Der bekannte Dokumentarfotograf Hans Günter Flieg, der vor über 101 Jahren in Chemnitz als Sohn des Kaufmannsehepaars Karl und Eva Flieg geboren wurde, ist Anfang September in São Paulo gestorben. Der Cousin von Helmut Flieg, aka Stefan Heym, verbrachte seine Kindheit in Chemnitz.
Infolge der wachsenden Judenfeindlichkeit nahmen seine Eltern ihn vom Gymnasium und meldeten ihn an der Jüdischen Privatschule Leonore Goldschmidt in Berlin-Dahlem an. Er lebte fortan bei seinen Tanten in Berlin-Neukölln. Am 15. Mai 1937 wurde Hans Günter Barmizwa. Er erinnerte sich oft an die Worte, die Rabbiner Hugo Fuchs ihm auf den Weg gab: »Pflege deine Muttersprache und die Kultur deines Vaterlandes.«
Anfang 1939 beendete er die Schulausbildung, um einen halbjährigen Grundkurs bei der Fotografin Grete Karplus zu beginnen, die eine eigene Werkstatt in Berlin-Halensee hatte. Im August 1939 erhielt er das Zeugnis. Darin heißt es: »Hans Günter Flieg hat während eines halben Jahres unter meiner Aufsicht photographisch gearbeitet. Er hat Gegenstands- und Werbeaufnahmen gemacht, aber auch Porträt- und Außenaufnahmen. (…) Ich bin überzeugt, dass er es in dem Photographie-Handwerk zu etwas Gutem bringen wird, wenn er die Möglichkeit hat, sich weiter auszubilden, da er Freude, Lust und Begabung dafür hat!«
In São Paulo setzte Hans Günter seine berufliche Ausbildung fort und fand schnell Arbeit als Fotograf für Werbeaufnahmen.
Am 22. November 1939 konnte Hans Günter mit seinen Eltern und seinem Bruder Stefan Chemnitz verlassen, um fernab von der Heimat ohne Angst und Schrecken zu leben. Else Flieg-Fuchs, Heyms Mutter, hatte Karl Flieg, ihren Schwager, und seine Familie noch bis auf den Hauptbahnhof begleitet und sich unter Tränen von ihnen verabschiedet.
In São Paulo setzte Hans Günter seine berufliche Ausbildung fort und fand schnell Arbeit als Fotograf für Werbeaufnahmen. Nach Kriegsende machte er sich selbstständig und wurde zu einem der angesehensten Dokumentarfotografen Brasiliens. Er dokumentierte das deutsch-jüdische Exil in dem Land, vor allem aber die Entwicklung der Stadt São Paulo, die er vor seinem fotografischen Auge wachsen sah. Seine Industriefotografien zeigen ein modernes Brasilien.
Flieg erhielt 1965 die brasilianische Staatsbürgerschaft und lebte in São Paulo. Im Frühjahr 2008 reiste er anlässlich einer Werkschau in den Kunstsammlungen Chemnitz erstmals wieder nach Deutschland. 120 seiner Werke, die zwischen 1940 und 1970 in Brasilien entstanden waren, wurden gezeigt.
Bei der Verlegung zweier Stolpersteine in Chemnitz sagte Flieg später, dass »jedes Zusammenleben von Menschen in einer Wohnung, in einem Hause, einer Stadt, einem Land und schließlich auf einem Planeten Verständnis, Geduld und guten Willen erfordert«. Leider musste er in den vergangenen Jahren miterleben, dass sein Rat ungehört geblieben ist.