Trude Simonsohn ist durch die Hölle von Theresienstadt und Auschwitz gegangen. Von ihren Erlebnissen und dem Tod der Eltern in Buchenwald und Auschwitz erzählte sie jahrzehntelang in Schulen, Universitäten und Akademien. Am Donnerstag ist ihre Stimme für immer verstummt. Simonsohn wurde 100 Jahre alt.
»Wir sind fassungslos und voller Trauer über diesen großen Verlust«, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn. Trude Simonsohn war eine »bemerkenswerte, herausragende Frau, die stets zum Wohle ihrer Mitmenschen gehandelt hat«.
Als Schoa-Überlebende habe sie sich für Versöhnung und ein respektvolles Miteinander in unserem Land eingesetzt, so Korn weiter. »Durch ihr unermüdliches Engagement, insbesondere jungen Menschen in Schulen vom Erlebten zu berichten, wirkte sie für eine friedlichere Gesellschaft. Trude hat ihren Lebensweg auch stets voller Hoffnung und Mut gestaltet und glaubte an eine bessere Welt, die aus ihrer Vergangenheit gelernt hat.«
VORBILD »Trude Simonsohn stand nicht nur für das, was war, sondern vor allem für das, was sein kann. Eine Zukunft ohne Hass, eine offene Gesellschaft, eine Kultur des Respekts«, sagte Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD). Simonsohn war Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt am Main.
»Mit dem Tod von Trude Simonsohn verlieren wir ein Vorbild im Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit. Vor allem verlieren wir eine enge Freundin«, erklärten die Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel und Deborah Schnabel, sowie Gabriele Scherle, Vorstandsvorsitzende des Vereins Bildungsstätte Anne Frank e.V. Simonsohn war Gründungsmitglied der Bildungsstätte.
Seit 2017 lebte Trude Simonsohn im Seniorenzentrum der Budge-Stiftung im Frankfurter Stadtteil Seckbach.
»Trude Simonsohn war eine ihren Mitmenschen zugewandte Persönlichkeit, getragen von der Hoffnung, dass die Menschen aus der Geschichte zu lernen bereit sind, um ihre Zukunft in Frieden und Freundlichkeit zu gestalten«, sagte Christoph Heubner, Vize-Exekutivpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. »Gerade in Zeiten antisemitischer Verschwörungstheorien und neuem rechtsextremem Hass wird uns Trude Simonsohn bitterlich fehlen.«
Seit 2017 lebte Simonsohn im Seniorenzentrum der Budge-Stiftung im Frankfurter Stadtteil Seckbach, in dem Juden und Nichtjuden gemeinsam ihren Lebensabend verbringen. Noch zu ihrem 100. Geburtstag im vergangenen März stellte sie sich den Fragen von Pressevertretern - mit Humor und Schlagfertigkeit. Auf die Frage, was sie sich zu ihrem Geburtstag wünsche, antwortete sie: »Dass mir solche Fragen erspart bleiben.«
LEBENSWEG Trude Simonsohn wird am 25. März 1921 in Olomouc (Olmütz) in der Tschechoslowakei als einzige Tochter des Getreide-Kommissionärs Maximilian Gutmann und seiner Ehefrau, der Hutmacherin Theodora Appel, geboren. »Wir waren nicht sehr religiös, aber die jüdischen Feiertage hielten wir ein. Katholiken, Hussiten und Juden lebten im barocken Olmütz friedlich miteinander.« Trude besucht die tschechische Grundschule und das deutsche Gymnasium. Am meisten Freude bereiten ihr die Sprachen, zunächst Tschechisch und Deutsch, später Latein und Englisch. Auch Schwimmen und Tennis mag sie sehr.
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei wird ihr Vater verhaftet, in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verschleppt und schließlich im Konzentrationslager Dachau bei München ermordet. Trude kann weder Abitur machen, noch wie geplant Medizin studieren. Stattdessen engagiert sie sich in der zionistischen Jugendbewegung. Nach dem Attentat auf NS-Reichsprotektor Reinhard Heydrich im Mai 1942 wird sie wegen Hochverrats angeklagt und für ein halbes Jahr eingesperrt, davon vier Wochen in einer Einzelzelle.
Am 9. Mai 1945 wurde Simonsohn im Lager Merzdorf von Soldaten der Roten Armee befreit.
Im November 1942 wird sie mit ihrer Mutter ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, den Sozialpädagogen und Juristen Berthold Simonsohn. Im Oktober 1944 deportieren die Nazis das Paar nach Auschwitz, wo es verschiedenen Arbeitskommandos zugeteilt wurde. Danach knipst sie ihr Erinnerungsvermögen aus und fällt in eine »Ohnmacht der Seele«, wie sie anlässlich ihres 95. Geburtstags in einem Interview sagte.
Zu sich kommt sie erst wieder im Lager Kurzbach, einem Außenlager des KZ Groß-Rosen nahe Breslau, wo sie in bitterster Kälte Panzergräben ausheben muss und fast an einer schweren Durchfallerkrankung stirbt. Am 9. Mai 1945 wird sie schließlich im nahe gelegenen Lager Merzdorf von Soldaten der Roten Armee befreit. Ihr Mann erlebt das Kriegsende im Lager Kaufering, einer Außenstelle des KZ Dachau.
»Dass Berthold und ich überlebt haben, ist ein Wunder«, sagte Simonsohn immer wieder. Aber es hatte auch seinen Preis, denn beide sind von dem Lagerterror und der Zwangsarbeit körperlich und psychisch schwer gezeichnet. »Man geht nicht ungestraft durch so eine Hölle. Mein Mann hat deswegen gesagt: Wir müssen darüber reden, sonst schaffen wir das nicht.«
GEMEINDE Nach 1945 arbeitet sie für die jüdische Flüchtlingshilfe in der Schweiz, macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin und betreut tuberkulosekranke und traumatisierte jüdische Kinder. 1950 folgt sie ihrem Mann nach Hamburg, ein Jahr später kommt dort Sohn Michael zur Welt. 1955 zieht es die junge Familie nach Frankfurt am Main, wo Berthold die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) aufbaut. Sie selbst übernimmt in der Jüdischen Gemeinde die Stelle für Sozialarbeit und Erziehungsberatung. Von 1989 bis 2001 ist sie Gemeinderatsvorsitzende.
1978, nach Bertholds plötzlichem Tod, meldet sich einer seiner Freunde bei Trude Simonsohn: Martin Stöhr, der Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain. Er lädt sie zu einer Tagung ein, um über ihre Erlebnisse in der NS-Zeit zu berichten. Das ist die Initialzündung für ihre Rolle als Zeitzeugin, die sie knapp vier Jahrzehnte ausfüllt. Dafür wurde sie unter anderem mit der Leuschner-Medaille des Landes Hessen und der Ehrenbürgerschaft der Stadt Frankfurt geehrt. »Ich habe getan, was ich konnte, was ich musste«, bilanzierte Simonsohn im Jahr 2016.
BETROFFENHEIT Die Nachricht von ihrem Tod löste vielerorts Bestürzung aus. »Es ist schwer in Worte zu fassen, wie sehr wir Trude vermissen werden. In diesen schweren Stunden, sind unsere Gedanken bei ihrer Familie, der wir viel Kraft und Trost wünschen. Wir werden Trude ein ehrendes Andenken bewahren und sie immer in unseren Herzen tragen«, sagte Salomon Korn.
»Mit tiefer Betroffenheit und Trauer« reagierte auch der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Uwe Becker. Simonsohn sei eine »ganz besondere Persönlichkeit gewesen, die bei jedem Menschen, der sie kannte, eine tiefe Lücke hinterlässt«.
Becker, zugleich Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus würdigte Simonsohns Lebenswerk: als Zeitzeugin sei sie in den Jahrzehnten ihres Auftretens vor nachfolgenden Generationen zu einem Vorbild an »Menschlichkeit, Aufrichtigkeit und Mut« geworden.
Auch der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gedachte Trude Simonsohn als einer »bedeutenden Hessin, die sich um die Erinnerungskultur und den Wiederaufbau von jüdischem Leben nicht nur bei uns verdient gemacht hat«.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erklärte, Trude Simonsohn habe mit ihrer beeindruckenden Zeitzeugenarbeit begreifbar gemacht, was es heißt, in einer menschenverachtenden, rassistischen Diktatur als Jüdin verfolgt zu werden. »Mit bewundernswert offenen und warmherzigen Worten hat sie dabei stets auch für all jene gesprochen, die es nach den Verheerungen des Holocaust nicht mehr konnten«, sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. (mit ja/dpa/epd)
Lesen Sie einen ausführlichen Nachruf auf Trude Simonsohn in unserer Printausgabe vom 13. Januar.