Um diese Zeilen zu verfassen, hat es eine Weile gebraucht.
Denn so einfach ist das nicht. Die letzten vier Wochen waren wohl so kontrastreich wie noch nie und haben alles auf den Kopf gestellt und viele sicher geglaubten Gewissheiten zerstört.
Sonne und Schwarma
Kürzlich war ich noch in Israel, bei bestem Wetter, ausgelassen, vorfreudig. Es war Sukkot und an jeder Ecke stand eine Laubhütte, wir aßen Schwarma und diskutierten über israelische Politik. Es war eine Woche bevor das Semester an der Ben-Gurion University of the Negev in Be’er Scheva losgehen sollte und ich auf dem Campus einziehen würde, wo ich mein Auslandssemester verbringen sollte.
Bunkertagebuch
Doch stattdessen folgte eine Woche, in der ich Bunkertagebuch führte, 8 Tage, 5-0-1-1-0-0-1-2. Als wir in den frühen Morgenstunden des 7. Oktober von den Sirenen geweckt wurden, wachten wir in einer anderen Welt auf. Seitdem war es eine Woche zwischen Raketenalarm, Bunkerzimmer und öffentlichem Bunker, weil die Sirene ertönte, als man mitten auf der Straße war, zwischen grausamen Nachrichten und schlaflosen Nächten und dem Warten auf die Raketen und auf das Losheulen der Sirene.
Zwischen Gedanken wie – »schaffe ich es jetzt noch zu duschen?« oder »gleich kommt eine Rakete, da lohnt es sich nicht jetzt noch einzuschlafen… jetzt kommt sie… jetzt… jetzt gleich bestimmt«. Zwischen Unglauben über das, was passiert war und Ohnmacht, zwischen gemeinsamen Schmerz und unendlicher Solidarität und Unterstützung der Menschen in Israel untereinander.
Unausgepackte Koffer
Es folgte der Rückflug nach Deutschland, mit dabei meine unausgepackten Koffer, mit zusammengenommen mehr als 50 Kilo Gepäck. Ich sollte ja erst am Tag nach Simchat Thora auf dem Campus der Universität einziehen, dazu kam es aber nicht. Es war kalt in Deutschland und so folgte eine Woche zwischen Auspacken, dem Einwickeln in Winterjacke und Schal und der Nachricht, dass die mir gut vertraute Berliner Synagoge, Ziel zweier Anschläge wurde.
Be’er Scheva, die Stadt, in der ich mehrere Monate leben sollte und von der ich schon so viel gehört hatte, die Stadt, die seit zwei Jahren Münchens Partnerstadt ist, die Stadt, die dank des Visionärs David Ben Gurion aus dem Wüstenboden gestampft wurde, obwohl dies unmöglich schien, diese Stadt habe ich nicht zu sehen bekommen. Und die Ben-Gurion-Universität auch nicht.
Das Erste, was ich von der Universität mitbekam, war ein Trauer- und Gedenkschreiben, welches an die Universitätsgemeinschaft versendet wurde, mit Namen von Studierenden und Professoren, die bei dem Massaker am 7. Oktober von den Hamas-Terroristen ermordet und mitten aus dem Leben gerissen wurden. Nie wieder werden sie die Universität betreten können, sich über die zu schwere Klausur oder die unpünktlichen Studierenden beschweren. Die Universitätsgemeinschaft wird nie wieder so sein wie vor dem Morgen des 7. Oktober.
Sie wollten doch nur tanzen
Die Ben-Gurion-Universität befindet sich – und trägt es ja auch in ihrem Namen – in unmittelbarer Nähe zur Negev-Wüste. Hier kann man die Sterne besonders gut betrachten, heißt es. Doch der Sand ist jetzt blutgetränkt. Es war das Supernova Musik Festival und tausende junger Menschen hatten sich versammelt, um zu feiern - die Musik, das Leben und sich selbst. Am Morgen des 7. Oktober hörten sie erst die Sirenen, dann die Raketen und dann die Schüsse.
Mindestens 260 der Festivalbesucher, der jungen Menschen mit Träumen und Plänen, wurden auf brutalste Weise ermordet, niedergeschossen, als sie um ihr Leben rannten. Andere wurden verschleppt und werden bis heute als Geiseln der Hamas-Terroristen gehalten. Ob noch lebendig oder tot, weiß man nicht. Auf dem Festivalgelände, im Sand, blieben ihre Sachen zurück. Der Lipgloss, das Fußkettchen, das extra neu gekaufte Zelt. Dort, wo nachts noch so laut die Bässe dröhnten, war die Musik verstummt.
Es war die Vision David Ben-Gurions den Negev zu begrünen und bewohnbar zu machen. Ganz gezielt wurde die Universität hier gegründet, sie sollte junge Menschen anziehen und die wirtschaftliche Entwicklung der Wüstenregion vorantreiben. Und es hat funktioniert, Be’er Scheva hat ein pulsierendes Stadtleben, die Universität bildet die Nachwuchstalente Israels aus, gerade auch im Umwelt- und Agrarkultur-Bereich und beherbergt einen Start-Up Hub mit vielen Innovationen.
Und die Entwicklung der Stadt und der Region schreitet voran – die Wüste bewohnbar und grün zu machen, ein Wunder wurde wahr oder wie David Ben-Gurion sagen würde: »Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist«.
Aber was würde der Gründungsvater Israels angesichts der derzeitigen Ausnahmesituation seines Staates sagen? Welchen Trost würde er für die Eltern, deren Kinder in der Negev-Wüste, an dem Ort seiner Visionen, ermordet wurden, finden?
Terror tötet
Die Hamas ist eine radikalislamistische, fundamentalistische Terrororganisation, die die gleiche Ideologie verfolgt wie der Islamisches Staat (IS) und diese auch mit derselben Bestialität und Brutalität umsetzt. Ihr Ziel ist nicht nur die Auslöschung Israels und seiner Bewohner, sondern auch aller Jüdinnen und Juden weltweit. Dabei benutzt die Hamas die Bewohner Gazas als menschliche Schutzschilde und geht auch unmenschlich gegen sie vor.
Rohre für die Wasserversorgung der Bewohner Gazas, werden zu Raketen umgebaut, die Israelis töten sollen. Nicht nur nehmen die Terroristen aus Hass auf Israel, das Leiden der eigenen Leute in Kauf, nein, sie selbst erzeugen dieses Leiden ganz bewusst, um bestimmte Bilder zu produzieren. Der Terror der Hamas tötet – nicht nur die unzähligen Israelis, darunter Babys, Kinder, Alte, unschuldige Männer und Frauen, sondern auch die Bewohner Gazas. Dabei wendet sich die Hamas gegen alle Werte einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Gegen Werte, wie sie in Israel, als einziger Demokratie im Nahen Osten, sowie im Westen gelebt werden.
Israel kämpft für die Werte liberaler Demokratien und damit für uns alle
Israelis können wegen des Raketenbeschusses der Hamas ihre Häuser nicht verlassen, Kindern wird wegen der Hamas der Besuch des Kindergartens oder der Schule verwehrt, Studenten müssen wegen der Hamas den Reservedienst antreten - anstelle ihres Studiums. Angehörige können Ihre ermordeten Verwandten nicht beerdigen, da die Leichen geschändet wurden und nicht identifiziert werden können. Der Schutz der Menschenwürde – auch nach dem Tod -, das Recht auf Freizügigkeit, das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und das Recht auf Bildung und akademische Freiheiten, zählen auch hier in Deutschland zu unseren wichtigsten Schutzgütern.
Sie machen uns als freiheitliche Demokratie aus und sind Werte, die wir mit Vehemenz verteidigen und immer verteidigen würden. Wenn Israel den Terrorismus der Hamas bekämpft, kämpft Israel daher nicht nur für sich und seine Bürger, nicht nur für seine Existenz und für die Freiheiten der Israelis. Nein, dabei kämpft Israel auch für uns, für den Westen und alle liberalen Gesellschaften und verteidigt unsere Werte und unsere Art zu leben gegen die fundamentalistische und menschenverachtende Ideologie der Hamas weltweit.
Zurück in Deutschland heulen keine Sirenen, Sandalen werden gegen Winterstiefel getauscht. In gut einem Monat ist Chanukka. Das Fest des Lichts und der Wunder.