Sukkot

Tradition und Gegenwart

Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman in seinem Arbeitszimmer Foto: IKG München und Oberbayern

Rosch Haschana und Jom Kippur liegen hinter uns, und wir alle sind G’tt ein bisschen näher gekommen. Wir haben die ernsten Tage des Monats Tischri hinter uns gebracht, und jetzt liegt Sukkot vor uns: das Fest, von dem es heißt: »Vesamachta beChagecha – Freue dich an deinem Fest!«
Sukkot ist eines der drei großen Feste in der Tora. Jedes von ihnen hat unterschiedliche Gesetze und Bräuche, die sie charakterisieren und aus halachischer Sicht definieren. Die drei Feste sind nicht die einzige »Triade« in der Tora. In der Mischna (im Kapitel Awot) heißt es: Die Welt steht auf drei Dingen – auf der Tora, auf dem Dienst an Haschem und auf Freundlichkeit.

Der Maharal von Prag, der im 16. Jahrhundert lebte, verbindet die drei Säulen der Welt mit den drei Festen: Schawuot ist die Säule der Tora, Pessach ist die Säule des Dienstes und Sukkot die Säule der Freundlichkeit und Nächstenliebe. Aber wie hängen die vielen unterschiedlichen Mizwot von Sukkot mit Nächstenliebe zusammen?

vier ARTEN Der Midrasch (Wajikra 112) vergleicht die vier Arten mit vier Teilen des Volkes Israel: Die Zitrusfrucht Etrog hat Geschmack und Geruch – so ist Israel, es gibt Tora in ihnen, und es gibt gute Taten in ihnen. Der Lulaw ist ein Blatt der Dattelpalme. Datteln haben Geschmack und keinen Geruch – einige Juden lernen die Tora, aber vollbringen keine guten Taten. Die Myrte (Hadas) hat Geruch, aber keinen Geschmack. Wie einige Juden, die gute Taten vollbringen, aber nicht Tora lernen. Die Weide (Arawa) schließlich ist wie einige Juden, die weder Tora noch gute Taten haben.

Aber Haschem befiehlt uns: »Binde sie alle zusammen, und sie gleichen die Nachteile voneinander aus und büßen füreinander.« Die vier Arten lehren uns also, dass die verschiedenen Teile des Volkes Israel in einer Gemeinschaft vereint sein müssen.

Sukkot ist der Feiertag von Gastfreundschaft, Gemeinschaft und Nächstenliebe.

Im Traktat Sukka (27b) heißt es: Ein Jude kann die Mizwa, in der Laubhütte zu sein, in der Laubhütte seines Freundes erfüllen, wie geschrieben steht: »Alle, die zu Israel gehören, sollen in einer Laubhütte sitzen.« Die Laubhütte soll keine Trennwände zwischen einem Menschen und seinen Mitmenschen schaffen, sondern sie verbinden.

So können auch die Worte der Gemara im Traktat Sukka (2 AA) verstanden werden: »Alle sieben Tage, sagte die Tora, verlasse dein festes Haus und bleibe in einer vorübergehenden Behausung.«

gemeinschaft Die spirituelle Bedeutung dieser Belehrung ist: Schließen Sie sich in diesen Tagen nicht in Ihr festes Haus ein, in Ihre abgeschlossene Privatwohnung, sondern leben Sie eine Zeit lang in einer offenen Hütte, sodass Sie die Gemeinschaft mit Ihren Nachbarn spüren.

An allen drei Festen, »wenn ganz Israel kommt, um das Gesicht von Haschem in Jerusalem zu sehen«, entsteht eine enge Verbindung nicht nur zwischen Haschem und den Besuchern, sondern auch zwischen allen Teilen des Volkes. Und diese Verbindung ist während des fröhlichsten Festes am tiefsten, also an Sukkot.

Im 5. Buch Mose 10–12 heißt es: »Am Ende von sieben Jahren, zur Zeit des Schmitta-Jahres, am Feiertag Sukkot, wenn ganz Israel kommt, um das Angesicht des Herrn zu sehen … Versammelt das Volk, die Männer und die Frauen und die Jungen und die Alten … damit sie darauf achten, alle Worte dieser Tora zu tun.«

mizwa Diese Mizwa, die in einer großen Menschenmenge durchgeführt wird und sogar die Kinder einschließt, wird am Feiertag Sukkot durchgeführt, der für diese Art der Einheit am besten geeignet ist und diese Gelegenheit in eine Wiederholung der Erfahrung am Berg Sinai verwandelt, als die Juden die Tora empfingen und dabei auf einem hohen Niveau der Einheit standen – »wie ein Mann mit einem Herzen«.

An demselben Feiertag Sukkot wurden im Tempel früher auch 70 Stiere geopfert. Dieses Opfer wird als Sühne verstanden für die 70 Nationen der Welt, wie auch Raschi in seinem Kommentar unterstreicht.

An Sukkot ist das jüdische Volk also auch aufgerufen, etwas für die ganze Welt zu tun. In dieser Zeit, da einige Nationen der Welt unter schrecklichen Kriegen leiden, sollten wir uns dessen bewusst sein und für Frieden beten.

Uschpisin Viele Juden folgen dem Brauch, die Vorfahren der Nation symbolisch zum Essen in die Laubhütte einzuladen: Awraham, Jizchak, Jakow, Mosche, Aharon, Josef und David. An jedem Tag von Sukkot wird einer der sieben wichtigen Gäste eingeladen.

An diesem Fest ist das jüdische Volk aufgerufen, etwas für die ganze Welt zu tun.

Die Sukka heißt auch »der Schatten von Haschem«. Und genau hierhin werden die Großen der Nation zu seinem Fest eingeladen, und so erfüllen wir die Mizwa der Gastfreundschaft auf höchstem Niveau. Und natürlich gilt auch während Sukkot die Mizwa von »Hachnasat Orchim« (Gäste ins Haus bringen). Viele Familien versuchen, jeden Tag in der Sukka Gäste zu haben.

Sukkot ist also der Feiertag von Gastfreundschaft und Gemeinschaft, Nächstenliebe und Freundlichkeit. Und zu dieser Atmosphäre passt es, dass die Tora genau an diesem Feiertag explizit sagt: »Freue dich an deinem Fest!« Ich möchte Sie alle herzlich einladen, in der Sukkot-Woche in die Synagoge zu kommen und in der Sukka zu sitzen. Erinnern Sie sich mit Ihrer ganzen Familie an die Zeit, in der das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten in Laubhütten wohnte, und so verbinden wir 3000 Jahre Geschichte mit der heutigen Zeit.

leid Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Woche wirklich fröhlich sein können. Auch in schwierigen Zeiten, während wir beten, dass der Krieg zwischen der Ukraine und Russland mit all seinem Leid bald endet, ist es wichtig, Feste zu feiern und fröhlich zu sein.

Wir können heute keine 70 Stiere für das Wohlergehen der 70 Nationen im Tempel opfern, aber wir beten und erfüllen die Mizwot von Sukkot und hoffen, dass G’tt uns erhören wird. Ich wünsche Ihnen allen Chag Sameach aus München.

Der Autor ist Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Uni Würzburg

Außergewöhnlicher Beitrag

Die Hochschule hat dem Zentralratspräsidenten die Ehrendoktorwürde verliehen

von Michel Mayr  20.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024