Vor 65 Jahren, am 19. Oktober 1965, hatte das dokumentarische Drama Die Ermittlung von Peter Weiss Uraufführung. Schnell wurde der lakonische Text, extrahiert aus Informationen rund um den ersten Auschwitz-Prozess, der von 1963 bis August 1965 in Frankfurt stattfand, zur Schullektüre.
Dass die 2023 gedrehte und Anfang Juli 2024 beim Münchner Filmfest uraufgeführte Verfilmung ebenfalls pädagogischer Standard werden möge, dafür setzt sich der Produzent Alexander van Dülmen leidenschaftlich ein. Für die cineastische Qualität wurde das Filmdrama durchwegs gerühmt, auf dem Preis-Karussell der Berlinale 2024 und jüngst beim Bayerischen Filmpreis aber ignoriert.
Für das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde war es die Gelegenheit, die kürzere der beiden Fassungen – es gibt 186 und 240 Minuten – im Rahmen der 16. Jüdischen Filmtage am Jakobsplatz und gleichzeitig am Vorabend des Internationalen Holocaust-Gedenktags zu zeigen.
Da gerade zwei Tage zuvor die Crème de la Crème des Filmschaffens in Deutschland im Prinzregententheater zusammengekommen war, konnten anlässlich des Filmereignisses im Jüdischen Gemeindezentrum gleich drei Mitwirkende und der Bildgestalter begrüßt werden: Rainer Bock, der den Richter verkörperte, Barbara Philipp, die Häftlingszeugin 10, und Ralph Schicha, Zeuge 29 aus der Lagerverwaltung. Guido Frenzel, der das Kunststück vollbrachte, mit acht Kameras einen 360-Grad-Radius im minimalistisch gestalteten Gerichtssaal zu erfassen, lebt seit Jahrzehnten in den USA.
Wie würde das jüdisch-nichtjüdisch gemischte Publikum an einem jüdisch definierten Ort wie dem Gemeindezentrum auf den Film reagieren?
Wie würde das jüdisch-nichtjüdisch gemischte Publikum an einem jüdisch definierten Ort wie dem Gemeindezentrum auf den Film reagieren? Hier müssen Holocaust-Themen nicht fokussiert werden, weil sie allgegenwärtig sind. Man denke nur an den »Gang der Erinnerung« mit seinen 4500 Namen Ausgegrenzter, Verfolgter, Ermordeter.
Bewegung im Zuschauerraum gab es schon im zweiten »Gesang«, wo Ereignisse nach der Ankunft im Lager zur Sprache kamen. Andere trieb der vierte »Gesang von der Möglichkeit des Überlebens« zum Aufstehen, vor allem, als von den medizinischen Experimenten an gebärfähigen Frauen die Rede war.
Statt eines Publikumsgesprächs, bei dem der Saal zum Fragenstellen aufgefordert worden wäre, wo nur Schweigen und In-sich-Gehen angezeigt waren, gab es ein moderiertes Gespräch mit den vier Filmschaffenden. Schlüsselerlebnis war für die damals 17-jährige Barbara Philipp die Lektüre des Peter-Weiss-Textes: Sie weiß, dass in ihrem Geburtsort Wittlich in der Eifel einst viele Juden gelebt hatten. Schicha war 1968 als Schüler in der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Für Frenzel wurde der neunstündige zweiteilige Dokumentarfilm Shoah von Claude Lanzmann prägend. Der Regisseur RP Kahl war von der Idee abgekommen, mit der Filmcrew nach Auschwitz zu fahren. Allein der Gedanke an Auschwitz-Birkenau, einen der trostlosesten Orte der Welt, ließ Rainer Bock, der schon andere KZ-Gedenkstätten kannte, erschauern.