Festival

Treffen mit Melodien

Obwohl das israelische »Nigun Quartet« seinen Jazz mit reichlich jüdisch-religiöser Musik verbindet, lässt es sich normalerweise nicht auf den Podien von Synagogen blicken. Das Tel Aviver Ensemble bespielt zahlreiche Bühnen in Europa und Israel.

Am vergangenen Montagabend kam es anders. Die Musiker, früh angereist von ihrer vorherigen Performance in Paris, gaben im Rahmen der 5. Internationalen Tage Jüdischer Musik ein Konzert in der Charlottenburger Synagoge Pestalozzistraße. Diese ist schon lange auch ein Ort der Musik und bot dem Quartett damit die perfekte Bühne.

zeremonien In der Synagoge Pestalozzistraße werden viele Gebete gesungen und von einem Chor oder Organisten begleitet. Zu hören sind dabei meist die Melodien des einflussreichen Berliner Kantors und Komponisten Louis Lewandowski, der im 19. Jahrhundert jüdische Zeremonien für Neues öffnete und die Orgel in Synagogen einführte.

Dass sich dieser Ritus bis heute durchsetzt, demonstrierte Kantor Isidor Abramowicz am Montagabend einmal mehr. Noch bevor das »Nigun Quartet« loslegte, trat er vor den gut besuchten Betsaal und sang unter anderem das Achtzehngebet oder »Avinu Shebasha­mayim«, das Gebet für den Staat Israel.

Ein solch musikgeprägter Gottesdienst war ursprünglich für die Synagoge in der Oranienburger Straße bestimmt, doch nachdem diese im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, zogen die alten Traditionen der liberalen deutschen Juden in die Synagoge Pestalozzistraße ein.

»In Zeiten der Unsicherheit bietet Musik eine verlässliche Konstanz.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Nachdem die kraftvolle Stimme des Kantors Abramowicz bis in die hintersten Winkel der Synagoge gehallt hatte, eröffnete das »Nigun Quartet« das Konzert und damit auch offiziell die 5. Internationalen Tage Jüdischer Musik, die noch bis zum 27. November unter dem Titel »Shalom Aleichem – Friede sei mit euch« in Berlin, Potsdam, Görlitz, Würzburg, Stavenhagen sowie auf der Insel Usedom stattfinden. An diesen Orten wird eine Woche lang hörbar sein, wie vital und vielfältig jüdische Musik und jüdisches Leben in Deutschland sein können.

Förderung Gefördert werden die Internationalen Tage Jüdischer Musik von Felix Klein, der seit 2018 Bundesbeauftragter für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus ist. In seinem Grußwort hielt er fest, dass das Festival, insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, eine herausragende Bedeutung habe. »Die russische Armee tötet und vertreibt nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer, sie vernichtet auch jüdisches Leben«, so Klein.

Zentralratspräsident Josef Schuster, der die Internationalen Tage Jüdischer Musik als Schirmherr unterstützt, betonte in seinem Grußwort: »In Zeiten der Unsicherheit bietet Musik eine verlässliche Konstanz, einen Trost und, ja, auch das ist wichtig, eine Ablenkung von den Sorgen des Alltags.«

Das Quartett nutzt die Freiheit des Jazz als Werkzeug.

Dass Schuster mit diesen Worten recht behalten sollte, bewies das »Nigun Quartet« – bestehend aus Saxofonist Tom Lev, Pianist Moshe Elmakias, Kontrabassist Opher Schneider und Schlagzeuger Yosi Levy – allemal. Schon die allerersten Klänge, die das Ensemble erzeugte, ergaben eine so mystisch-einnehmende Atmosphäre, dass die Welt außerhalb der Synagoge für einen Moment vergessen schien.

Dieser Effekt hielt bis zum Ende des anderthalbstündigen Konzertes an, das die Jazzer allerdings nicht als solches verstanden wissen wollten: »Das hier ist kein Konzert, es ist ein Treffen!«, stellte Kontrabassist Opher Schneider klar. Immer wieder wandte er sich an das Publikum und erzählte mit charmantem Lächeln jene Anekdoten, die sich hinter den Stücken verbergen.

Improvisation Wie der Name schon verrät, widmet sich das Quartett den Nigunim, jenen chassidischen Melodien, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Doch die Musiker wollen diese alten Melodien nicht nur weitergeben, sondern auch weiterentwickeln. In Berlin zeigten sie nun, warum die Freiheit des Jazz hierfür ein geeignetes Werkzeug zu sein scheint. Anfänglich geheimnisvolle Klänge ließ das Ensemble immer wieder in ekstatische Improvisationen gipfeln und erntete dafür begeisterte Rufe aus dem Publikum.

Den Höhepunkt erreichte ihr »Treffen« aber ganz zum Schluss. Einige Gäste schienen so gefesselt, dass sie nicht mehr bereit waren, im Gottesdienstraum sitzen zu bleiben. Klatschend und tanzend versammelten sie sich während der Zugabe vor dem Podium und feierten die vier Herren aus Tel Aviv.

Wenn die 5. Internationalen Tage Jüdischer Musik für Frieden, Vitalität und Vielfalt stehen sollen, dann war das Eröffnungskonzert in der Synagoge Pestalozzistraße ein Auftakt, der diesem Anspruch zweifelsfrei gerecht wurde. Ähnlich eindrucksvoll dürften die Festtage am Sonntag in der Archenhold-Sternwarte Berlin enden. Das dort geplante Abschlusskonzert lädt zu einer »musikalisch-literarischen Reise in das deutsch-jüdische Jerusalem« ein. Und singen wird dort kein Geringerer als der Schauspieler und Autor Ilja Richter.

Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024