NRW den Dachverband von Milli Görüs. Die lokale Düsseldorfer Moschee – die Mitglied im Kreis der Düsseldorfer Muslime ist – wurde und wird nicht vom Verfassungsschutz NRW beobachtet. Unabhängig hiervon ist auch bei Milli Görüs eine Öffnung zu beobachten – was mich sehr freut und ein gutes Zeichen ist.

Mit dem Vorsitzenden des Kreises der Düsseldorfer Muslime (KDDM) sprach Philipp Peyman Engel.

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