Im Kreis der jungen Absolventen des Rabbinerseminars zu Berlin fühlt sich Azaria Hildesheimer ganz wie zu Hause. »Die Hingabe an das Lernen, die orthodoxe Atmosphäre, die Gottesfurcht – alles erinnert mich an die Geschichten meiner Großeltern«, schwärmt der Urenkel von Rabbiner Esriel Hildesheimer, der 1873 das berühmte orthodoxe Rabbinerseminar in Berlin gegründet hatte.
Azaria Hildesheimer ist ebenfalls Rabbiner und unterrichtet an einem orthodoxen Seminar in Petach Tikva. Sein Bruder Meir lehrt als Professor Jüdische Geschichte an der Bar-Ilan-Universität.
Michael Grünberg, Mitglied des Kuratoriums des Rabbinerseminars zu Berlin und Direktoriumsmitglied im Zentralrat der Juden, sprach wohl vielen aus dem Herzen, als er die beiden Gäste am Sonntag in Berlin begrüßte: »Ich fühle mich hier wie in einer Familie!«
Bilanz Eingeladen waren die Hildesheimers zu einem feierlichen Treffen der Freunde und Förderer des Rabbinerseminars – vier Jahre, nachdem die Nachfolgeeinrichtung des Hildesheimer’schen Rabbinerseminars 2009 in Berlin, initiiert von Lauder Yeshurun, offiziell gegründet worden war. Nun zog Rabbiner Joshua Spinner, Vorstandsvorsitzender des Rabbinerseminars, eine vorläufige Bilanz: »Stabil und dynamisch« nannte er die Bildungseinrichtung, die orthodoxe Rabbiner für Deutschland ausbildet und mittlerweile acht Absolventen ordiniert hat. Acht weitere junge Männer studieren derzeit hier: »Wir geben nur zwei Studienplätze pro Jahr frei«, erläuterte Spinner.
Die Absolventen arbeiten als orthodoxe Rabbiner in Deutschland beziehungsweise in der Midrascha für junge Frauen in Berlin. Sechs von ihnen stellten bei einem gemeinsamen Mittagessen stolz ihre Erfolge vor: Dutzende Gäste bei den lokalen Pessach-Sedarim, Kita-Betreuung in Osnabrück, Unterricht in »Pirkej Awot« für Erwachsene in Freiburg und in Leipzig »den stärksten Mincha- und Maariv-Gottesdienst in ganz Sachsen«.
Das Rabbinerseminar zu Berlin schaffe eine »neue Generation traditioneller Rabbiner, so wie wir sie uns heute in Deutschland wünschen«, sagt Josef Schuster, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Absolventen würden vor allem für die Arbeit in kleinen Gemeinden ausgebildet, die Rolle des »Allround Jewish Man« zu übernehmen, um Rabbiner, Kaschrut-Aufseher und Vorbeter in einem sein zu können.
Ausdrücklich begrüßt Schuster nicht nur die Rabbiner Zsolt Balla, Moshe Baumel, Daniel Fabian, Reuven Konnik, Avraham Radbil und Shlomo Afanasev, sondern auch deren Frauen: »Wenn die Rebbetzin nicht hinter der Arbeit des Rabbiners steht, funktioniert es nicht«, betont Schuster. Ferner sagte er, eine »gewisse Steigerung« der Studentenzahlen sei wünschenswert. Die Zahl der Absolventen müsse jedoch dem Bedarf der Gemeinden in Deutschland entsprechen.
Kantoren Im Herbst will das Rabbinerseminar zu Berlin sein Ausbildungsangebot ausweiten: In Leipzig soll ein Institut für Traditionelle Liturgie entstehen. Damit wird es neben dem Kantorenseminar des liberalen Abraham Geiger Kollegs in Deutschland auch eine orthodoxe Lehrstätte für Liturgie geben – angeschlossen an die Berliner Ausbildungsstätte.
Ehrendekan des Instituts für Traditionelle Liturgie soll Joseph Malovany werden, Kantor der Fifth Avenue Synagogue und Professor für Liturgische Musik an der Belz School of Jewish Music der Yeshiva University in New York. Leiter wird Leipzigs Gemeinderabbiner Balla, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.
Das neue Institut für Traditionelle Liturgie sei nicht als orthodoxe Antwort auf die liberale Kantorenausbildung gedacht, sagt Rabbiner Spinner der Jüdischen Allgemeinen. Liturgie und der richtige Nussach seien nicht nur für Kantoren wichtig, sondern gehörten »zum Leben« aller Betenden. Daher solle es in Leipzig eine spezielle Ausbildung für einzelne Kantoren geben, aber zusätzlich auch Blockseminare für Laien sowie Fortbildungen für alle Studenten des Rabbinerseminars.
Rabbiner Balla rechnet für das kommende Jahr mit »hoffentlich vier Studenten«, die im Fortgeschrittenen-Programm unter Leitung von Kantor Malovany eine zwei- bis dreijährige Kantorenausbildung beginnen werden. Küf Kaufmann, Mitglied im Präsidium des Zentralrats und Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, sagt, er freue sich, dass die sächsische Stadt eine weitere jüdische Institution bekommen soll.
Auch in der akademischen Weiterqualifikation seiner Absolventen, die parallel zu ihrem Rabbinerstudium einen Bachelor-Abschluss in Sozialer Arbeit an der Fachhochschule Erfurt erwerben, geht das Rabbinerseminar neue Wege. Derzeit ist ein Masterabschluss in Kooperation mit der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität geplant, außerdem wird in Erfurt ein Master-Abschluss mit Schwerpunkt Management und Betriebswirtschaft konzipiert.