Dicht gedrängt stehen Marlene Dietrich, Albert Einstein und Meyer Lansky am Samstagabend im Ballsaal des Hotels Leonardo in Berlin. Der Kosher-Nostra Lansky outet sich als Freund der Zwei-Staaten-Lösung. Die Filmdiva gibt zu bedenken, dass weder mit Fatah noch mit Hamas Frieden möglich sei. Der Physik-Nobelpreisträger hingegen ist der Meinung, dass für den heutigen Tag genug über den Nahostkonflikt diskutiert wurde.
Einstein will lieber tanzen – und so viel trinken, bis er nicht mehr zwischen »Verflucht sei Haman« und »Gesegnet sei Mordechai« unterscheiden kann. Entschlossen greift er die Hand der Dietrich und rauscht mit ihr ab auf die Tanzfläche. Dort heizen die Beats der Londoner Show-Band »Muzika« den anderen Party-Gästen kräftig ein.
Wie Jana, Nathan und Mike – alias Marlene Dietrich, Albert Einstein und Meyer Lansky – haben am Wochenende mehrere Hundert Teilnehmer an der großen Purimparty »20er-Jahre« des Jugendkongresses 2013 teilgenommen. Die Feier war eine von vielen Höhepunkten der viertägigen Konferenz, die am Sonntag zu Ende ging.
rekord Dabei wurde eines rasch klar: Der Jugendkongress unter dem Motto »Die Bedeutung Israels für uns« war ein großer Erfolg. Noch nie haben so viele Teilnehmer an der 1992 ins Leben gerufenen Veranstaltung teilgenommen. Insgesamt 400 junge Erwachsene aus ganz Deutschland folgten der Einladung des Zentralrats der Juden und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) nach Berlin.
Viele von ihnen sitzen am Samstagnachmittag in dem Workshop »Zur Bedeutung Israels für die jüdische Identität in Deutschland«. Aufmerksam folgen sie den Worten der Seminarleiter Doron Kiesel und Schimon Staszewski. »Juden in Deutschland hatten früher oft ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht in Israel lebten«, berichtet Staszewski. »Wie ist das bei euch heute?«, will Kiesel wissen.
Die Antworten darauf könnten unterschiedlicher nicht sein. »Mich zieht es ganz stark nach Israel«, sagt etwa Lisa. »In Deutschland fühle ich mich wie im Winterschlaf. In Israel blühe ich auf – und lebe meine Jüdischkeit dort viel bewusster.« Die 22-Jährige studiert zurzeit am Interdisciplinary Center (IDC) Herzliya und will gern Alija machen. Für Daniel aus Frankfurt hat der jüdische Staat keinen so hohen Stellenwert. »Wir alle kommen im weiteren Sinne aus Israel. Aber meine Heimat ist Deutschland. Ich bin deutscher Jude.«
Gegenseitige hilfe Die Diaspora könne nicht ohne Israel – und Israel nicht ohne die Diaspora, meint Sergey aus Hannover. Er war gerade im Workshop »Die Bedeutung Israels aus religiöser Sicht« von Johannes Heil und Frederek Musall. »Wir Juden im Ausland geben Geld und Solidarität. Und unsere Brüder und Schwestern in Israel geben uns Identifikation und ein religiöses Fundament.«
Was die Teilnehmer beider Workshops eint, ist die Erfahrung, in Deutschland oft für Israels Politik verantwortlich gemacht zu werden. Anstrengend sei das, beschreibt Simon aus Hamburg diese Rolle. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Anekdote von Doron Kiesel: Er selbst rede mit seinen Kollegen an der Fachhochschule zwar sehr gerne über fachliche Themen, nicht aber über den Nahostkonflikt.
Ausgelassen und fröhlich geht es einige Türen weiter bei der Lesung der Esther-Rolle zu. Tosender Lärm flutet den Saal immer dann, wenn der Name »Haman« fällt. Mit Ratschen, Rasseln und Tuten erinnern die Teilnehmer lautstark an die Rettung vor der Vernichtung in Persien. An manchen Stellen dauert es fast eine Minute, bis der Lärm sich legt und die Lesung fortgesetzt werden kann.
»Purim erinnert uns daran, dass wir Juden unbedingt zusammenhalten müssen«, sagt Anna aus Niedersachsen, die sich extra zwei Tage frei genommen hat, um am Jugendkongress teilnehmen zu können. Ihr Freund, der Berliner Student Ezra, stimmt ihr zu: »Von unseren Vorvätern trennt uns die Zeit. Nicht aber unsere jüdischen Werte. Wir leben bis heute nach ihnen.«
Podiumsdiskussion Ein Highlight des Jugendkongresses war die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion über das deutsch-israelische Verhältnis. Sie bildete am Sonntag den Abschluss des Jugendkongresses. Moderiert von »Zeit«-Herausgeber Josef Joffe debattierten unter anderem Zentralratspräsident Dieter Graumann, die Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi, Jerzy Montag, Bijan Djir-Sarai und Karl-Georg Wellmann. Trotz der Purimparty in der vorangegangenen Nacht kamen zu dieser Veranstaltung mehr als 200 Teilnehmer.
Es sind Beobachtungen wie diese, die Dieter Graumann zuversichtlich stimmen. In seiner Rede an die Teilnehmer betont er denn auch, dass der Jugendkongress 2013 von einem »positiven, neuen jüdischen Spirit« geprägt war. Er sieht in dem Treffen mit den jungen Erwachsenen »ein Rendezvous mit der blühenden Zukunft unserer jüdischen Gemeinschaft«.
Interesse Nur gemeinsam kann ein selbstbewusstes und starkes Judentum gestaltet werden, das künftig noch weiter positiv über sich hinauswachsen wird, ist Graumann überzeugt. »Wir wollen noch mehr auf euch zugehen. Auf euch kommt es uns an. Ihr seid unsere Zukunft.« Die Tatsache, dass so viele am Jugendkongress teilgenommen hätten, zeige, dass es endlich wieder ein frisches modernes Judentum in Deutschland gebe. »Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, dass so viele von euch Interesse an jüdischen Veranstaltungen haben.«
Entsprechend positiv fällt am Ende des Kongresses auch die Bilanz von Benjamin Bloch aus. »Ich bin ja froh, dass von Jahr zu Jahr immer mehr junge Erwachsene teilnehmen«, sagt der ZWST-Direktor und lacht. »Wenn es jedoch so weitergeht, müssen wir im kommenden Jahr zwei Hotels zum Jugendkongress anmieten.«