Ihre Bewegungen machten sie berühmt, ihre tänzerischen Interpretationen von Tabuthemen waren ihrer Zeit weit voraus. Valeska Gert, die 1892 in Berlin geboren wurde, wusste schon früh, das sie auf die Bühne wollte. Bereits als Kind bekam sie Ballettunterricht und liebte es, sich zu schminken und extravagant zu kleiden – sehr zum Entsetzen ihrer Lehrer.
Als junge Frau nahm sie Schauspiel- und Tanzunterricht und fand früh zu ihrer eigenen Ausdrucksform auf der Bühne. 1916 gab sie ihr Debüt. Ihr »Tanz in Orange« machte sie schlagartig berühmt. Denn ihr Kostüm aus orangefarbener Seide und knallblauen Bändern wurde durch ihr Augen-Make-up noch extravaganter.
Tanzsatire Die Lieblichkeit der Tanzbewegungen ihrer Kolleginnen provozierte sie geradezu, einen Kontrapunkt zu setzen: »Voll Übermut knallte ich wie eine Bombe aus der Kulisse«, zitiert sie Biografin Elke-Vera Kotowski. »Mit Riesenschritten stürmte ich quer über das Podium, die Arme schlenkerten wie ein großer Pendel, die Hände spreizten sich, das Gesicht verzerrte sich zu frechen Grimassen.
Das Publikum explodierte, schrie, pfiff, jubelte. Ich zog, frech grinsend, ab. Die moderne Tanzsatire war geboren, ohne dass ich es wollte oder wusste.« Daraufhin bekam Gert ein Engagement an den Münchner Kammerspielen. Zunächst nur mit kleinen Rollen, 1917 als Käthchen in Shakespeares Wie es euch gefällt, das ihr zum Durchbruch verhalf.
Ihre eigenen Tänze entwickelte sie aus Alltagsszenen und mit Vorliebe aus tabuisierten Themen: Menschen auf der Straße, ein Baby, die Liebe, eine Prostituierte und sogar der Tod inspirierten sie. Damit begeisterte sie sowohl Kurt Tucholsky als auch Bertolt Brecht, der mit ihr einen Film drehen wollte. Daraus wurde zwar nichts, doch gab Gert Anfang der 20er-Jahre unter der Regie von Hans Neumann ihr Filmdebüt als Puck in Shakespeares Sommernachtstraum. 1925 spielte sie die Rolle der Frau Greifer im Film Freudlose Gasse von Georg Wilhelm Pabst.
Berufsverbot Gerts erfolgreiche Tanz- und Filmkarriere fand zu Beginn der NS-Zeit mit Auftritts- und Berufsverbot ein jähes Ende. Von nun an war sie auf Gastspiele im Ausland angewiesen. 1936 heiratete sie ihren Manager Robin Anderson, sodass sie die britische Staatsbürgerschaft erhielt und auswandern konnte.
1938 emigrierte sie in die USA. In New York mietete sie ein Kellerlokal an, stattete es mit alten Tischen, Stühlen, Tellern und Besteck aus, die sie entweder gefunden oder erbettelt hatte. Deshalb nannte sie ihr Kabarettlokal die »Beggar Bar«. Ihr Programm war umstritten, denn sie schreckte nicht davor zurück, auch ihr Gastland USA zu parodieren.
1947 kam Valeska Gert nach Europa zurück und eröffnete in Zürich ein Kabarett-Restaurant. Doch sie sehnte sich nach Berlin, um dort ein eigenes Lokal zu betreiben. Allerdings bekam sie immer wieder Schwierigkeiten mit den Behörden. Erst 1950 konnte die Tänzerin in der Nähe des Kurfürstendamms ihre »Hexenküche« eröffnen, wo sie der deutschen Gesellschaft der Nachkriegszeit den Spiegel vorhielt und sich nicht nur Freunde machte.
Vergessen Der Antrag Valeska Gerts auf Entschädigung wurde abgelehnt: Sie habe Deutschland freiwillig verlassen, deshalb stehe ihr keine Entschädigung als »rassisch Verfolgte« des NS-Regimes zu, hieß es. Sie war teilweise verbittert und enttäuscht. Sogar bei der Jüdischen Allgemeinen musste sie sich 1972 in einem Leserbrief beschweren, man habe sie vergessen: »Sie schreiben, dass Mary Wigman die einzige noch lebende Tänzerin der 20er-Jahre sei. Das stimmt nicht. Nur: die Wigman war ›Arierin‹, leicht nationalsozialistisch angehaucht und durfte daher in Deutschland bleiben. Ich aber bin Jüdin und musste emigrieren. Ich schuf den expressionistischen Tanz, die moderne Tanzpantomime.«
Von Berlin enttäuscht, schloss Valeska Gert 1956 ihre »Hexenküche« und zog in ihr Sommerhaus nach Kampen auf Sylt, wo sie bereits 1951 ebenfalls ein Lokal eröffnet hatte: den »Ziegenstall«. Dort bot sie jungen Künstlern ein Forum. Seit den 60er-Jahren trat sie auch wieder in Filmen auf, unter anderem unter der Regie von Federico Fellini in Julia und die Geister oder Rainer Werner Fassbinder in Acht Stunden sind kein Tag. Für ihr langjähriges Wirken im Film erhielt Valeska Gert 1970 den Deutschen Filmpreis.
Ehrengrab 1977 produzierte Volker Schlöndorff einen Film über ihr Leben und war von ihr und ihrer Art, Erinnerungen zu erzählen und nachzutanzen, begeistert: »Mit diesem Auftreten und ihren Ansichten kann diese alte Dame noch immer erschrecken und begeistern«, sagte er.
Doch die damals 85-jährige Valeska Gert konterte: »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich eine alte Dame bin.« Im März 1978 verstarb Valeska Gert in ihrem Haus auf Sylt. Die Beisetzung fand in Berlin statt, sie erhielt ein Ehrengrab auf dem Ruhlebener Friedhof. Dank der Biografie von Elke-Vera Kotowski kann sie mit ihrer Kunst und Originalität bis heute überraschen und begeistern.
Elke-Vera Kotowski: »Valeska Gert. Ein Leben in Tanz, Film und Kabarett«. Jüdische Miniaturen, Hentrich & Hentrich, Berlin 2012, 64 S. 6,90 €