Freitagnachmittag ist Jehoshua Berkovitch unterwegs. In einem Geschäft fragt er die Verkäuferinnen: »Are you jewish?« Seine Stimme klingt selbstbewusst, von Schüchternheit keine Spur. Die Befragten sehen überrascht aus und verneinen. Mehr als zwei Stunden lang ist Jehoshua heute in den Geschäften unterwegs – auf dem Tauentzien und dem Kurfürstendamm – und möchte sein Informationsmaterial zum Schabbat an jüdische Menschen verteilen. In einem Laden hat er Erfolg und trifft eine jüdische Verkäuferin. In dem Hotel, von dem er schon vorher weiß, dass der Geschäftsführer jüdisch ist, muss er lange warten und trifft ihn dennoch nicht an. Der steckt in einem Meeting und hat keine Zeit für den 21-jährigen Rabbinerstudenten.
Motivation Jüdische Berliner und Touristen in der City-West finden und ansprechen lautet an diesem Tag sein Einsatzplan. »Wenn wir jemanden gefunden haben, der Interesse zeigt, dann erzählen wir von uns und vom Studium, bieten das Legen der Tefillin an, kommen ins lockere Gespräch.« Manche sind überrascht, aber es gibt viel Aufgeschlossenheit, freut sich Jehoshua. Überhaupt hat der junge Mann aus Montreal die Hauptstadt von Anfang an als schwungvoll und dynamisch erlebt: »Das ist ein besonderer Platz in Deutschland, ungewöhnlich energetisch. Auch die jüdische Gemeinschaft hat hier besondere Energie. Sicher, es gibt auch Konkurrenz, aber das halten wir für positiv.«
Jehoshua, der im September 2009 aus Montreal nach Berlin kam und hier mit sieben weiteren Bocherim für ein knappes Jahr Talmud, Tora und Chassidut studiert, findet die Frage, was ihn als Rabbinerstudenten ausgerechnet nach Deutschland verschlägt, als unpassend. »Nichts ist Zufall in unserem Leben«, skizziert der 21-Jährige. Zusammen mit dem Kanadier studieren junge Männer aus den USA, aus Südafrika und Frankreich. Sie sind bereit, sich intensiv auf Berlin und Umgebung einzulassen. »Wir sind nicht im Elfenbeinturm, und wir sind keine Exoten, auch wenn das manchmal so aussieht«, sagt Jehoshua lachend
Reaktionen Im schwarzen Anzug, mit Hut, Kippa und Zizit fühlt sich Jehoshua als gut erkennbarer, religiöser Jude im nichtjüdischen Großstadttrubel wohl. Und erlebt, wie er sagt, mehr Sympathie als Anfeindung. »Viele Einheimische mögen es, mit uns ein paar Sätze in Englisch zu plaudern.« Er und die anderen Rabbinerstudenten haben auch schon erlebt, dass sie angepöbelt und beschimpft wurden. »Doch das kann dir in London oder New York genauso passieren. Es ist nichts, was uns verängstigt oder lähmt«, meint Jehoshua.
Der Freitag ist in der Jeshiwa immer ein besonderer Tag, da nicht so viel gelernt wird wie an den anderen Tagen. Morgens geht Jehoshua in die Mikwe, dann folgt das Morgengebet, und das Frühstück in seiner Wohnung. Danach hilft er beim Verteilen der Schabbat-Pakete in der Münsterschen Straße, die sich ärmere Menschen abholen. Anschließend macht er sich auf den Weg in Richtung Kudamm. Später geht er noch mal in die Mikwe und feiert schließlich Schabbat. Dann geht es – am wöchentlichen Ruhetag – bei Gebet und gutem Essen etwas gemächlicher zu.
Öffentlichkeit Sonst ist viel Trubel. Wie zum Beispiel am 2. Mai bei der »Jewish Parade« zu Lag Baomer. Noch heute schwärmt Jehoshua von dem Umzug. Er und die anderen Rabbinerstudenten haben es in bunten Clownskostümen verkleidet immerhin bis in die amerikanischen TV-Abendnachrichten geschafft. »Lag Baomer ist Freude, Judentum ist Freude, und genau das wollen wir den Berlinern zeigen«, meint er.
Weniger spektakuläre Aktionen gelingen den jungen Männern auch außerhalb der Stadt. Häufig sind sie in Brandenburg unterwegs. »Es könnte so viel getan werden für mehr Jüdischkeit, auch in der Peripherie. Die Ideen sind da, die Bereitschaft ebenso, doch im Moment schaffen wir nur einen Bruchteil.« Die acht Rabbinerstudenten haben ihre Einsätze aufgeteilt. Besucht die eine Gruppe Häftlinge, so kümmert sich die andere um Alte und Kranke, während die dritte auf dem Kudamm Jüdischkeit verbreitet. Zu schnell sei die Zeit vergangen. Ob er länger bleiben möchte? »Nichts ist Zufall in unserem Leben«, sagt er.