Datenbank

Task Force fürs Eigentum

Bescheidener Alltag: Ein kleines Häuschen, zwei Hunde, eine Katze, das ist alles, was dieser Schoa-Überlebende in Schitomir geblieben ist. Foto: Marco Limberg

Wie viele Anfragen sie in den vergangenen zweieinhalb Monaten erreicht haben, kann Anya Verkhovskaya selbst nicht mehr sagen. »Aber es sind hunderte jeden Tag«, berichtet die Leiterin des »Projects Heart«. Aus aller Welt treffen sie ein, Deutschland, Osteuropa, Südamerika, Afrika – von überall dort, wo es noch Schoa-Überlebende gibt oder ihre Nachkommen sich niedergelassen haben. »Das ist einer der Nebeneffekte unseres Projekts«, sagt Verkhovskaya, »dass man mitbekommt, wohin überall es die Menschen seinerzeit verschlagen hat.«

Sie melden sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail, hinter jeder dieser Meldungen verbirgt sich eine Geschichte von Entrechtung, Vertreibung und Flucht. Und nicht zuletzt auch von dem, was die Betroffenen damals zurücklassen mussten, sofern man es ihnen nicht längst genommen hatte. Hier setzt das Ende Februar in Jerusalem ins Leben gerufene Projekt an.

sammeln Heart, das englische Wort für Herz, ist in diesem Fall ein Akronym. Es steht für »Holocaust Era Asset Restitution Taskforce«, was sich grob als »Arbeitsgemeinschaft für die Rückerstattung von Vermögensansprüchen aus der Holocaustära« übersetzen lässt. Das auf Initiative der Jewish Agency und mit Unterstützung der israelischen Regierung gegründete Projekt hat sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche noch offenen Entschädigungsansprüche von Schoa-Überlebenden zu sammeln, zu prüfen und in einer großen Datenbank zusammenzuführen. Dafür stellen der israelische Staat sowie weitere Spender rund acht Millionen Dollar in drei Jahren bereit.

gebiete Im Mittelpunkt stehen dabei neben dem Territorium des Dritten Reiches vor allem die Länder, die sich während des Zweiten Weltkriegs gänzlich oder zeitweise unter deutscher Kontrolle befanden. Mit Ausnahme der Gebiete, die vor dem 23. August 1939 zur Sowjetunion gehörten und dem Territorium des einstigen japanischen Kaiserreichs. Gemeldet werden können alle Arten von Vermögenswerten, von beschlagnahmten Bankkonten über enteignete oder zerstörte Immobilien bis zu Kunstwerken und Schmuckstücken.

Einzige Vorbedingung ist, dass noch keine Entschädigung gezahlt wurde. »Es ist dabei nicht notwendig, einen Eigentumsbeweis bereitzustellen, um anspruchsberechtigt zu sein. Wenn Personen vermuten, dass sie solches Eigentum besaßen oder Begünstigte solchen Eigentums waren, sollten sie unseren Fragebogen ausfüllen«, so Verkhovskaya.

mehrsprachig Der Fragebogen selbst umfasst drei Seiten, auf denen die Antragsteller Auskunft über sich und das verlorene Eigentum geben müssen. Auf der Webseite von Project Heart, die allein in ihrer ersten Woche mehr als 700.000 Mal aufgerufen wurde, steht das Dokument in 22 Sprachen zur Verfügung. Zusätzlich können sich Betroffene telefonisch beraten lassen. Eine kostenlose Hotline wurde bereits eingerichtet und steht an fünf Tagen in der Woche 24 Stunden zur Verfügung.

Das Callcenter befindet sich in Belgien, während sich die beiden Hauptquartiere des Projekts in Israel und den USA befinden. »Wir haben uns für die USA entschieden, weil es hier bereits Unternehmen und Institutionen gibt, die sich mit Entschädigungskampagnen dieser Größe befasst haben«, erläutert Verkhovskaya, »das war einfach eine Frage des Knowhows.«

vereinbarungen Bis Ende des Jahres hoffen die Organisatoren eine Liste mit Vermögenswerten in Höhe von einer Million Euro zusammentragen zu können. Am Ende des Projekt sollen es sogar dreimal so viele sein. »Doch das Sammeln dieser Daten ist nur ein erster Schritt«, betont Verkhovskaya.

In der zweiten Phase des Projekts soll aus der Datensammlung ein Bericht entstehen, welcher der Jewish Agency und israelischen Regierung als Grundlage für Entschädigungsverhandlungen dienen soll. »Wir nehmen an, dass dies dann Inhalt von Verhandlungen zwischen der israelischen Staatsführung und den Regierungen der betroffenen Länder sein wird.«

Entschädigung Für die Überlebenden, wie für ihre Nachkommen bedeutet das, dass sie sich trotz dieses neuerlichen Anlaufs kaum Hoffnung auf eine baldige Entschädigung für ihr enteignetes oder zerstörtes Eigentum machen können. Ein Kritikpunkt, mit dem sich Project Heart schon bei seiner Gründung konfrontiert sah. Der Ansatz sei zwar gut, so der Tenor der meisten Kritiker, käme aber angesichts des hohen Alters der verbliebenen Überlebenden zu spät. »Es wäre natürlich schöner gewesen, das früher machen zu können«, so Verkhovskaya, »doch allein technisch wäre so eine Datensammlung vor wenigen Jahren noch nicht möglich gewesen.« Andere israelische Kommentatoren sehen in der Gründung von »Project Heart«, eine indirekte Abwertung der bereits 1993 gegründeten World Jewish Restitution Organization (WJRO), die sich vor allem auf Ansprüche aus Osteuropa konzentriert, zumal bislang keine Pläne für eine Zusammenarbeit beider Organisationen existieren.

Der WJRO wiederum wurde in der Vergangenheit zum Vorwurf gemacht, individuelle Ansprüche jüdischer Opfer gegenüber den Ansprüchen von Gemeinden vernachlässigt zu haben.

www.heartwebsite.org

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