Lange Zeit ist das Schicksal der Child Survivors nicht in dem Maße wie das anderer Holocaust-Überlebender beachtet worden. Ihnen wurde unterstellt, dass sie als Kinder »die Grausamkeiten der Nazi-Verfolgung noch nicht hätten verstehen und einordnen können«.
Dabei haben Child Survivors »ihr Leben lang unter gravierenden posttraumatischen Störungen gelitten«, wie Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland, beschreibt. So sei der Claims Conference die besondere Last der nach dem 1. Januar 1928 Geborenen auch erst 2005 als dringliche Aufgabe zugetragen worden.
Experten Welche therapeutischen Unterstützungen für die Überlebenden notwendig sind, trägt der schmale Band Charakter, Zorn und Widerstand. Child Survivors aus Expertensicht zusammen.
Experten sind in diesem Falle neben Rüdiger Mahlo auch Philipp Sonntag, Vorsitzender der Child Survivors Deutschland (CSD), Martin Auerbach, klinischer Leiter von AMCHA Israel, und sein Kollege Natan P. F. Kellermann. Aus Sicht der pflegerischen Anforderungen kommen Eva Nickel und die Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Dalia Wissgott-Moneta, zu Wort.
Sie versuchen, durch ihre Beiträge den Child Survivors zu einer größeren Lobby zu verhelfen, und verweisen auf die Besonderheiten gerade dieser Holocaust-Überlebenden.
Erst Anfang der 80er-Jahre, so schreibt etwa Eva Nickel, die sich in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit den Spätfolgen der Schoa beschäftigt, begann man weltweit, das Problem der Traumatisierung zu erkennen und die Langzeitfolgen wissenschaftlich anzuerkennen. Für viele Child Survivors schon fast zu spät.
Krankheiten Als Kinder hatten sie den Verlust der Eltern und die Hilflosigkeit gegenüber Willkür erlebt. Doch ihre physischen und psychischen Krankheiten wurden jahrelang nicht entdeckt, »ja sogar negiert«, schreibt Eva Nickel.
Therapieren lassen sich diese Spätfolgen nur durch Respekt, Akzeptanz und Toleranz gegenüber ihrer Besonderheit sowie Verlässlichkeit in der Hilfe, erklärt der Psychiater und Psychotherapeut Martin Auerbach.
Der Treffpunkt für Schoa-Überlebende in Frankfurt ist heute für viele ein verlässlicher und geschützter Raum, wo den tief Traumatisierten Interesse und Empathie entgegengebracht wird, wie Dalia Wisgott-Moneta schreibt. Für viele Child Survivors kehrt die Traumatisierung gerade im Alter massiv zurück. Für sie ist dieser Treffpunkt häufig der einzige soziale Kontakt, den sie heute noch haben.
Dass ihr Schicksal nicht vergessen wird und sie die Hilfe erhalten, die sie benötigen, dafür wirbt das kleine Büchlein, das darüber hinaus erste Hilfestellungen für die Begegnungen mit Child Survivors bietet. Die ältesten Kinderüberlebenden werden jetzt 90, die jüngsten sind 73 – noch ist es nicht zu spät, ihnen zur Seite zu stehen und zu helfen.
»Charakter, Zorn und Widerstand. Child Survivors aus Expertensicht«, hrsg. von Philipp Sonntag. Hentrich & Hentrich, Berlin 2017, 96 S., 12,90 €